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Eine Luftnummer ohne Substanz?

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Aufbruchstimmung am Stützpunkt Hmejmin: Die Russen ziehen große militärische Kontingente aus Syrien ab.


Bagdad. Die Bilder gehen um die Welt: Russische Soldaten packen ihre Sachen in Kisten, laden sie in Frachtflugzeuge ein und fliegen aus Syrien ab. Am russischen Stützpunkt Hmejmin in der syrischen Provinz Latakia herrscht Aufbruchstimmung. Präsident Wladimir Putin hatte am Montagabend, etwa fünf Monate nach dem Beginn der Luftangriffe in Syrien, den Abzug des Hauptkontingents befohlen. Kurz darauf begann der Rückzug. So wie der Einsatzbefehl, kam auch der Abzugsbefehl vollkommen überraschend und viele fragen sich nun, was steckt dahinter?

Der Einsatz habe seine Ziele weitgehend erfüllt, heißt es dazu aus Moskau. Angeblich soll die Rückzugsaktion mit dem syrischen Diktator Bashar al-Assad abgesprochen worden sein. Außerdem sollen noch einige russische Einheiten am Hafen von Tartus und auch auf dem Stützpunkt Hmejmin zurückbleiben. Putin und Assad vereinbarten, dass Russland zur Überwachung der gegenwärtigen Waffenruhe seinen Luftwaffenstützpunkt in Syrien behalten werde. Die syrische Regierung teilte mit, die Regierung in Moskau habe ihr zugesichert, dass sie das Land weiter "im Kampf gegen den Terrorismus" unterstützen werde. Sie wies zudem Presseberichte zurück, wonach der Abzug die Folge eines Streits mit Moskau sei. Putin dagegen gibt sich als Friedensengel: "Die effektive Arbeit unseres Militärs hat die Bedingungen für den Start des Friedensprozesses geschaffen", behauptet der Kreml-Chef.

Für die wiederaufgenommenen Gespräche in Genf ist dies sicher ein wichtiges Signal und ein erster Sieg für UN-Vermittler Staffan de Mistura, der nach mehrwöchiger Pause die Verhandlungen um eine politische Lösung in Syrien am Montagmorgen wieder aufnahm. Als "Moment der Wahrheit" hatte der mittlerweile dritte UN-Sondergesandte die zweite Gesprächsrunde in Genf bezeichnet. Sollte diese abermals scheitern, müsste er "den Auftrag zu Bemühungen um Frieden für Syrien an die Mächte mit Einfluss zurückgeben, vor allem an Russland, die USA und den UN-Sicherheitsrat", so de Mistura. Soll heißen, wenn keine Einigung in Genf zustande kommt, gibt er auf, so wie es vor ihm bereits die beiden UN-Sonderbotschafter Kofi Annan und Lakhdar Brahimi getan haben. Durch den Schachzug Putins bleibt dies dem Italo-Schweden zunächst einmal erspart. Der militärische Rückzug Moskaus ist ein klares Zeichen an Assad, endlich eine politische Lösung voranzutreiben.

Freude bei syrischer Opposition

Die Stimmung gestern bei der syrischen Opposition war entsprechend hoffnungsvoll, denn Russland ist der wichtigste Verbündete des Assad-Regimes in Damaskus. "Wenn die Russen Frieden wollen, hat dies auch Konsequenzen für die anderen", sagte Salem Al Meslet, Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees (HNC) der syrischen Opposition in Genf. Es sei denkbar, dass nun auch Iran auf die Linie der Russen einschwenke. Früher noch als Moskau hat sich Teheran direkt in das Kriegsgeschehen in Syrien eingemischt und mit den Al-Quds-Brigaden auch Bodentruppen dorthin entsandt. Außerdem hat die vom Iran unterstützte libanesische Hizbollah ebenfalls Kämpfer zur Unterstützung Assads nach Syrien geschickt. Allerdings hat sich der Iran seit dem militärischen Eingreifen Russlands in den letzten Monaten ziemlich zurückgehalten. Seit dem erfolgreichen Abschluss des Atomabkommens und der Aufhebung der Sanktionen ist Teheran um Ausgleich bemüht. Für eine Friedenslösung in Syrien dürfte der Iran also nicht im Wege stehen, zumal seine Einflusssphäre im Mittleren Osten gewahrt bleibt.

Die Luftangriffe der Russen in Syrien haben nicht nur die Stellungen der von Assad kontrollierten Gebiete im Westen des Landes gefestigt, sondern auch die Interessen Irans und der Hizbollah an der Grenze zum Libanon. Nun sind die Amerikaner gefragt, Einfluss auf ihre Verbündeten in Saudi-Arabien und Katar auszuüben. Denn diese benutzen Syrien seit langem als Schlachtfeld für ihren wahabitischen Glaubenskrieg gegen die Schiitenmacht Iran. Zunächst mit finanzieller Unterstützung für die sunnitischen Rebellengruppen, die auch Al-Nusra und den IS mit einschließen, engagieren sich Saudi-Arabien und einige Golf-Emirate seit kurzem auch mit Bodentruppen in Syrien, wenn auch in geringerem Umfang als der schiitische Iran.

Es liegt jetzt an Washington, sie zu einem Friedensschluss zu bewegen, was nicht einfach sein dürfte, denn Riad wirft Moskau vor, sich einseitig auf den Erhalt schiitischer Macht eingesetzt zu haben.

Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass Russland weiterhin Luftangriffe auf, wie es selbst sagt, Terroristen-Stellungen in Syrien fliegt. Dabei übernehmen die Russen die Definition des Assad-Regimes, das alle als "Terroristen" bezeichnet, die gegen den Diktator sind. War der Rückzugsbefehl Putins also doch bloß eine Luftnummer, eine PR-Aktion mit null Substanz?