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Bröckelnde Willkommenskultur

Von Ronald Schönhuber

Politik

Bisher galten syrische Flüchtlinge in der Türkei als "Gäste" - der jüngste Anschlag dürfte das ändern.


Ankara. Es war ein Satz, der Balsam für die türkische Politikerseele gewesen sein muss. Vor allem auch, weil er von einem europäischen Spitzenpolitiker wie Thomas de Maiziere gekommen ist. Der deutsche Innenminister hatte kurz vor Weihnachten bei einer Diskussionsveranstaltung Lob für die Bemühungen Ankaras in der Flüchtlingsfrage gefordert. "Die Türkei hat ohne große internationale Hilfe hunderttausende Flüchtlinge zu Beginn des Bürgerkriegs aufgenommen, ohne zu klagen", sagte de Maiziere damals.

Dass jener Staat, der in den vergangenen Jahren wegen rechtsstaatlicher Bedenken und niedergeknüppelter Demonstrationen fast schon Paria-Status hatte, auf einmal gelobt wurde, mag viel mit der verstärkten Zusammenarbeit zwischen EU und Türkei zu tun haben, die Ende November beschlossen wurde. Doch die Türkei hat sich auch nach Ansicht vieler Experten tatsächlich Anerkennung verdient. Während viele europäische Staaten noch immer darum kämpfen, überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen, hat die Türkei mehr als zwei Millionen Syrern Zuflucht gewährt. Die Lager im Südosten gelten als vorbildlich und von offizieller Seite wird immer wieder betont, die Flüchtlinge seien "Gäste" im Lande.

"Syrer werden abgeschoben"

Doch knapp fünf Jahre nach Ausbruch des Bürgerkriegs im Nachbarland scheint auch die türkische "Willkommenskultur" zu bröckeln. Weil die "Gäste" als Konkurrenten um die knappen und schlecht bezahlten Jobs und um Wohnraum gelten, kommt es immer wieder zu Übergriffen auf arabischsprechende Menschen, auf Facebook gab es eine Kampagne türkischer Nationalisten mit dem Namen "Gaziantep will keine Syrer". Noch einmal verschärfen dürfte sich die Lage wohl, wenn die Türkei gegenüber der EU tatsächlich Wort hält und den Flüchtlingen Arbeitsgenehmigungen erteilt, um sie von der Weiterreise nach Europa abzuhalten.

Seit dem 8. Jänner gelten zudem neue Regeln für die Einreise: Das Türkei lässt seitdem keine Syrer ohne Visum ins Land, wenn sie per Schiff oder Flugzeug einreisen wollen. Bereits unmittelbar nach Inkrafttreten wurden in Beirut 400 Flüchtlinge daran gehindert, weiter in die Türkei zu fliegen. Auf dem Landweg ist nach offizieller Darstellung zwar noch immer eine Einreise ohne Visum möglich und laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) sind auch die Grenzen im Südosten die meiste Zeit über geöffnet. "Abhängig von der Sicherheitslage kommt es zwar immer wieder vor, dass die Übergänge kurzfristig geschlossen werden, aber wenn die Lage sich bessert, dürfen Menschen, die sich in humanitären Notlagen befinden, wieder in die Türkei einreisen", sagt Selin Unal, UNHCR-Sprecherin in der Türkei, zur "Wiener Zeitung".

Allerdings nähren die Berichte von Menschenrechtsorganisationen schon seit einiger Zweifel daran, dass die "Politik der offenen Tür" auch in der Praxis noch so gelebt wird, wie das die türkische Regierung versichert. Schon im November kritisierte Human Rights Watch, Grenzsoldaten würden Flüchtlinge zurück nach Syrien schicken. Im Dezember 2015 berichtete Amnesty International, türkische Behörden hätten "Menschen unter Verletzung der Menschenrechte nach Syrien oder in den Irak abgeschoben". Der Amnesty-Bericht dokumentiert auch 130 Fälle von Abschiebungen nach Syrien aus einem sogenannten Reception and Removal Centre, welches überwiegend mit EU-Mitteln errichtet worden war.

Den folgenschwersten Schlag dürfte die türkische Willkommenskultur aber diesen Dienstag erlitten haben, als sich ein als syrischer Flüchtling registrierter IS-Sympathisant mitten in Istanbul in die Luft sprengte und zehn deutsche Touristen mit in den Tod riss. "Das wird wohl zu einer Kehrtwende in der türkischen Politik der offenen Tür führen", sagt der Türkei-Experte Cengiz Günay zur "Wiener Zeitung". Wie sehr die Türkei auf Vergeltung aus ist, wurde jedenfalls schon am Donnerstag sichtbar. Laut Premierminister Ahmet Davutoglu haben Panzer und Artillerie hunderte IS-Stellungen im Irak und in Syrien angegriffen und dabei "fast 500 Dschihadisten" getötet.