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Vom "ewigen Verlierer" zum Landesvater

Von WZ-Korrespondent Andreas Schneitter

Politik

Schimon Peres, der frühere israelische Staats- und Ministerpräsident, ist im Alter von 93 Jahren verstorben.


Tel Aviv. Israel hat seine letzte Gründerfigur verloren. Schimon Peres, der ehemalige Staats- und Ministerpräsident des jüdischen Staates, ist in einem Krankenhaus in Tel Aviv im Alter von 93 Jahren an den Folgen eines Hirnschlages verstorben, den er vor zwei Wochen erlitten hatte.

"Es gibt keine Lösung außer einer gerechten Lösung", sagte Schimon Peres im vergangenen Februar im amerikanischen Magazin "Time" während eines seiner letzten großen Interviews zur Zukunft des Friedensprozesses zwischen Israelis und Palästinensern. "Und über ein anderes Volk zu herrschen, ist keine gerechte Lösung." Wenige Vertreter der israelischen Politik konnten sich in den vergangenen Jahren solche Worte erlauben, ohne von den tonangebenden rechtsnationalen Parteien zerpflückt zu werden.

Schimon Peres konnte. Zwei Jahre zuvor, im Sommer 2014, gab er mit der Präsidentschaft sein letztes Amt ab in der Geschichte des Staates, den er seit dessen Gründung 1948 mitgeprägt hatte. Während seiner siebenjährigen Amtszeit als Staatspräsident, eine Position, die wie in Österreich mehr repräsentative denn gestaltende Funktion hat, war Peres eine mahnende Stimme gegen Regierungschef Netanjahu.

Peres contra Netanjahu

Peres rühmte Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, den er seit Jahrzehnten kannte, als vertrauenswürdigen Partner, Netanjahu hingegen betrachtete seinen Amtskollegen in Ramallah als Hindernis für den Frieden.

Peres lobte US-Präsident Obama für dessen Einsatz für die Sicherheit Israels, Netanjahu misstraute den Absichten Washingtons. Und nicht zuletzt verteidigte Peres zeit seines Lebens die Zweistaatenlösung mit den Palästinensern, an der er während des Osloer Abkommens als israelischer Außenminister aktiv beteiligt war und dafür als Friedensnobelpreisträger gewürdigt wurde, während Netanjahu kaum mehr als Lippenbekenntnisse dafür übrig hat.

Eine Politik der Koexistenz, des Ausgleichs, des Friedens und der Versöhnung vertrat Peres in seinen letzten Jahren, wofür nicht zuletzt das nach ihm benannte Friedenszentrum in der alten, arabisch dominierten Hafenstadt Jaffa im Süden von Tel Aviv steht. In fast allen Umfragen der vergangenen Jahre kürte die israelische Gesellschaft Schimon Peres zum beliebtesten Politiker des Landes, weit vor Netanjahu - und zollte ihm damit jenen Respekt, der ihm als Aktivpolitiker regelmäßig versagt wurde.

Dreimal war Peres israelischer Regierungschef, ohne je eine Wahl gewonnen zu haben. 1977 übernahm er das Amt nach dem Rücktritt seines Weggefährten wie Rivalen in der israelischen Arbeitspartei, Jitzhak Rabin, um im selben Jahr die erste Wahlniederlage seiner Partei gegen den aufstrebenden Rechtsblock des Likud verantworten zu müssen.

1984 platzierte ihn ein Rotationsabkommen mit dem Wahlsieger und Koalitionspartner Jitzhak Schamir für zwei Jahre im höchsten Amt, und 1995 rückte er für den ermordeten Rabin erneut nach, um ein Jahr später gegen den aufstrebenden Hardliner Netanjahu zu verlieren. Selbst als Peres im Jahr 2000 erstmals für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte, unterlag er dem Kandidaten des Likud, Mosche Katzav.

Der verbüßt heute im Gefängnis eine Haftstrafe wegen Vergewaltigung. Das Wort des "ewigen Verlierers" begleitete Peres während langen Jahren seines Politikerlebens. 1923 in Wischnewa geboren, damals Polen, heute Weißrussland, wanderte er mit seiner Familie 1934 in das britische Mandatsgebiet Palästina aus und verbrachte seine Jugendjahre im Kibbuz. In die Politik fand er nicht über den damals üblichen Weg der Militärkarriere, sondern als Funktionär in der Jugendabteilung der israelischen Gewerkschaftsbewegung Histadrut, wo er als Generalsekretär amtierte.

Entdeckt von Ben-Gurion

Staatsgründer David Ben-Gurion erkannte das politische Talent des jungen Peres und ermöglichte ihm eine Karriere im Verteidigungsministerium, wo Peres für die Aufrüstung der nationalen Armee des noch jungen Staates zuständig war. Vom deutschen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß erhielt er in einem geheim gehaltenen Abkommen unter anderem Panzer und Helikopter, von Frankreich Kampfflugzeuge und Unterstützung für den Bau einer Kernanlage in der Negev-Wüste.

Mit der "Operation Samson", dem israelischen Programm zur Herstellung von Nuklearwaffen, beauftragte Ben Gurion ihn persönlich. Von Peres stammt die Aussage, Israel werde unter Garantie nicht der erste Staat sein, der Nuklearwaffen in Nahost einführe. Der bewusst vage gehaltene Satz gilt noch heute als offizielle Position des Staates zu seinem Atomprogramm.

Als Zionist im Geiste Ben Gurions und Theodor Herzls war dem Politiker Peres die Vision zur Bildung eines wehrhaften, säkularen jüdischen Nationalstaates stets wichtiger als die Beseitigung der sozialen Ungleichheit und demokratischen Defizite in der israelischen Gesellschaft. Unter dem Eindruck der Kriege gegen die arabischen Nachbarstaaten ließ er es als Verteidigungsminister in den 70er Jahren an der Seite von Regierungschef Rabin zu, dass sich im 1967 von Israel eroberten Westjordanland die nationalreligiöse Siedlerbewegung festzusetzen begann.

Peres und Rabin zögerten, dem pionierartigen Enthusiasmus der Siedler, der selbst altgedienten, in der Kibbuz-Bewegung sozialisierten Zionisten Bewunderung abrang, einen Riegel vorzuschieben. Als Premier versäumte er, wie andere aus Europa stammende Politiker, die seit der Staatsgründung das Establishment bildeten, die gesellschaftliche Diskriminierung der Juden aus Nordafrika und Nahost in Israel einzudämmen. Und wie Rabin schlug auch ihm in den 90er Jahren und nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens mit Palästinenserpräsident Arafat der Hass des rechten israelischen Lagers entgegen.

Zum Landesvater aller Israelis wurde er erst ab 2007, im hohen Alter als Staatspräsident. Peres, letzter Politiker aus Israels Gründerzeit, weckte in weiten Teilen der Bevölkerung melancholische Nostalgie an eine Zeit, als das Land weniger gespalten, weniger unter internationalem Druck und stärker als Gemeinschaft wahrgenommen wurde. Er stand noch für jene Generation, die den Staat einst gründete, um als "Leuchtturm unter den Völkern" ein Vorbild für die Welt zu sein.

Israel würdigt Peres mit einem Staatsbegräbnis am Freitag. US-Präsident Barack Obama wird ebenso wie Hillary Clinton und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel an den Feierlichkeiten am Herzl-Berg in Jerusalem teilnehmen. Österreich wird von Nationalratspräsidentin Doris Bures in ihrer Funktion als Vorsitzende des Präsidentschafts-Kollegiums, Alt-Präsident Heinz Fischer und Außenminister Sebastian Kurz vertreten sein.