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Der Kampf um die Begeisterung

Von Klaus Huhold

Politik

Was die einzelnen Kampagnen der US-Vorwahl auszeichnet.


Washington/Wien. Die Zahl 27 ist zu einem seiner Schlachtrufe geworden. Zu sehen war das etwa bei seiner Siegesrede, als Bernie Sanders die Vorwahl der Demokraten in New Hampshire gewonnen hatte. Nachdem er davon gesprochen hatte, dass bereits Millionen US-Bürger seine Kampagne mit finanziellen Zuwendungen unterstützten, wandte er sich direkt an seine Zuhörer: "Und wisst ihr, wie hoch die durchschnittliche Spende ist?" Seine Anhänger kannten die Antwort schon längst und riefen sie gemeinsam mit Sanders: "27 Dollar!"

Sanders verbindet das Spendensammeln gleich mit einer politischen Botschaft: Er sei der Kandidat des Volkes, nicht der Lobbies und Konzerne. Das unterscheide ihn im Rennen um die US-Präsidentschaft von seinen Mitbewerbern. Schelmisch stichelt Sanders bei einer Wahlkampfveranstaltung in Minnesota gegen Hillary Clinton, mit der er sich bei den Demokraten ein Duell um die Präsidentschaftskandidatur liefert: Er berichtet, dass die ehemalige First Lady ein paar Vorträge bei der Großbank Goldman Sachs gehalten habe und dafür pro Auftritt 225.000 Dollar kassiert habe. "Ich denke, wenn man 225.000 Dollar für eine Rede bekommt, dann muss das wirklich eine exzellente, eine wunderbare Rede sein", sagt Sanders und sein Publikum lacht los.

Alle dürfen beim Wahlkampf von Sanders mitmachen

Der selbsternannte "demokratische Sozialist" kennt den Politbetrieb in Washington seit Jahrzehnten aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Wurde er dort lange wegen seiner linken Positionen als eher schrullig belächelt, mischt er nun als Anti-Establishment-Kandidat die Demokratische Partei auf. Ausgerechnet ein 74-Jähriger kommt dabei besonders gut bei einem jungen und liberalem Publikum an, bei Studenten und College-Kids.

Und Sanders weiß das Potenzial seiner Anhänger zu nutzen, sagt Shane D’Aprile, Publizist und Mitgründer der US-amerikanischen Plattform "Campaigns and Elections", die Kampagnen sowohl analysiert als auch Politiker in Wahlkämpfen schult. In den Präsidentschaftswahlkampf ist D’Aprile nicht persönlich als Berater irgendeines Kandidaten involviert, aber er beobachtet ihn mit Leidenschaft. Beim "Campaigning Summit", der diese Woche in Wien stattfand, gab er Einblick in Besonderheiten der Kampagnen der einzelnen Kandidaten.

"Sanders bindet auf der digitalen Ebene die Fähigkeiten einer ganzen Armee von Anhängern in seinen Wahlkampf ein", berichtet D’Aprile. Der Senator aus Vermont geht somit einen ungewöhnlichen Weg: Normalerweise lassen Kandidaten einen Stab von bezahlten Konsulenten ihren Web-Auftritt entwickeln, berichtet D’Aprile. Doch das Team von Sanders lädt Anhänger zu Workshops ein und lässt sie etwa Apps für die Kampagne entwickeln.

Jeder kleine Spender, jeder Student, der ein Video entwickelt, kann sich somit bei Sanders als wichtiger Teil einer großen Bewegung fühlen. Vielleicht erklärt auch das die Euphorie, die seine Kampagne begleitet. Wie weit ihn diese noch trägt, wird sich am kommenden Dienstag weisen. Gleich in fünf Bundesstaaten, in Florida, Illinois, Missouri, North Carolina und Ohio, finden Vorwahlen statt. Noch hat Clinton die Nase vorn, sie hat bereits 13 Bundesstaaten gewonnen, Sanders neun.

Der Wahlkampf der früheren Außenministerin ist ganz anders aufgebaut. Statt auf ihre Anhänger setzt Hillary Clinton auf Experten. Ihre Kampagne ist viel verschlossener als die von Sanders. Klar sei aber, dass sie auf viel Erfahrung vergangener Wahlkämpfe zurückgreifen könne und auf hochprofessionelle Spezialisten, die Daten für Clinton auswerten und nutzbar machen, berichtet D’Aprile.

Die größte Datenmanie hat aber wahrscheinlich das Team von Ted Cruz. Der Erzkonservative ist wohl der einzige Kandidat der Republikaner, der Donald Trump noch gefährlich werden kann - Marco Rubio, dem Liebling des Partei-Establishments, werden nur noch minimale Chancen eingeräumt. Trump konnte bisher in 15 Bundesstaaten das Rennen für sich entscheiden, Cruz in sieben.

Einer davon war Iowa. Hier hatte das Team von Cruz die Wähler in 150 Gruppen mit unterschiedlichen Interessen unterteilt. Dabei wurden die Daten, derer man habhaft werden konnte, so exzessiv analysiert, dass schließlich gar die 60 potenziellen Wähler, für die das Thema des Verbots von Feuerwerkskörpern ein heißes Eisen war, herausgefiltert wurden. Die Wahlhelfer sprachen sie dann gezielt auf dieses Thema an.

Aber das Cruz-Team ging, auch mit Hilfe externer Berater, noch viel weiter, wie auch aus einem Artikel der "Washington Post" zu erfahren ist. Denn die Wähler wurden zusätzlich nach psychologischen Kriterien und persönlichen Haltungen kategorisiert.

Beim eher neurotischen, ängstlichen Typen betonten die Wahlhelfer beim Thema Waffenbesitz eher das Recht auf Selbstverteidigung, bei einem Wähler, der als offener Typ mit Hang zu traditionellen Werten eingestuft wurde, wurde in diesem Zusammenhang vielmehr das Bild vom Vater, der seinen Sohn zum ersten Mal zur Entenjagd mitnimmt, heraufbeschworen. Jedenfalls waren die Wahlhelfer bei ihren Anrufen und Hausbesuchen mit auf den einzelnen Wähler zugeschnittenen Empfehlungen zur Gesprächsführung ausgestattet.

Doch bei all der Datensammlerei gibt es eine unberechenbare Variable für das Team von Cruz: Donald Trump, der mit seinen Volten und verbalen Rundumschlägen das restliche Teilnehmerfeld bei den Republikanern immer wieder vor sich her zu treiben scheint.

D’Aprile räumt ein, das auch er von Trumps Erfolg überrascht war. "Er hat das klassische Modell einer Wahlkampagne vollkommen missachtet", sagt der Politanalyst. So habe Trump etwa fast überhaupt kein Geld für TV-Spots ausgegeben. Aber das brauchte er auch nicht: Der Milliardär garantiert mit seinen Sprüchen ohnehin Einschaltquoten, Auflage und Klicks, weshalb Trump omnipräsent ist.

Die sozialen Medien benutzt Trump laut D’Aprile als zusätzlichen Lautsprecher. "Romney ist eine Witzfigur, und jeder weiß es", twitterte Trump etwa, nachdem der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner öffentlich verkündet hatte, dass es ihn wenig begeistert, sollte Trump das Vorwahl-Rennen bei den Republikanern für sich entscheiden. "Die Anhänger von Trump denken, das ist authentisch", sagt D’Aprile. "Und das ist es wahrscheinlich auch."

Trump wirktgreifbar

Und hier liegt laut vielen Politanalysten ein weiterer Vorteil für den Mann der populistischen Botschaften: Trump ist greifbar, er ist ein Typus. Der Immobilien-Tycoon verkörpert den erfolgreichen, selbstbewussten Geschäftsmann. Cruz versucht sich zwar als konservative Alternative zu präsentieren, doch in manchen Staaten hat ihn Trump bei den Vorwahlen selbst bei den Evangelikalen den Rang abgelaufen.

Ein ähnliches Phänomen ist bei den Demokraten zu beobachten: Hier ist Sanders - bei dem es viele als überraschend ansehen, dass er Clinton überhaupt noch fordert - der greifbarere Kandidat: Er ist der ehrliche Underdog. Dabei sei Sanders ein Kandidat, der vor allem mit einem Thema verbunden wird, erklärt D’Aprile. "Er kümmert sich um die Misere der Mittelklasse." Hillary Clinton habe bei ihrer langen Karriere im Politbetrieb schon zu viele Rollen übernommen, "weshalb sie nicht eine Ein-Thema-Kandidatin sein kann".

Dass sie schnell fassbar und in gewisser Weise auch Marken sind, könnte für Sanders und Trump vor allem deshalb von Vorteil sein, weil sich das Medienverhalten geändert hat. Immer weniger Konsumenten schauen im Fernsehen die Abendnachrichten, und immer mehr eilen im Internet von Klick zu Klick. Vincent Harris, ein weiterer Politstratege aus den USA und Redner beim "Campaigning Summit", machte unter Verweis auf entsprechende Studien darauf aufmerksam, dass die durchschnittliche Verweildauer bei einem Video in den sozialen Medien 22 Sekunden beträgt. Bei wem schon klar ist, wofür er steht, wenn er ins Bild kommt, der ist schon um einen Schritt voraus.