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"Trump, ein amerikanischer Berlusconi"

Von Thomas Seifert

Politik
Walter Russell Mead hält nichts von 1980er-Jahre Nostalgie: "Zum alten System will niemand zurück."
© Stanislav Jenis

Der US-Intellektuelle Walter Russell Mead über den Menschenzoo und das Ende der neofeudalistischen Epoche.


"Wiener Zeitung": Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump war zuletzt in Nevada erfolgreich. Zu Beginn hat niemand seine Kandidatur ernst genommen. Warum eigentlich?Walter Russell Mead: Wir haben unterschätzt, was heutzutage alles möglich ist. Die Kandidatin der französischen Front National, Marine Le Pen, könnte die nächste Präsidentin Frankreichs sein. Wir haben seit kurzem in Warschau eine Regierung, die wir bis dato für unmöglich gehalten hätten. Oder denken Sie an Viktor Orbán in Ungarn. Wer hätte gedacht, dass jemand mit dieser Politik erfolgreich sein kann? Die Welt ist - das ist uns eine Lehre - ein gefährlicher Ort. Wir waren wie die Tiere, die im Zoo aufgewachsen sind. Wir haben akzeptiert, dass wir im Käfig leben, aber das Essen kam pünktlich und die Besucher waren nett. Nun sind die Käfige verschwunden und wir haben die Strukturen verloren, die wir gewöhnt waren. Plötzlich finden wir uns in der Wildnis wieder!

Wie im entzückenden Zeichentrickfilm "Madagascar"...

Genau. Wir müssen lernen, in einer neuen und gefährlichen Welt zu leben. Und in dieser neuen Welt bedarf es eines seriöseren, reflektierteren und ernsteren Zugangs zu den Themen unserer Zeit. Wir sollten uns heute ein Vorbild an den Menschen in den späten 40er Jahren in Europa nehmen, die aus den Weltkriegs-Ruinen ein neues, reiches, friedliches und stabiles Europa aufbauten. Diese Menschen mussten ganz genau, wie hoch der Preis für politische Fehler ist. Heute haben wir einiges an Integrität und Ernsthaftigkeit in der Politik verloren und leider wohl auch einige dieser Lehren der Vergangenheit.

Kann Donald Trump aus Ihrer Sicht der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden?

Alles ist möglich. Ich glaube aber immer noch, dass es alles andere als einfach für ihn werden wird. Aber das denke ich nun auch schon eine ganze Weile.

Wird Trump zuerst mal auf den Roten Knopf drücken, um zu sehen, ob der auch funktioniert?

(lacht) Im Ernst: Nein. Donald Trump, das wird so etwas wie der amerikanische Berlusconi. Als Silvio Berlusconi für das Amt des italienischen Premierministers kandidierte, meinten viele: Das wird ein neuer Benito Mussolini. Als Berlusconi aber dann Premier war, wollte er nichts weiter, als das Leben in vollen Zügen genießen und sonnte sich im Glanz des Amtes. Okay, er hat ein paar Gesetze auf den Weg gebracht, um sein Medien-Imperium zu schützen und sich selbst gegen strafrechtliche Verfolgung zu wappnen. Aber Berlusconi genoss es einfach, Premier zu sein. Und das wollte er auch bleiben. Also hat er in Wahrheit gar nichts getan. Für Italien war das natürlich eine Katastrophe. Weil Italien hätte nichts dringender gebraucht als eine ernsthafte Regierung. Dass Berlusconi seinem Land diese ernsthafte Regierung nicht bieten wollte und auch nicht bieten konnte, war recht bald klar.

Zurück zu Donald Trump und dem roten Knopf.

Wenn Donald Trump im Amt ist, wird er nicht gleich mal 17 Ländern den Krieg erklären. Da kann ich Sie beruhigen. Er wird weiter seine Rhetorik benutzen, um weiter in Aufmerksamkeit zu baden. Trump ist Demagoge.

Sie würden also nicht sagen: "Donald Trump kann nie Präsident werden."

Sag niemals nie.

Sie sind als Amerikaner doch zuständig für optimistische Botschaften und die rosarote Welt der Smileys. Haben Sie denn gar keine gute Nachricht für uns?

Doch, habe ich. Doch zuerst die schlechte Nachricht: Die alte Welt ist nicht mehr. Die gute Nachricht: Da draußen gibt es eine neue Welt, die darauf wartet, dass wir sie gemeinsam aufbauen. Der revolutionäre Wandel, den die Informationstechnologie bringt, ist eine gute Nachricht. In dem Aufnahmegerät, mit dem Sie dieses Gespräch aufzeichnen, steckt vermutlich mehr Computer-Kapazität als in allen Rechnern der Vereinigten Staaten in den Fünfzigerjahren zusammengenommen. Und das können Sie in Ihrer Jackentasche herumtragen. Wir können heute dank der modernen Technologien ein reicheres, erfülltes Leben führen. In den Fünfzigerjahren arbeiteten 35 Prozent der werktätigen Menschen in Fabriken. Fabriksarbeit, das bedeutete damals die Perspektive die nächsten 30 Jahre lang jeden Tag dasselbe zu tun. Von früh bis spät. Das ist nicht das, worum es im Leben gehen sollte. Wie in den frühen Phasen der Industriellen Revolution, während der die Jobs für die Weber verschwunden sind, dauerte es eine Zeit lang, bis wir herausgefunden haben, wie wir das Potenzial der neuen Produktionsmöglichkeiten nutzen können um an einer neuen, wohlhabenderen Gesellschaft zu bauen.

Und dennoch hat es den Anschein, als wollen heute viele Menschen in diese Zeit der Gewissheiten zurück.

In den 80ern wollten alle aus den alten Systemen ausbrechen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In den USA hatten wir damals nur eine einzige Telefongesellschaft: AT&T. Wenn man damals mit dem Service von AT&T nicht zufrieden war, hatte man nur eine einzige Alternative - nämlich gar kein Telefon zu haben. Anrufe waren ziemlich teuer, es gab über Jahrzehnte auch nicht die geringste Innovation, der klobige Telefonapparat stand einfach auf dem Tisch herum. Doch dann wurde das Monopol abgeschafft, die Menschen lieben heute ihre Smartphones. Kein Mensch denkt daran, zum alten System zurückzukehren. Dabei gab die Telefonmonopolgesellschaft AT&T den Menschen Anstellungen auf Lebenszeit, sie gab ihnen ein sicheres Arbeitsumfeld. Ähnlich war es in der Automobilindustrie: Die US-Monopol-Autofirmen - es gab ja nur ein paar Konzerne in Detroit - bauten einfach miese Autos. Und als dann deutsche und japanische Autofirmen auf den Markt drängten, war das für die US-Autohersteller eine gewaltige Herausforderung. Jobs gingen verloren, die Automobilindustrie schien im Niedergang. Dennoch: Heute will niemand mehr zurück zu einem 1964er Ford - außer ein paar Old-Timer-Enthusiasten natürlich.

Dennoch: Es gibt eine gewisse Nostalgie nach jener Zeit, in der die Verhältnisse berechenbarer und sicherer waren.

Mag sein. Allzuviel Nostalgie ist aber unangebracht: Die Fabrik war schließlich nichts weiter als ein neofeudalistisches Sytem, mit dem Fabrikbesitzer als Feudalherren und dem Arbeiter als Art modernen Sklaven. Heute sind viele Arbeitsverhältnisse zeitlich begrenzt und nicht mehr lebenslang, die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern lockern sich. In Zukunft werden auch viel mehr Menschen von Zuhause aus arbeiten. Die grüne Bewegung wird Telearbeit und Telekonferenzen forcieren.

Und was ist mit jenen, die der Meinung sind, dass die von Ihnen skizzierte wirtschaftliche Entwicklung ihnen nicht nützt?

Die Demagogen suchen ja jetzt schon Sündenböcke. Die Immigranten sind schuld, sagen sie. Dabei sind wir alle Schuld, die flexiblere, benutzerfreundliche und bessere Lösungen wollen. Als Resultat sehen wir diese Blüte an technologischer Innovation. Und das Dumme ist, dass unsere soziale Struktur mit den ökonomischen Realitäten nicht mithält.

Technologie spielt auch bei der derzeitigen Migrationswelle eine wichtige Rolle.

Durch Telekommunikation können die Menschen einerseits ihre Flucht organisieren und sehen andererseits, um wie viel besser ein Leben in Deutschland verglichen mit ihrer Existenz im Tschad ist. Aber die Umwälzungen sind noch größer: Die Entwicklung, die durch die erfolgreiche Nachkriegsordnung möglich geworden ist, hat nun Bedingungen geschaffen, die genau diese Ordnung untergraben. Die USA haben sich nach der Finanzkrise nach innen gewandt. Man wollte nichts wie raus aus dem Nahen Osten und man dachte in Washington, dass Europa alle seine Probleme gelöst hat. Ein Irrtum. Dazu kommen Länder, die mit der Nachkriegsordnung unzufrieden sind. Der Iran findet, man verwehre ihm eine Rolle als Regionalmacht, Russland hat die Post-89er-Ordnung nie akzeptiert und versucht, diese nun zu revidieren. Und in Peking ist man der Meinung, dass die Nachkriegsordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, ohne adäquaten Input Chinas Gestalt angenommen hat. China versucht sich daher zu positionieren. Wie heißt es so schön: "Mögest du in interessanten Zeiten leben." Das tun wir, denke ich.

Zur Person

Walter Russell Mead

ist Professor für Internationale Politik am Bard College und lehrte davor an der Universität Yale. Er ist einer der führenden Köpfe des Magazins "The American Interest" und Mitbegründer der Denkfabrik "New America Foundation". Mead war auf Einladung der US-Botschaft in Wien.