"Wiener Zeitung":
Kamen die Attentate in Indonesien, zu denen sich der Islamische Staat (IS) bekannt hat, überraschend oder konnte man damit rechnen?
Susanne Schröter:
Es kommt einerseits nicht überraschend, ist aber andererseits doch eine neue Entwicklung, weil es solche Anschläge über einen längeren Zeitraum nicht gegeben hat. Indonesien besitzt eine lange Geschichte von islamistischen Attentaten und des islamischen Extremismus - vorkolonial, während der Kolonialzeit und danach. Dabei hat insbesondere die Diktatur von Suharto (herrschte von 1965 bis 1998, Anm.) den politischen Islam unterdrückt. Das hat sich dann durch die Demokratisierung geändert. Es folgte eine Phase, in der Indonesien erschüttert wurde - durch Anschläge auf Kirchen, durch bürgerkriegsähnliche Zustände auf den von Christen bewohnten Außeninseln, etwa den Molukken. Damals gab es auch 2002 den großen Anschlag auf die Diskotheken in Bali mit 202 Toten oder 2003 den Anschlag auf das Marriott Hotel in Jakarta. Die indonesische Regierung, die zunächst relativ wenig gegen dieses Problem getan hat, ist unter internationalen Druck geraten und hat begonnen, harte Strafen auszusprechen, die Polizei aufzurüsten und ein Deradikalisierungsprogrammm ins Leben gerufen. Man hatte in den vergangenen zehn Jahren den Eindruck, dass das gut funktioniert. Weiterhin existierte aber eine islamistische Szene, die wollte, dass Indonesien ein islamistischer Staat wird, die genau das Gesellschaftsmodell, das der IS propagiert, richtig findet. Aber diese Szene war nicht gewalttätig aktiv, weil der Staat dem Einhalt geboten hat. Jetzt ist die Regierung damit konfrontiert, dass das Land womöglich ein Wideraufflammen des Terrorismus erlebt.

Wobei der IS offenbar immer mehr Fuß gefasst hat. . .
Es wird in Indonesien für den IS in sozialen Medien geworben, auf T-Shirts wird der IS verherrlicht. Die Behörden haben immer argumentiert, dass das nicht so schlimm ist, weil Indonesien im Gegensatz zu anderen Staaten nicht das Problem habe, dass Jugendliche nach Syrien reisen, um sich dem IS anzuschließen - wobei fraglich ist, wie weit diese Ausreisen tatsächlich erfasst wurden. Dem IS wurde viel Raum für Propaganda überlassen. Wenn sich etwa der Vorstand einer Moschee zum IS bekannt hat, wurde dies nicht sonderlich verfolgt. Die Regierung hat sich wohl zu sehr auf den Erfolg der Deradikalisierungskampagne verlassen und hat dieses neue Problem übersehen. Ich glaube, das wird sich nun ändern.

Indonesien hat ja in den vergangen zehn Jahren eine ganz eigene Strategie in der Terror-Bekämpfung verfolgt. Wie hat diese ausgesehen?
Zum einen war das eine polizeiliche Strategie, da wurde radikal aufgeräumt. Bei der Deradikalisierungskampagne wiederum haben die Behörden einerseits auf Gelder gesetzt. Die Familien der Inhaftierten haben Schulgeld oder andere Unterstützungen bekommen. Der Staat wollte sich hier als guter islamischer Staat zeigen - auch wenn Indonesien kein islamischer Staat ist, sind doch die Mehrzahl Muslime. Andererseits hat die Regierung ganz stark versucht, Hardliner aus den Reihen der organisierten radikalen Muslime herauszulösen und diese dann für die Gegenpropaganda zu nutzen. Deren Botschaft war: Ihr wolltet das Richtige, ihr wolltet Gerechtigkeit für die Muslime, aber der Weg der Gewalt war der falsche, weil der Islam unschuldige Opfer nicht zulässt. Das ist für uns neu: Während Österreich und Deutschland vorwiegend auf Sozial- und Jugendarbeit setzen, hat sich Indonesien auf eine theologische Gegenpropaganda konzentriert. Das schien auch ein guter Schachzug, weil verurteilte Terroristen sich für diese Argumentation zugänglich zeigten.

Hat sich die indonesische Gesellschaft in den vergangen Jahren generell radikalisiert?
Leider ja. Das fing in den 1980er Jahren mit Heimkehrern von den arabischen Universitäten an, die propagierten, dass der indonesische Islam kein echter Islam sei. Sie forderten einen schriftgetreuen, puristischen Islam, der sich nur auf den Koran und das Leben des Propheten bezieht, während in Indonesien ein liberaler, pluralistischer Islam vorherrschte, der etwa auch einheimische Traditionen integrierte. Das Werben der Rückkehrer für ihre Islamauslegung hat dann immer mehr Früchte getragen. Es wurde für Frauen populär, sich zu verhüllen, eine islamistische Partei wurde gegründet. Diese hat zwar nicht viele Stimmen bekommen, aber im Parlament das Anti-Pornographie-Gesetz durchgebracht. Als Pornographie gilt demnach alles, was sexuelles Begehren bei einem Mann auslösen kann. Dieses Gesetz wird nicht so durchgesetzt, aber es verbietet theoretisch Frauen, mit dem Badeanzug zum Strand zu gehen.

Was bedeutet dieser Trend für Minderheiten wie die Christen?
Die Umstände sind für sie definitiv härter geworden. In der Regel wird es Christen nicht mehr gestattet, wenn sie Kirchen gründen wollen. Denn dafür braucht es zumeist die Zustimmung der örtlichen Gemeinde. Früher war das kein Thema, aber heute sagt die großteils islamische Gemeinde oft nein oder Hardliner mischen sich ein. Ganz schlimm ist die Lage für Schiiten und Mitglieder der Ahmadiyya (eine islamische Gemeinschaft, Anm.) Sie wurden massiv angegriffen, Leute wurden auf der Straße erschlagen, ohne dass die Polizei eingegriffen hat, und es wurde auch niemand nachher verurteilt. Das hat alle Menschenrechtsorganisationen auf den Plan gerufen, aber leider wenig Wirkung gezeigt. Islamitische Straßengangs haben sich gebildet. Sie genießen Narrenfreiheit, müssen nicht befürchten, dass ihnen die Polizei Einhalt gebietet. Das sind Indikatoren einer Islamisierung, die äußerst bedenklich ist. Da geht es nicht um Frömmigkeit, sondern alles, was nicht einer Hardliner-Ideologie entspricht, soll gewaltsam unterdrückt oder rechtlich verboten werden.