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Katholisches Politikum

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Auf seiner Mexiko-Reise wird klar: Papst Franziskus ist offen für Veränderungen beim Zölibat.


Mexiko-Stadt. Noch bis kommenden Donnerstag ist Papst Franziskus auf seiner Pastoralreise in Mexiko unterwegs. Der Papst hat seine Etappen bewusst nach Themen ausgewählt. Es geht um Armut, um die Macht der Drogenkartelle und um die Flüchtlinge, die vom Norden des Landes in die USA gelangen wollen. Die aus kirchlicher Sicht brisanteste Etappe war der Besuch an diesem Montag im Bundesstaat Chiapas. Dort hat sich, zum Unmut des Vatikans, in den vergangenen Jahrzehnten ein verheirateter, indigener Klerus herausgebildet, der aus römischer Sicht das Fundament einer der Säulen des katholischen Priestertums bedroht: den Zölibat. Dass Franziskus mit dem indigenen Klerus, etwa der Maya-Bevölkerung, Messe feierte, ist ein kirchenpolitischer Fingerzeig.

Chiapas galt lange als Experimentierfeld für neue Formen des Priestertums und die Umgehung des Zölibats. Will Franziskus mit seinem Besuch ein neues Kapitel in dieser Frage aufschlagen? Die Pflicht zur Ehelosigkeit und Enthaltsamkeit für katholische Priester ist eine der ältesten, aber auch umstrittensten Regeln in der katholischen Kirche. Nur Priester dürfen die Sakramente erteilen. In vielen Teilen der Welt gibt es aber zu wenige von ihnen. Dabei ist der regelmäßige Empfang der Eucharistie nach katholischem Lehramt unerlässlich. Wirft Franziskus, der Seelsorger-Papst, nun eine Jahrhunderte alte Regel um?

Weihe verheirateter Diakone

Die Sache ist kompliziert und fängt in Chiapas an. 2014 erlaubte der Papst aus Argentinien erneut die Weihe ständiger Diakone, die der Vatikan im Jahr 2000 verboten hatte. Rom fürchtete, dass die indigenen, verheirateten Diakone als Vorstufe eines verheirateten Klerus verstanden werden könnten. Zeitweise standen in der Diözese von San Cristobal 400 ständige, verheiratete Diakone gerade einmal 70 Priester gegenüber. Franziskus forderte die Bischöfe in der Vergangenheit zu "mutigen Lösungen" auf und ist offen für eine Diskussion. Das ist angesichts der jahrhundertealten Disziplin des Zölibats ein katholisches Politikum.

Auch Klerus debattiert Zölibat

Zu den Spekulationen über den Zölibat trägt auch eine BBC-Dokumentation über die Beziehung zwischen Johannes Paul II. und der polnisch-stämmigen US-Philosophin Anna-Teresa Tymieniecka bei. Der 2005 verstorbene Karol Wojtyla habe mehr als 30 Jahre lang eine "enge Beziehung" mit der verheirateten Frau gehabt, die sich offenbar in Wojtyla verliebt hatte, schreibt die BBC. Der Film wird am Dienstagabend im deutschen Fernsehen auf Arte gezeigt. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Papst gegen sein Zölibats-Gebot verstoßen hat", schreibt die BBC.

Über die Aufweichung des Zölibats wird auch im Klerus diskutiert. Beim Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan vergangenen November fragten die Bischöfe Papst Franziskus, ob neue Formen des Priestertums in Gebieten, in denen selten die Messe gefeiert wird, künftig denkbar seien. "Da hat er nicht abgewunken", berichtete der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der sich als Ergänzung zu den zölibatären Priestern verheiratete Seelsorger wünscht. Noch vor wenigen Jahren durfte man diesen Gedanken nicht laut aussprechen.

Heute stehen Veränderungen auf der Agenda. Das bedeutet nicht, dass Franziskus den Pflichtzölibat abschaffen wird. Vieles deutet auf regional unterschiedliche Lösungen hin, wie sie dem Programm der "heilsamen Dezentralisierung" des Papstes entsprechen. Noch als Erzbischof von Buenos Aires sagte Jorge Bergoglio über den Zölibat: "Wenn die Kirche eines Tages diese Norm revidieren sollte, dann würde sie es wegen eines kulturellen Problems an einem bestimmten Ort in Angriff nehmen, aber nicht für alle gültig und nicht als persönliche Option."

Die Diskussion um den Zölibat, also das Versprechen von Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit für Priester, ist so alt wie die Institution selbst. Historiker gehen davon aus, dass die Regel für katholische Priester bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. verpflichtend eingeführt worden ist. Manche behaupten, den Zölibat habe es bereits in der Apostel-Zeit gegeben. Andere führen die Tatsache ins Feld, dass auch einige Apostel verheiratet gewesen seien. Fest steht, der Zölibat ist kein Dogma, sondern eine veränderbare Disziplin der Kirche. Abgesehen von theologischen Begründungen der unbedingten Hingabe an Gott hat der Zölibat auch praktische Gründe. So will die Kirche möglichst frei über ihre Priester disponieren, die teilweise ohne große Vorwarnung versetzt werden können. Ehefrau und Kinder wären ein Hindernis für diese Flexibilität. In der katholischen Kirche können nur Priester die Sakramente erteilen, darunter die Eucharistie. In vielen Teilen der Welt aber herrscht Priestermangel, der unter Umständen mit neuen Formen des Priestertums behoben werden könnte. Dabei spielt die Berufung sogenannter viri probati eine Rolle. Das sind erfahrene Männer, die ein aus katholischer Sicht einwandfreies Leben führen. Dennoch gibt es schon jetzt Ausnahmen vom Zölibat. Priester der orthodoxen Kirche dürfen heiraten, solange sie keine Bischöfe sind. Priester anderer Konfessionen, die zur katholischen Kirche übertreten, dürfen nach ihrem Übertritt ebenfalls verheiratet bleiben.

Priestermangel im Regenwald

Als Papst ermuntert Franziskus nun Bischöfe zu mutigen Vorschlägen. Das berichtet etwa der Österreicher Erwin Kräutler, der bis vor kurzem verantwortlicher Bischof in der Diözese Xingu im brasilianischen Amazonasgebiet war und im April 2014 in einer Privataudienz bei Franziskus war. 800 kleinere und größere Gemeinden sind am Amazonas über ein Gebiet verstreut, das so groß ist wie Deutschland. Wegen des Priestermangels können 70 Prozent der Gemeinden nur drei- bis viermal im Jahr an der Eucharistiefeier teilnehmen. "Ganz sicher wird der Papst nicht im Alleingang Entscheidungen fällen", sagt Kräutler. Demnach wartet Franziskus auf Vorstöße der Bischöfe und könnte diese je nach Lage vor Ort gutheißen.