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Groß ist die Hoffnung

Von Klaus Huhold

Politik

Es sind historische Momente für Myanmar: Nach fünf Jahrzehnten Militärdiktatur trat nun erstmals ein frei gewähltes Parlament zusammen. Die Erwartungen an Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi und ihre NLD, die die Mehrheit hat, sind enorm.


Rangun/Wien. "Ich kann es kaum glauben, dass ich hier bin, aber ich bin auch traurig", sagte die Parlamentsabgeordnete Ma Thandar in Myanmar (Burma) der Zeitung "Irrawaddy". "Viele Menschen haben ihr Leben für diesen Tag lassen müssen."

Ma Thandar ist Mitglied der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) und hat am Montag an einer historischen Zusammenkunft teilgenommen: Nach mehr als 50 Jahren Militärdiktatur und militärnaher Regierung ist in dem südostasiatischen Staat erstmals ein frei gewähltes Parlament zusammengetreten. Die NLD hatte der Militärherrschaft jahrzehntelang die Stirn geboten: Ihre Vertreter wurden rigoros verfolgt, viele von ihnen waren jahrelang eingekerkert. Die charismatische Vorsitzende, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, wurde insgesamt 16 Jahre unter Hausarrest gestellt.

Doch in den vergangenen Jahren haben die Militärs einen demokratischen Wandel eingeleitet - da sie offenbar selbst genug hatten von der Isolation des Landes, das als Paria galt und vom Westen sanktioniert wurde. Mit der Wahl vergangenen Jahres hat sich nun das Blatt gewendet: Die NLD hat mehr als die Hälfte der Parlamentssitze erobert. Damit wird sie die nächste Regierung, die Ende März stehen soll, stellen.

Mit dieser Veränderung gehen in dem bitterarmen Land riesengroße Erwartungen einher. Die Bevölkerung hoffe, "dass jedes Problem automatisch gelöst wird, sobald die NLD die Regierung übernimmt, dass etwa ausländische Direktinvestitionen ins Land fließen", sagt Shwe Mann, einer der prominentesten Politiker des Landes, der zwar aus dem Militär stammt, dem aber auch ein gutes Verhältnis zur NLD und Suu Kyi nachgesagt wird. Die NLD müsse nun "die richtigen Leute für die richtigen Positionen aussuchen". Das werde über den Erfolg ihrer Regierung entscheiden.

Allerdings herrschen erhebliche Zweifel, ob die NLD überhaupt genügend geeignetes Personal besitzt, sagt Wolfram Schaffar vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien, der seit Jahren zur südostasiatischen Politik forscht. "Die neuen Parlamentsabgeordneten der NLD sind großteils politische Newcomer", berichtet der Politologe der "Wiener Zeitung". Hinzu kommt, dass viele der hellsten Köpfe sich schon vor Jahren im Streit mit Suu Kyi von der Partei getrennt haben.

Die NLD steht nun vor der Entscheidung, wie weit sie in der Verwaltung auf altes Personal, das noch von der Armee oder der militärnahen Vorgängerregierung eingestellt wurde, zurückgreifen will. Er habe den Eindruck gewonnen, dass es hier "durchaus pragmatische, gutwillige Leute gibt, die ideologisch nicht verbohrt sind", sagt Schaffar, der den öffentlichen Sektor von Fortbildungsprogrammen kennt.

Friede mit Minderheiten entscheidend für das Land

Noch ein Punkt wird ganz entscheidend für die Zukunft des Landes sein: wie weit die künftige Regierung einen Ausgleich mit den Minderheiten herstellen kann. Die muslimischen Rohingya werden massiv verfolgt, der Staat will ihnen keine Staatsbürgerschaft geben, sie müssen teilweise zusammengepfercht in Camps leben. Bisher haben die NLD und Suu Kyi hier wenig Willen erkennen lassen einzulenken.

Auch sonst ist die Lage schwierig: In Myanmar leben über hundert Minderheiten, es gibt mehr als ein Dutzend Rebellenarmeen, die für mehr Autonomie ihrer Volksgruppen kämpfen. Mit acht dieser Gruppen konnte Präsident Thein Sein noch im Herbst einen Waffenstillstand vereinbaren, manche Rebellenformationen wollten sich diesem aber nicht anschließen. Doch auch der Waffenstillstand lässt laut Schaffar noch entscheidende Fragen offen.

Etwa wie weit die Minderheiten am Handel mit Rohstoffen beteiligt werden. So wird etwa im Kachin-Staat Jade abgebaut und lasterweise, vermutlich Richtung China, abtransportiert. Wer hier genau die Konzessionen erteilt hat, bei wem der Gewinn landet, ist oft unklar. "Sicher ist nur, dass die die Bevölkerung, die in der Region lebt, nicht davon profitiert", sagt Schaffar.

Die NLD hat sich eine Lösung der Konflikte mit Minderheiten auf die Fahnen geschrieben. Sie sieht sich auch als Vertreter aller Bürger von Myanmar. Allerdings scheinen hier Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinanderzugehen. Denn die Partei, in der die Burmesen den Ton angeben, wird laut Schaffar in vielen Minderheitengebieten als "burmesisch-chauvinstischer Player " wahrgenommen. Zudem habe die NLD bisher im Parlament Distanz zu kleineren Parteien der Minderheiten gehalten. "Das Verhältnis ist alles andere als herzlich und vertrauensvoll." Die NLD wird also mehr auf die Minderheiten zugehen müssen, die wiederum damit konfrontiert sind, dass die NLD nun "ein deutlicher Machtfaktor" geworden ist.

Aber auch das Militär hat noch massiven Einfluss auf die Friedensverhandlungen. Zudem hat es sich seine Macht abgesichert, indem es sich drei Schlüsselministerien behält - nämlich Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten. Diese sind entscheidend für die Minderheitenpolitik.

Das Minderheitenthema zeigt somit exemplarisch, dass sich Myanmar noch immer mitten in einem Übergangsprozess befindet. Es wird sich erst weisen, wer künftig wie viel Macht und Gestaltungsspielraum besitzen wird.