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Gesellschaft der Angst

Von Michael Schmölzer

Politik

"Knallgeräusche" sorgen an der Côte d’Azur für Chaos. Panik nach Flashmob in Spanien. JFK-Terminal 8 wurde nach "Schüssen" evakuiert.


Paris/Madrid/New York. Die Terror-Serien der vergangenen Wochen und Monate in Deutschland, Belgien, Frankreich und den USA haben für ein permanentes Gefühl der Unsicherheit und Angst gesorgt. Auch bei den Behörden liegen die Nerven blank. Eine Rette-sich-wer-kann-Stimmung macht sich breit, die teilweise paranoide Züge angenommen hat.

Nicht anders sind Vorfälle zu erklären, die sich zuletzt in Europa und in den USA zugetragen haben. Im französischen Juan-les-Pins an der Côte d’Azur etwa kam es zu einer Massenpanik, nachdem Menschen Knallgeräusche wahrgenommen hatten. Völlig unklar ist, ob Kracher aus einem fahrenden Auto geworfen worden waren, ob ein defekter Motor knallte oder ob es überhaupt zu einer Geräuschentwicklung in diese Richtung gekommen war. Der Lokalradiosender France Bleu Azur berichtete, dass panische Menschen die Flucht ergriffen und Schutz in geschlossenen Räumen gesucht hatten. Laut dem Sender soll es 40 Verletzte gegeben haben - womit man das Ausmaß des Chaos erahnen kann. Augenzeugen berichteten von ziellosen Menschen, die Außenterrassen vieler Lokale seien verwüstet gewesen, überall habe man umgeworfene Tische und Stühle sehen können. Feuerwehr und Notärzte waren im Einsatz, die Polizei sperrte das Gebiet weiträumig ab.

Unbehagen im Urlaub

Ein ständiges und unterschwelliges Unbehagen ist es, das sich nicht nur auf Frankreich beschränkt. Denn Kurioses ereignete sich vor einigen Tagen in Spanien, im Urlaubsort Platja d’Aro an der Costa Brava. Deutsche Reiseleiterinnen organisierten einen Flashmob mit rund 200 Teilnehmern - der mit einer Massenpanik, einem Polizeieinsatz und Festnahmen endete. Über soziale Netzwerke hatte sich eine Gruppe formiert, die "Paparazzi" nachahmend mit Fotoapparaten ausgestattet vorgaben, eine berühmte Person zu verfolgen. Zahlreiche Einheimische und Urlauber dachten, bei der am späten Dienstagabend schreiend durch den Ort rennenden Menge handle es sich um Terroristen.

Die Zeitung "El País" berichtete, viele ahnungslose Menschen, die die Szene von Cafés aus beobachteten, hätten die Kameras und Selfie-Sticks irrtümlich für Waffen gehalten und seien in Panik in alle Richtungen davongestoben. Der Polizei sei es nur mit Mühe gelungen, das Chaos wieder unter Kontrolle zu bringen. Die örtliche Polizeistation warnte umgehend, dass solche Aktionen zu unterlassen seien. Es sei ein "geistloses Simulieren eines Angriffs" gewesen und würde tatsächliche Verbrechen verzerren, hieß es in der Polizeiwarnung, die über die sozialen Medien verbreitet wurde. Die Organisatorinnen des Flashmobs wurden festgenommen.

Die omnipräsente Angst vor Terroranschlägen war auch Vater eines Fehlalarms, der in der Nacht auf Montag Teile des New Yorker Flughafens John F. Kennedy lahmlegte. Mehrere Passagiere wollten dort Schüsse gehört haben, die Polizei evakuierte deshalb Terminal 8. Es wurden laut Flughafenbehörde aber weder Patronenhülsen noch sonstige Hinweise auf Schüsse gefunden. Einige Flieger konnten nur mit Verspätung starten, sonst war nicht viel passiert.

Jeder ist verdächtig

Zu denken gibt aber der Umstand, dass es Terroristen offenbar gelungen ist, eine Massenpsychologie der Angst zu verbreiten und zu verankern. Zwar wird nach jedem Terroranschlag betont, dass man sich von islamistischen Terroristen nicht von der westlichen Lebensart abbringen lassen werde. Szenen wie die zuvor geschilderten lassen aber den Verdacht aufkommen, dass viel an Vertrauen zerstört worden ist. Auch der Charme der Côte d’Azur kann nicht verhindern, dass man verstohlen nach möglichen Gefahrenquellen Ausschau hält.

Nicht nur einmal gab es auf den Flughäfen dieser Welt kurz vor dem Start einen Polizeieinsatz, weil ein Passagier mit orientalischem Aussehen nervös wirkte, im Koran blätterte oder angeblich gerade eine Anleitung zum Zünden einer Bombe studierte.

Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat das neue Lebensgefühl auf den Punkt gebracht: In seinem Buch "Gesellschaft der Angst" stellt er fest, dass wir in einer Welt mit schwankendem Boden leben und einer verstörenden Ungewissheit ausgesetzt sind. Bude bezieht sich dabei nicht nur auf Terroranschläge - er beschreibt eine Mittelklasse, die sich in ihrem Status bedroht und mit Blick auf die Zukunft gefährdet sieht. Die Furcht vor dem Terror treibt das Grundgefühl der Angst auf die Spitze.