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Bombenterror in Istanbul

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Mehr als zehn Personen starben bei einem Anschlag in der türkischen Metropole - kurdische PKK vermutliche Täterin.


Istanbul. Der Zug hielt im U-Bahnhof Vezneciler, als es plötzlich einen mächtigen Knall gab und der Waggon hin- und herschaukelte. "Ich konnte nichts mehr hören und dachte sofort: ein Erdbeben!", sagt Hilal Kizilkaya über den Moment, als am Dienstagmorgen eine Autobombe über dem Metroschacht in der Istanbuler Altstadt explodierte, direkt vor der Istanbul-Universität und nur knapp tausend Meter vom berühmten Großen Basar entfernt. Die junge Frau wollte in der Station Vezneciler aussteigen, weil sie als Empfangsdame im nahegelegenen Hotel Mosaic arbeitet. Es war genau 8.41 Uhr, Hilal Kizilkaya hat auf die Uhr gesehen. In der U-Bahn und auf dem Bahnhof brach Panik aus. "Die Menschen schrien und liefen durcheinander. Viele waren Studenten, die zur Uni wollten. Alle hatten Angst", berichtet sie.

"Die Terrororganisation"

Der Angriff auf einen Polizeibus im Istanbuler Zentrum sei mit einer ferngezündeten Bombe ausgeführt worden, erklärte der Istanbuler Gouverneur Vasip Sahin am Dienstagmittag. Unter den Toten seien sieben Polizisten und vier Zivilisten, 36 Menschen wurden verletzt. Die verheerende Detonation erschütterte die Istanbuler Altstadt nur fünf Monate nach dem Terroranschlag auf deutsche Touristen nahe der weltbekannten Blauen Moschee im Jänner mit elf Toten und drei Monate nach einer Attacke auf israelische Touristen in der Einkaufsstraße Istiklal Caddesi mit vier Toten, beide ausgeführt von mutmaßlichen Mitgliedern der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Zu der Attacke am zweiten Tag des Fastenmonats Ramadan bekannte sich zwar zunächst niemand, doch diesmal wollten die Terroristen offenkundig nicht Touristen, sondern Sicherheitskräfte treffen, was auf kurdische Extremisten hinweist. Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte bereits wenige Stunden nach dem Anschlag, es sei "nichts Neues", dass "die Terrororganisation" ihre Anschläge in großen Städten verübe. "Die Terrororganisation" ist die übliche Bezeichnung der türkischen Regierung für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, die auch von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Erdogan erklärte, für derartige Anschläge könne es weder Pardon noch Vergebung geben. "Wir werden unseren Kampf gegen den Terrorismus unermüdlich bis zum Ende fortsetzen." Ein Gericht in Istanbul erließ eine eingeschränkte Nachrichtensperre.

Das belebte Viertel Vezneciler mit seinen engen Straßen neben dem größten Istanbuler Uni-Campus ist besser bekannt unter der Bezeichnung Laleli und war bis vor einigen Monaten vor allem bei Russen beliebt, auf deren Bedürfnisse die zahllosen Geschäfte zugeschnitten sind, die Pelze, Maßanzüge, Handtaschen oder Sonnenbrillen feilbieten. Im Viertel stehen auch viele kleinere und mittlere Hotels. Die Wucht der Detonation hat viele Schaufenster und das Glas in den Hotelzimmern noch in weiter Entfernung bersten lassen.

Zehnminütiger Schusswechsel

Von den Polizeisperren um den Tatort aus kann man einen städtischen Bus erkennen, der von der Explosion erfasst und demoliert wurde. Auch der getroffene Polizeibus sei nur noch "ein Haufen Metallschrott", sagt Ali Aydin, 45, ein Deutschtürke aus Hamburg mit Fünftagebart, der in Istanbul Ferien macht und kurz nach dem Anschlag am Tatort war. "Es war total chaotisch, die Ladenbesitzer rannten aus ihren Geschäften raus und halfen den Verletzten, aber dann wurde geschossen, und alle versuchten, in Deckung zu gehen." Aydin erinnert sich an einen etwa zehnminütigen Schusswechsel der Polizei mit den Terroristen. Gleichzeitig heulten Sirenen von Polizei- und Krankenwagen. "Und aus allen Hotels kamen die Gäste mit ihren Rollkoffern und ergriffen die Flucht."

Im Hotel Mosaic in der Harikzedeler-Straße, direkt an einer Polizeiabsperrung, hat die Detonation die großen Scheiben der Lobby zerstört. Vor der Drehtür stehen Bela und Florin Marin aus Bukarest mit ihrem kleinen Sohn. Die rumänische Familie hat mit Freunden eine Woche Urlaub in Alanya an der Ägäis gemacht und ist am Montag mit ihrem Mietwagen nach Istanbul gekommen. "Wir saßen beim Frühstück, als es knallte. Aber es brach keine Panik aus", erzählt die blonde Bela Marin. Hat sie Angst vor weiteren Anschlägen? Die 30-jährige Rumänin zuckt mit den Schultern. "Nicht wirklich. Mein Mann Florin ist Bodyguard", sagt sie und schaut ihren muskulösen Gatten an.

Eine junge Familie aus dem Iran verlässt das Hotel in diesem Moment mit ihren Koffern. Der Mann sagt: "Wir bleiben keinen Moment länger in der Türkei. In diesem Land ist man nicht mehr sicher." Eine Gruppe junger algerischer Geschäftsleute, die T-Shirts und andere Textilien en gros einkaufen wollen, werden dagegen im Hotel Mosaic bleiben und ihre Abschlüsse tätigen. "Wir sind alle in Allahs Hand", sagt einer von ihnen, "wenn das Schicksal dich treffen will, dann trifft es dich."

Hinter dem Empfangstresen steht Hilal Kizilkaya, die junge Frau, die die Explosion in der U-Bahn erlebte. Die meisten Gäste, vor allem Araber, hätten sofort nach dem Anschlag gekündigt und panikartig das Hotel verlassen, sagt sie. "Wir waren fast ausgebucht, jetzt sind wir leer." Als sie ihren Arbeitsplatz am Morgen schließlich erreichte, hatte sie Angst, dass es Tote im Hotel gegeben haben könnte. "Aber dann erfuhr ich zum Glück, dass niemand verletzt worden war." Frau Kizilkaya glaubt, dass die neue Terrorattacke den Tourismus in der Türkei noch stärker beeinträchtigen werde, als er es ohnehin schon sei. Russen, die früher die wichtigste Klientel im Laleli-Viertel waren, kämen fast gar nicht mehr. Jetzt bestehe Gefahr, dass auch die Araber fernblieben. "Aber auch wenn ich nach Berlin fahre, kann jemand dort eine Bombe zünden", sagt sie. "Man ist doch nirgends mehr völlig sicher."