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"Trump ist eine Kreuzung aus Berlusconi und Putin"

Von Saskia Blatakes

Politik

US-Historiker Haltzel über Polarisierung in den USA und das Erfolgsrezept des Kandidaten der Republikaner.


Am Rande seines Gesprächs mit der "Wiener Zeitung" erzählt Michael Haltzel folgende Anekdote:

1994 wird er als außenpolitischer Berater des damaligen Senators (und derzeitigen Vizepräsidenten) Joe Biden nach Österreich geschickt. Er soll sich mit Jörg Haider zu treffen, dem damaligen Vorsitzenden der FPÖ. Am Ende eines eineinhalbstündigen Frühstücks am Flughafen Schwechat, fragt der Amerikaner den Kärntner: "Vor ein paar Tagen sagten Sie in einer Rede, dass der Ausländeranteil und die Arbeitslosenquote gleich hoch sind und Sie behaupteten, es gäbe keine Arbeitslosigkeit mehr, wenn man alle Ausländer ausweisen würde. Sie sind ein gebildeter Mann - meinen Sie das wirklich ernst?" Haider antwortete nicht, sondern beginnt, schallend zu lachen.

Für ihn beschreibt dieses Lachen politischen Zynismus in Reinkultur. Ein politischer Stil, der die Fakten bewusst ignoriert und politische Statements als Waren behandelt, die es nur an den Wähler zu bringen gilt. Ein Stil, der heute wieder mehr als aktuell ist. Bei der FPÖ. Bei der deutschen AfD. Und bei Donald Trump.

"Wiener Zeitung":Der Zynismus in der US-amerikanischen Politik beschert derzeit der Fernseh-Serie "House of Cards" hohe Einschaltquoten. Gehören Sie auch zu den Zuschauern dieses Polit-Dramas?

Michael Haltzel: Ja. Aber ich lebe in Finnland und sehe alles ein Jahr später. Also erzählen Sie mir bitte nicht, was in der aktuellen Staffel passiert. Vor zwei Monaten fuhr ich mit der Metro in Washington und sah dieses große Poster mit dem Konterfei des Hauptdarstellers Kevin Spacey mit dem Slogan "Frank Underwood for President". Viele würden ihn wohl dem echten Kandidaten vorziehen.

Kevin Spacey sagte unlängst in einem Interview: "Manchmal sitze ich abends nach dem Drehtag im Hotelzimmer und frage mich, ob wir zu weit gegangen sind. Dann schalte ich die Nachrichten ein und sehe, wir sind nicht weit genug gegangen." Hat er recht?

Natürlich. Was in den Vereinigten Staaten gerade passiert, ist wirklich schmerzhaft. Ich liebe die USA, manche würden mich vielleicht sogar als übertriebenen, flaggenschwenkenden Patrioten bezeichnen. Ich bin es also nicht gewohnt, mein Land im Ausland zu kritisieren. Viele Journalisten bezeichnen Donald Trumps Kandidatur als absurd und machen sich darüber lustig. Aber das alles ist kein Witz.

Trump gilt in den USA als zweitbekannteste Marke nach Coca-Cola.

Das kann sein. Zwanzig Millionen Zuschauer sahen seine Reality-Show "The Apprentice". Vor seiner Kampagne hatte er 3,4 Millionen Follower auf Twitter, jetzt sind es über 8 Millionen. Twitter ist perfekt für ihn. Stakkatohafte Sprüche ohne echte Argumente - was könnte besser zu Trump passen? Leider lesen und folgen die Menschen in Social-Media-Zeiten am liebsten Politikern und Journalisten, denen sie ohnehin zustimmen. Sie wollen nur bestätigt werden in ihren Meinungen und Vorurteilen. Ich selbst achte darauf, auch Zeitungen und Kommentatoren zu lesen, die eine andere politische Einstellung als ich haben, und manchmal muss ich ihnen auch recht geben. Aber wie viele Leute tun das?

Was sagt der US-Wahlkampf über das Land aus?

Dass eine Polarisierung der schlimmsten Sorte vonstattengeht. Es ist eine Sache, seine Kontrahenten zu kritisieren. Das ist Demokratie und Kandidaten müssen das tun. Aber dem Kontrahenten bösartige Motive zu unterstellen, ist etwas ganz anderes. Leider wird das in den USA immer üblicher. Begonnen hat es mit der "Geboren-in-Kenia"-Lüge um Obama. Vor einigen Wochen hatte ich eine Art Erleuchtung, als ich mit meinen Kollegen in Finnland Kaffeepause machte. Ich halte mich trotz meiner noblen Yale- und Harvard-Bildung für jemanden, der Arbeiter versteht. Ich komme nicht aus einer reichen Familie und habe während meines Studiums an den Docks und auf dem Bau gearbeitet. Und trotzdem fiel mir plötzlich auf, dass ich nicht eine einzige Person kenne, die Donald Trump wählen wird. Meinen finnischen und französischen Kollegen ging es ähnlich. Manchmal denken wir, wir lebten nicht in einer Blase, aber anscheinend tun wir das doch. Diese Polarisierung ist ein Problem in vielen westlichen Demokratien. Für die USA ist das ein eher neues Phänomen, aber es ist absolut erschreckend.

Ist der Milliardär Trump ein Symptom der Post-Demokratie? In den US-amerikanischen Feuilletons ist auch die Rede von "Post-Wahrheits-Politik".

Ich würde diese Politik als "Post-Tatsachen" bezeichnen. Trump schert sich nicht um Fakten und wenn seine Aussagen als falsch bewiesen werden, kümmert das ihn und seine Gefolgschaft kein bisschen. Ich hoffe, dass es die gesamte Wählerschaft anders sieht. Seine republikanische Basis hält zu ihm. Er selbst sagt, er könnte in Manhattan auf offener Straße jemanden erschießen und seine Gefolgsleute würde es nicht stören.

Es war viel die Rede von einer Spaltung der Republikaner. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: 68 Prozent seiner Parteigenossen unterstützen ihn. Überrascht Sie das?

Ich glaube nicht, dass die Zahlen so viel aussagen. Denn momentan haben sie die Wahl, ihn zu unterstützen oder auf einen republikanischen Präsidenten zu verzichten. Es ist doch interessanter, dass ein Drittel der Republikaner sagen, sie können niemals für ihn stimmen. Das ist noch nie dagewesen. Der Prozentsatz an Frauen, die ihn ablehnen, auch an Republikanerinnen, ist unglaublich hoch. Diese Idee, dass das Volk Trump will, ist absolut falsch, und wir als Experten und Journalisten dürfen sie nicht noch weiter verbreiten. Am Ende der Vorwahlen werden nur fünf bis sechs Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner für Trump gestimmt haben. Er wird 40 bis 41 Prozent der Stimmen der Republikaner gewonnen haben. Das ist nicht einmal eine Mehrheit.

Trotzdem könnte er Präsident werden.

Ich sage nicht, dass er nicht gewinnen kann.

Trump pflegt das Image eines "Mann des Volkes", der gegen die Eliten wettert, und ist dabei der reichste Kandidat, den die USA je gesehen haben. Wie passt das zusammen?

Das ist ein Witz. Er ist ein guter Verkäufer und hat Fingerspitzengefühl dafür, was die Menschen hören wollen. Leider haben auch die US-Journalisten nicht ihre Hausaufgaben gemacht und ihm zu wenig entgegengesetzt.

Teile der Bevölkerung sind frustriert, die Ungleichheit ist so hoch wie nie. Nutzt ihm das?

Im Vergleich geht es den USA bemerkenswert gut. Wir schaffen Jobs wie kein anderes Land. In den vergangenen sechs Jahren haben wir 14,5 Millionen Jobs geschaffen, während die EU pauschal gesehen keinen einzigen Job geschaffen hat. Natürlich ist die Ungleichheit hoch. Nur zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent der US-Amerikaner haben profitiert. Der Rest stagnierte oder stieg ab. Dieser Trend ist in allen westlichen Demokratien zu beobachten.

In den USA umso deutlicher.

Ja, das ist für gewöhnlich so. Viele Menschen haben ja auch einen legitimen Grund, unzufrieden zu sein. Aber nehmen wir einmal die Kohle-Industrie. In den USA wird Kohle von Erdgas abgelöst, dazu kommen Umweltauflagen, die den Abbau immer schwieriger machen. Was macht also ein Kandidat, der gewählt werden will und dem alles andere egal ist? Er erzählt den Menschen, sie würden belogen und betrogen, das Establishment sei schuld am Niedergang der Industrie. Das Fracking der wahre Grund dafür ist, verschweigt er. Die Tatsachen behindern ihn also scheinbar nicht.

Trump und Bernie Sanders werden gern verglichen.

Das ist ein Fehler. Das Problem ist das Wort Populismus, das vor allem in Europa sehr negativ besetzt ist und eine sehr breite Definition hat. Trump hat eine autoritäre Persönlichkeit und ich hoffe, dass wir nie herausfinden, was er tun wird, wenn er Präsident wird. Vieles weist darauf hin, dass er kein Demokrat ist. Sicher appelliert Sanders an die Emotionen der Menschen, wenn er vom "reichsten Prozent" spricht und von der Macht der Wall Street - das ist unbestritten. Aber er lügt nicht, und das ist der große Unterschied. Außerdem war Sanders lange Bürgermeister, Kongressabgeordneter und dann Senator. Es gibt also keinen Zweifel an seiner demokratischen Gesinnung.

Würden Sie Sanders zustimmen, dass "Big Money" ein Problem für die amerikanische Demokratie darstellt?

Sicher. Wir haben haarsträubende Wahlkampf-Gesetze. "Citizens United versus Federal Election Commission" war eine der schlimmsten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aller Zeiten. (Das Ergebnis erlaubt in der Praxis unbegrenzte Kampagnen-Finanzierung durch Privatpersonen und Unternehmen, Anm.). Paradoxerweise war in dieser Wahl Geld bisher nicht entscheidend. Der am besten finanzierte Kandidat war Jeb Bush und wir sehen ja, was mit ihm passiert ist. Trotzdem hat Sanders recht. Die Kampagnen-Finanzierung ist legalisierte Korruption.

Das US-amerikanische System mit seinen Vorwahlen und Wahlausschüssen wirkt vor allem auf europäische Beobachter kompliziert und teils undemokratisch. Oft korrespondieren Wahlergebnis und Zahl der Wahlmänner nicht. Jüngst sorgte die Wahl der Delegierten in Nevada für viel Wut unter den Sanders-Anhängern.

Die meisten Staaten haben proportionale Repräsentanz. Das ist Basisdemokratie! So etwas wie die Wahlausschüsse gibt es in Europa nicht. Wir sind ein riesiges Land und wir sind föderalistisch. Die Staaten unterscheiden sich sehr in ihren Gesetzen. Das System wirkt vielleicht chaotisch, aber es ist nicht undemokratisch. Man könnte es sogar als hyperdemokratisch bezeichnen. Sanders kritisiert die Superdelegierten. Aber die meisten sind gewählte Vertreter.

Kopiert Trump europäischen Nationalismus?

Nein, er ist ein Original. Er hat weder die Zeit noch die intellektuellen Fähigkeiten, irgendjemanden zu kopieren. Natürlich ähneln seine Inhalte gewissen Politikern. Wenn es möglich wäre, Silvio Berlusconi und Wladimir Putin zu kreuzen, käme wahrscheinlich Trump heraus.

Trotzdem klingt die Sündenbock-Logik und das Hetzen gegen Muslime und Latinos eher nach europäischen Rechtspopulisten.

Ja, das stimmt. So etwas hat es bei uns vorher in dieser Form nicht gegeben. Trump übertrifft da leider alles bisher Dagewesene. Eigentlich ist das ein alter Hut, aber in den USA hatten wir das eben noch nicht. Es gibt so viele Dinge, die mich unglaublich wütend machen. Die Vereinigten Staaten haben sicher ihre Fehler, aber wir haben auch viele Tugenden und Vorzüge. Wir sind eigentlich ein sehr offenes, gastfreundliches und tolerantes Land. Zur gleichen Zeit, in der Trump Mexikaner als Vergewaltiger beschimpft, finden 57 Prozent der US-Amerikaner, dass Einwanderer unsere Gesellschaft bereichern. 1994 waren es nur 31 Prozent. Das zeigen die renommierten Pew-Umfragen (das Pew Research Center ist ein unabhängiges Meinungsforschungsinstitut, Anm.). Das Image der Einwanderer ist also so gut wie nie zuvor!

In Europa wird von Migranten erster, zweiter und dritter Generation gesprochen und darüber, ob und wie sie sich anpassen. Sieht man das in den USA entspannter?

Mit Ausnahme von den indigenen Völkern sind wir alle Abkömmlinge von Migranten. Ich wurde neulich auf einer Konferenz gefragt, ob der demografische Wandel sich auf die transatlantischen Beziehungen auswirken wird. Bis etwa 2050 wird der Anteil der nicht-hispanischen, weißen Amerikaner unter fünfzig Prozent fallen. Meine Antwort lautete: Das ist absolut irrelevant! Als ob sich die USA auf einmal nach Asien wenden, bloß weil der Anteil der weißen US-Bürger fällt. Das ergibt doch keinen Sinn.

Die Distanz zwischen den USA und Europa hat sich während der Obama-Doktrin vergrößert. Ihm wurde vorgeworfen, sich nicht besonders für Europa zu interessieren, als es um die Finanzkrise oder die Flüchtlingskrise ging.

Wie bitte haben die USA Europa in der Flüchtlingskrise im Stich gelassen? Das gefährlichste Land der Welt ist Honduras. Wie viele Flüchtlinge aus Honduras hat die EU aufgenommen?

Honduras ist ziemlich weit entfernt von Europa.

Glaube ich, dass wir mehr syrische Flüchtlinge aufnehmen sollten? Sicher. Sind wir besonders gefährdet, Opfer von Terroranschlägen? Sicher. Sind wir hyper-vorsichtig? Ja, vielleicht dauert das Durchleuchten von Einreisenden an unseren Grenzen manchmal zu lang. Aber Syrien und Afghanistan sind nicht die einzigen Länder auf der Welt, die Flüchtlinge produzieren. Ich finde diese Art der Kritik also nicht ernst zu nehmend. Obama hat immer wieder bekräftigt, wie wichtig ihm Europa ist. Trotzdem bin ich nicht mit all seinen außenpolitischen Entscheidungen einverstanden - auch wenn ich ihn zwei Mal gewählt habe.

Zur Person

Michael Haltzel studierte Europäische Geschichte und Internationale Beziehungen in Yale und Harvard. Er war außenpolitischer Berater des Senators und späteren Vizepräsidenten Joe Biden. Haltzel war leitender US-Gesandter bei OSZE-Konferenzen in Warschau, Kopenhagen und Wien. Hier sprach er zuletzt im Rahmen der von Eva Nowotny kuratierten Reihe "Transatlantica" im Bruno-Kreisky-Forum für internationalen Dialog.