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"Der IS steht unter Zugzwang"

Von Arian Faal

Politik

Terrorexperte Siegfried Beer über die Auswirkungen der Anschläge in Brüssel.


"Wiener Zeitung": Sind die blutigen Anschläge in Brüssel der Anfang einer neuen Terrorwelle im Herzen Europas?

Siegfried Beer: Es könnte wohl sein. Ich habe vor einem Jahr, Anfang 2015, in einem Interview gesagt, dass ich das intuitive Gefühl habe, dass auch Österreich an die Reihe kommen könnte.

Österreich ist im Terror-Visier?

Ich meine damit nicht direkt jene Gruppierungen, die die Anschläge in Paris und Brüssel verübt haben, sondern spreche allgemein von der Terrorszene. Das sage ich nicht, um Panik zu erzeugen, sondern um erhöhte Aufmerksamkeit zu schaffen. Gott sei Dank ist meine Intuition nicht wahr geworden, aber die Befürchtung bleibt.

Rechnen Sie europaweit mit weiteren Anschlägen?

Ich glaube, dass das die Fortsetzung einer Serie sein könnte. Vor allem auch deswegen, weil der sogenannte Islamische Staat militärisch in Bedrängnis geraten und dadurch aggressiver geworden ist. Die Gruppe steht unter Zugzwang.

Für wie relevant halten Sie Ankündigungen von Islamisten im Vorfeld solcher Anschläge? Anfang des Jahres etwa gab es Drohungen, dass Europa zu Frühlingsbeginn bluten werde.

Ich halte es für sehr wichtig, solche Ankündigungen ernst zu nehmen. Es ist sehr symbolisch, dass es ausgerechnet in Brüssel passiert ist und zu Frühlingsbeginn. Belgien zählt leider sicherheitspolitisch und nachrichtendienstlich nicht zu den stärksten Staaten in Europa. Diese Probleme kann man nicht über Nacht beseitigen. Man kann Spezialisten in Nachrichtendiensten nicht aus dem Hut zaubern, wenn man sie braucht.

Hat der Islamische Staat damit die Rolle von Al-Kaida übernommen?

Ja, gewissermaßen. Man darf die Al-Kaida aber noch nicht zu Grabe tragen. Da gibt es eine gewisse Konkurrenz zwischen den beiden großen Gruppierungen. Durch die Syrienkrise ist der IS ein großer Player geworden, weil die sunnitische Terrormiliz an mehreren kontinentalen Standorten aktiv ist, darunter in Libyen, im Jemen und in anderen Ländern. Libyen wird uns noch viel Kummer bereiten, befürchte ich.

Bisher hat sich die Terrorgruppe IS auf ihr Kerngebiet in Syrien und im Irak konzentriert. Warum dieser offensichtliche Strategiewechsel?

Die jüngsten Anschläge in Paris, Istanbul und in Brüssel zeigen, dass Europas Sicherheitsbehörden diesen Anschlägen nicht gewachsen sind. Das nutzt der IS beinhart aus. Aber auch andere Regionen sind betroffen.

Sind Deutschland und Großbritannien Ihrer Meinung nach die nächsten Terrorziele?

Vor allem bei Deutschland könnte ich mir vorstellen, dass es ins Blickfeld kommt, obwohl Deutschland beim militärischen Anti-IS-Kampf nicht so stark involviert ist wie Frankreich und Großbritannien. Ich glaube, dass hier die IS-Strategie dahintersteckt, in den Ländern, die sich im Kampf gegen den IS hervorgetan haben, ein Zeichen zu setzen. Wenn man Gesellschaften in Panik versetzt, entsteht ein Druck auf die Regierung. Der Terror dient als Strategie dieser primitiven Denkweise.

Hat die Flüchtlingskrise das Terrorproblem begünstigt?

Nein, das sehe ich nicht so. Was es aber gibt, ist eine potenzielle Verflechtung beider Phänomene: Innerhalb der aktuellen Flüchtlingswellen gibt es meines Erachtens durchaus gewaltbereite Islamisten und Terrorzellen, die mitgeschwommen sind. Dafür gibt es Hinweise. Aber es muss kein Zusammenhang vorhanden sein. Das muss man abwarten.

Wie sieht die sicherheitspolitische Zukunft Ihrer Meinung nach aus?

Die Politiker reden von der Festung Europa. Vor allem Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nimmt ziemlich heftige Worte in den Mund, die historische Bezüge haben, die der ÖVP-Politikerin vielleicht nicht bewusst sind. Ich halte das nicht für richtig, dass man glaubt, aus Europa eine Festung machen zu müssen. Weil das Mittel wären, die einer Demokratie unwürdig sind.

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen auf Flughäfen werden nun permanent bestehen bleiben . . .

Ja, bestimmt. Das Reisen ist ohnehin nicht mehr lustig. Wer reist heutzutage noch gern?

Wagen wir abschließend noch einen Ausblick auf die Sicherheitssituation Europas.

Ich möchte das auf Österreich beziehen. Ich habe nicht viel Verständnis für die Sticheleien gegen das neue polizeiliche Staatsschutzgesetz. Wir müssen froh sein, wenn es ausreichen wird, terroristische Planungen, Anschläge und Tätigkeiten in unserem Land zu verhindern. Europaweite Präventivmaßnahmen und erhöhte Sicherheitsstufen sind wichtig.

Zur Person

Siegfried Beer ist ein österreichischer Historiker und Geheimdienstspezialist. Er
gründete 2004 das "Austrian Center for Intelligence, Propaganda and
Security Studies" (ACIPSS).