Spiegelt sich bei der religiösen Radikalisierung Indonesiens der Einfluss der Golfstaaten wider?
Ja, absolut. Die Golfstaaten finanzieren Bildungsvereine, Moscheen oder Prediger. Indonesien ist ein Land, das relativ arm ist, und daher sind saudische Gelder willkommen. Man nimmt es dabei nicht so genau, dass auch die Ideologie mittransportiert wird. Die Wahhabiten unterwandern Indonesien ganz gezielt und massiv.
Ist diese ungemein rigide Auslegung des Islam - die alle, die außerhalb der eigenen Glaubensauslegung stehen, für ungläubig erklärt - auch ein Nährboden für den Terrorismus oder führt diese Deutung zu weit?
Ich würde das tatsächlich so sagen. Ohne ein entsprechendes Umfeld existieren keine heimische Terroristen. Indonesier, die zu so einer Tat willens sind, bewegen sich in einem Umfeld, das sie toleriert. Es heißt dann: Diese Brüder sind vielleicht etwas zu radikal, aber Hauptsache sie sind fromm. Hinzu kommt: Wie auch in vielen anderen Ländern kommen die markigen Worte der dschihadistischen Prediger bei einem Teil der Jugend gut an.
Hat man eine Erklärung für diese Entwicklung?
Es hängt vielleicht damit zusammen, dass viele Ideologien ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Im 20. Jahrhundert hatten wir viele säkulare, sozialistische Erklärungen, wie man das Elend der Welt überwinden kann. Die haben aber abgewirtschaftet. Das gilt auch für die klassischen Modernisierungsversprechen. In Indonesien leben viele arme Leute, für die sich die Lage nicht verbessert. Viele Bürger sind frustriert und klagen, dass von der westliche Moderne nur ein kleiner Teil der Gesellschaft profitiert. Daher werden nun viele Hoffnungen in den Islam gesetzt, weil man ihm zuschreibt, dass er gerecht ist, dass er mit dem Übel aufräumen wird. Dabei wird auch ein gewalttätiges Element honoriert: Ähnlich wie früher oft bei sozialistischen Rednern der Klassenkampf mit vielen Toten propagiert wurde, werden hier nun Ungläubige als Quelle des Übels identifiziert. Noch ein Element kommt hinzu: Viele junge Leute wären gerne Helden, wären gerne bedeutsam. Und die sprechen diese Prediger an, sagen ihnen: Auf euch kommt es an, ihr seid die Zukunft.
Haben diese Entwicklungen das Potenzial, die indonesische Demokratie zu gefährden?
Theoretisch ja. Wobei die letzten Wahlen gezeigt haben, dass die Gesellschaft gespalten ist. Ein Teil ist durchaus islamistisch, patriarchalisch und autoritär strukturiert, der andere Teil will das Projekt der Demokratie und des indonesischen Pluralismus fortsetzen. Und dieser Teil hat die Wahl gewonnen. Knapp, aber dennoch. Der jetzige Präsident Joko Widodo ist ein Vertreter des modernen, pluralistischen Indonesiens. Von daher besteht begründete Hoffnung. Aber es gibt ein paar Übel in der indonesischen Gesellschaft, die Hardliner hervorbringen: etwa die allgegenwärtige Korruption. Man trifft auf einen Filz zwischen Wirtschaft, Politik und Militär, und da erhoffen sich viele vom Islamismus einen Ausweg. Wobei das eine Illusion ist: Auch die Islamisten hängen da mit drin.
Zur Person
Susanne Schröter
ist Direktorin des Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam. Die Hochschulprofessorin und renommierte Ethnologin beschäftigt sich mit kulturellen und politische Transformationen in islamisch geprägten Gesellschaften und hat dabei immer wieder intensiv zu Indonesien geforscht.