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Ein Stück Land für den Neuanfang

Von WZ-Korrespondentin Simone Schlindwein

Politik
Der Bauer Pierre Karimumujango ist mit seiner Frau und den drei Kindern aus Burundi geflohen.
© Schlindwein

Uganda zählt zu den Ländern mit der liberalsten Flüchtlingspolitik. Fast jeder Flüchtling erhält Asyl und bekommt die Grundlage für eine neue Existenz.


Nakivale. Mit nichts als den Kleidern am Leib war Familienvater Pierre Karimumujango mit seiner Frau und den drei Kleinkindern aus seinem Dorf in Burundi geflohen. Zu Fuß und mit dem Bus hat sich der Bauer bis nach Uganda durchgeschlagen. Jetzt steht er stolz vor seiner neuen, kleinen Hütte, harkt mit Liebe seinen Kassawa-Acker. Bald wird er zum ersten Mal ernten: "Wir haben Asyl bekommen und ein Stück Land. Ich bin glücklich, dass wir in Uganda Frieden gefunden haben", sagt der 39-Jährige.

Wie der Burundier Karimumujango überqueren täglich bis zu hundert verzweifelte Menschen die Grenzen, um in Uganda Schutz zu suchen. Das kleine Land in Ostafrika zählt weltweit zu den Ländern mit der liberalsten Flüchtlingspolitik. Mehr als eine halbe Million Menschen suchen derzeit in Uganda Schutz, so viele wie noch nie in der Geschichte des Landes.

Stabile Insel im Herzen Afrikas

Uganda gilt als stabile Insel im krisengeschüttelten Herzen Afrikas: Im Nachbarland Kongo herrscht seit 20 Jahren Bürgerkrieg, im nördlichen Südsudan brach Ende 2013 der Konflikt erneut aus. In Burundi terrorisiert die Staatsmacht die Bevölkerung, mehr als 200.000 Menschen sind geflohen, die meisten nach Ruanda und Tansania. Doch die Lager dort sind überfüllt - jetzt ziehen auch die Burundier weiter nach Uganda. Sie wissen, dass sie sich dort auch langfristig niederlassen können.

Ugandas größtes Flüchtlingslager Nakivale, gelegen im unbesiedelten Westen des Landes zwischen grünen Hügeln, wo Karimumujango sein Haus gebaut hat, wirkt wie eine Kleinstadt. Mehr als 100.000 Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten leben in "Stadtteilen" zusammen, die sie sie nach ihren Heimatstädten benannt haben: "Klein-Kigali" oder "Klein-Mogadishu" steht auf Hinweisschildern, die durch das Lager führen. Burundische Flüchtlinge wie Karimumujango stampfen auf einem Hügel "Klein-Bujumbura" aus dem Boden: Aus Holz und Lehm bauen sie ihre eigenen Häuser mit Strohdächern. Jede Familie bekommt von der Regierung einen Acker zugewiesen, den sie bepflanzen darf. Bis etwas wächst, verteilt das UN-Welternährungsprogramm Lebensmittel.

Das Zentrum von Nakivale, wo die Lagerleitung ihre Büros hat und die Hilfsgüter und Lebensmittel verteilt werden, wirkt wie der Kern einer Kleinstadt. Hier reihen sich Tischlereien, Schneidereien, Werkstätten, Apotheken und Läden aneinander, alle von Flüchtlingen betrieben. Viele bringen ihre Nähmaschinen, Werksbänke, Werkzeuge oder gar die Getreidemühle aus ihrer Heimat nach Nakivale. In einem Internetcafé sitzen Jugendliche, auf dem zentralen Platz spielen junge Männer Fußball. Sport ist eine gute Beschäftigung, er hilft den Flüchtlingen, Traumata zu bewältigen und Konflikte untereinander auszutragen.

Siedlung ethnisch getrennt

Gleich dahinter liegen die ruandischen und kongolesischen Viertel, die ältesten in Nakivale. Die Häuser sind massiver gebaut, viele mit Wellblechdach. Zwischen den Grundstücken wachsen Hecken. Die meisten Ruander und Kongolesen leben seit mehr als 20 Jahren hier, seit dem Völkermord in Ruanda 1994 und dem daraus resultierenden Krieg im Ostkongo. Die ethnischen Konflikte sind auch in Nakivale nicht zu übersehen. Kongolesen und Ruander leben zumeist nach Ethnien getrennt: auf der einen Straßenseite die Hutu, auf der anderen die Tutsi. Viele Tutsi sind samt ihren Kühen nach Uganda geflohen. Sie grasen jetzt auf den Weiden rund um das Lager.

"Obwohl wir eine sehr offenherzige Politik verfolgen, haben wir ein Versorgungsproblem, wenn die Flüchtlinge in Massen kommen", gibt Flüchtlingsminister Mussa Ecweru zu. Ugandas Regierung sei bei der Erstversorgung auf internationale Hilfe angewiesen. Die werde jedoch immer weniger, da auch Europa mit einem Flüchtlingsansturm klarkommen muss. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht derzeit von der größten Flüchtlingskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Ugandas liberale Flüchtlingspolitik kommt nicht von ungefähr. Während der 1970er und 1980er Jahre, als die Diktatoren Idi Amin und Milton Obote mit Terror regierten, waren viele Ugander selbst Flüchtlinge in den Nachbarländern. Ugandas heutiger Präsident Yoweri Museveni hat im Exil in Tansania seine Guerillabewegung gegründet, die 1986 das Land eroberte und bis heute die Regierung stellt. Die liberale Flüchtlingspolitik ist ein Resultat dieser Geschichte.

Präsident Museveni weiß zudem um die politische Macht der Willkommenspolitik: In der Regel fliehen Oppositionelle aus ihren Heimatländern und suchen bei den Nachbarn Unterschlupf. Derzeit beherbergt Uganda sämtliche Oppositionelle aus Burundi, dem Südsudan, aus Ruanda, Somalia und Äthiopien. Darunter sind auch ehemalige Rebellen, die den Krieg in ihrer Heimat verloren haben und in Uganda eine Auszeit nehmen, wie etwa die kongolesischen Tutsi-Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März). 2013 von Kongos Armee und UN-Blauhelmen geschlagen, zogen sie sich über die Grenze zurück. UN-Ermittler, die illegale Waffenlieferungen im Kongo analysieren, sammeln seit vielen Jahren regelmäßig Beweise dafür, dass kongolesische Milizen ihren Nachwuchs im ugandischen Flüchtlingslagern rekrutieren. Flüchtlinge sind daher ein wichtiger Faktor in Musevenis Großmachtpolitik. Damit zieht er die Fäden weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus.

Wirtschaftsmotor Flüchtlinge

Auch Ugandas Wirtschaft profitiert von den Flüchtlingen. Aus Krisenländern fliehen auch die Unternehmer und die Mittelklasse. In Ugandas Hauptstadt Kampala sind zahlreiche große Geländewagen mit burundischen oder südsudanesischen Kennzeichen unterwegs. Die meisten schlagen mit ihrem ganzen Ersparten in Kampala auf, um sich ein neues Leben aufbauen: Sie eröffnen ein Geschäft oder Restaurant, betreiben Handel mit ihren Verwandten in der Heimat - und zahlen im Bestfall sogar Steuern und stellen Ugander ein. "Uganda hat eine sehr offenherzige Flüchtlingspolitik und profitiert langfristig auch wirtschaftlich davon", sagt Charly Yaxlei vom UN-Flüchtlingshilfswerk in Uganda.