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Paranoider Kontrollwahn

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
Hat gut lachen: Putin baut seine Machtfülle aus. 
© eu/Karpukhin

Wladimir Putin plant anscheinend den Aufbau eines zentralen Ministeriums für Staatssicherheit.


"Wiener Zeitung": Die russische Tageszeitung "Kommersant" hat zuletzt von Plänen berichtet, dass in Russland ein zentrales Ministerium für Staatssicherheit gegründet werden soll. Manche Russen fühlen sich an die Stalin-Ära erinnert. Für wie realistisch halten Sie es, dass der Plan umgesetzt wird?

Andrej Soldatow: In den vergangenen eineinhalb Jahren haben wir eine Mobilisierung des gesamten Staatsapparates gesehen: einerseits durch Repressionen nach innen, andererseits durch die Gründung neuer Institutionen wie der - dem Kreml direkt unterstellten - Nationalgarde. Außerdem ist der Inlandsgeheimdienst (FSB) zu seinen traditionellen Tätigkeiten wie der Spionagebekämpfung zurückgekehrt. Diese Pläne fügen sich somit in dieses allgemeine Bild der jüngsten Zeit.

Was könnte so ein "Superministerium der Geheimdienste" bedeuten?

Ich habe den Eindruck, dass sich die Rolle der Geheimdienste verändert. Was ihre Funktionen betrifft, so hat sich der FSB doch stark vom KGB unterschieden: Der FSB hat sich ideologischen Fragen gewidmet. In den ersten beiden Amtszeiten von Präsident Wladimir Putin (2000-2008, Anm.) war der FSB eine wichtige Ressource für Nachbesetzungen im Staatsapparat. Diese Funktion hat der FSB jetzt nicht mehr. Jetzt werden Leute aus anderen Geheimdiensten - faktisch persönliche Leibwächter von Putin - ernannt. Ich befürchte, dass die Geheimdienste wieder zum Modell des sowjetischen KGB zurückkehren und wie damals zu einem reinen Instrumentarium zur Kontrolle der Gesellschaft werden.

Wo sehen Sie die Ursache dafür, dass sich die Funktion des FSB unter Putin so radikal geändert hat?

Putin ist schon seit längerem unzufrieden mit der Arbeit der Dienste. Wenn es politische Herausforderungen für Putin gegeben hat, dann hat das nicht der FSB gelöst, sondern seine politischen Berater. Viele Jahre lang hat Putin zudem auf die Probleme in den Geheimdiensten nicht besonders effizient reagiert: Er hat einfach immer wieder neue, parallele Institutionen geschaffen. Er hat die Anzahl der Spieler auf dem Feld erhöht. Aber jetzt wird dieses System umstrukturiert.

Sehen Sie einen Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2018?

Ich habe versucht, die rationalen Gründe zu analysieren. Hier gibt es aber auch emotionale Momente: Es ist auffällig, dass die Beamten in Moskau nervös sind. Sie waren vor den jüngsten Dumawahlen nervös, und sie sind es auch jetzt, vor den Präsidentschaftswahlen. Ich kann das ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, weil ich keine wirkliche innere, politische Gefahr für Putin sehe, keine Opposition, keine Proteste. Möglicherweise ist es ein gewisses Maß an Paranoia.

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb zuletzt von einem "symbolischen Schritt zu noch mehr offener Repression"...

Das ist nicht zwingend so. Natürlich, der Name des Ministeriums - Ministerium für staatliche Sicherheit (MGB) - klingt schrecklich. Das MGB hat es in der Sowjetunion von 1946 bis zu Stalins Tod 1953 gegeben. Das ist eine klare Botschaft: Es geht darum, die Leute einzuschüchtern, vor allem die liberale Intelligenzija. Aber ich denke, Putin bezieht sich immer auf seine eigene persönliche Erfahrung und die persönliche Erfahrung seiner Leute. Er erinnert sich gut an die späten 1970er, frühen 1980er Jahre. In dieser späten sowjetischen Zeit gab es keine massenhaften Repressionen, sondern vielmehr einzelne, gezielte Repressionen; das System war nach dem Prinzip der Einschüchterung aufgebaut. Ich denke nicht, dass Putin bereit ist, wirklich massenhaft Leute einzusperren. Es geht ihm vielmehr um Einschüchterung.

Deswegen auch dieser Name, eine Anlehnung an die Stalin-Zeit?

Es ist ein Signal, dass man zu den Sowjetzeiten zurückkehrt. Selbst wenn es kein Ministerium wird, sondern ein Dienst oder eine Agentur - das Wort "Staatssicherheit" ist ein deutliches Signal. Dabei geht es nicht um die Sicherheit der Menschen oder um die Sicherheit des Landes, sondern ausschließlich um die Sicherheit des Regimes.

Manche sind der Meinung, dass es durch die Konkurrenz zwischen den Geheimdiensten zumindest eine gewisse Offenheit und Pluralität im russischen System gibt. Ist das jetzt vorbei?

Die Kämpfe zwischen den Clans und den Silowiki (Mitarbeiter der Sicherheitsdienste, Anm.) sind schon vor ein paar Jahren zu Ende gegangen. Wirkliche Kämpfe gibt es jetzt nicht mehr. Das System wurde mit Repressionen zentralisiert. Jetzt wird das nur noch institutionalisiert.

In einem aktuellen Beitrag auf Ihrer Nachrichtenseite agenta.ru schreiben Sie davon, dass das Modell der Geheimdienste an die neue Ära nach der Krim-Annexion 2014 angepasst wird. Was meinen Sie damit?

Dieser Prozess begann Anfang des Vorjahres. Eigentlich mit dem Fall Swetlana Dawydowa (die Hausfrau wurde wegen Landesverrats angeklagt, weil sie die ukrainische Botschaft informiert hatte, dass Soldaten aus einem nahe gelegenen Militärstützpunkt in die Ukraine entsendet worden seien, Anm.). Vor der Annexion der Krim haben wir kaum solche Spionagefälle gesehen, danach sind die Fälle aber stark angestiegen. Das ist eine neue Ära - eine traditionelle Methode, um die Leute einzuschüchtern.

Warum fällt das gerade in die Zeit nach der Annexion der Krim?

Das Modell Putin basierte zuvor auf der Annahme, dass das Volk passiv ist. Als es 2011/12 zu Protesten kam, musste Putin einen Weg finden, wie er darauf reagiert. Er hat das Schema verändert: Die Leute wurden gegen einen Feind, insbesondere gegen die Ukraine, mobilisiert. Der Kampf gegen Spione ist eine sehr traditionelle Methode, um den Grad der Mobilisierung in der Bevölkerung hoch zu halten.

Russland steckt in einer Wirtschaftskrise. Ist die Bündelung der diversen Geheimdienste vielleicht auch eine Möglichkeit, Ressourcen zu sparen?

Nein, das denke ich nicht. Im Gegenteil: Die Nationalgarde, die zuletzt gegründet worden ist, kostet viel Geld. Wenn es um die Sicherheit des Regimes geht, spielt Geld überhaupt keine Rolle.

Information: Das Ministerium für Staatssicherheit

Die Nachricht platzte herein, als ganz Russland gerade auf die ersten Ergebnisse der Parlamentswahlen wartete. Am 19. September berichtete der seriöse und insgesamt regierungsfreundliche "Kommersant", dass der Kreml noch vor der Präsidentenwahl 2018, bei der Wladimir Putin erneut antreten dürfte, einen Supergeheimdienst schaffen will, der praktisch über alle Vollmachten des 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgelösten Komitees für Staatssicherheit KGB verfügt.

In dem neuen Ministerium für Staatssicherheit (MGB) sollen Inlandsgeheimdienst FSB und Auslandsgeheimdienst SWR zusammengefasst werden sollen. Die meisten Abteilungen des Föderalen Sicherheitsdienstes FSO, der für Bewachung, Beförderung und sichere Kommunikation von Präsident und Regierung zuständig ist, solle ebenfalls in dem neuen Superministerium aufgehen, so das Blatt, das sich auf nicht namentlich genannte Informanten aus den Sicherheitsstrukturen beruft.

Daneben soll das künftige Geheimdienstministerium erheblichen Einfluss auf den Verlauf von Ermittlungen bei Kriminalfällen bekommen. Dazu ist eine drastische Aufwertung der bisherigen Ermittlungsabteilung des FSB geplant: Eine neue Abteilung des Superministeriums soll die Möglichkeit zur Kontrolle und Leitungsfunktion in Ermittlungsverfahren erhalten, die vom Innenministerium und dem staatlichen Ermittlungskomitee (SKR) eingeleitet werden.

Verlierer Bastykin

Das von Putin 2011 als eigenständige Behörde installierte Ermittlungskomitee selbst, eine Art russisches FBI, dürfte wieder in eine Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft verwandelt werden. In den vergangenen Wochen war in Moskau wiederholt über einen bevorstehenden Rücktritt des bisher mächtigen Chefs des Föderalen Ermittlungskomitees SKR, Aleksandr Bastrykin, spekuliert worden. Dabei gehörte Bastykin einst zum allerengsten Machtzirkel um den Kremlchef; 2006 ernannte Putin seinen Jugendfreund, mit der er an der Leningrader (St. Petersburger) Universität Jus studierte, zum stellvertretenden Generalstaatsanwalt.

Die geplanten Maßnahmen, so die Moskauer Zeitung, sollen zu einer effektiveren Steuerung der Strafverfolgung und zur Dezimierung von Korruption in den Behörden führen. Korruptionsskandale im Ermittlungskomitee sowie im Innenministerium hatten in den vergangenen Wochen wiederholt für Schlagzeilen gesorgt.

Kritische Kommentare zu den kolportierten Reformen und zur möglichen Machtfülle des Supergeheimdienstes kommen von liberalen Intellektuellen. Der Ex-Abgeordnete Gennadi Gudkow meinte kürzlich, das Regime wandle sich von autoritär in totalitär um.

Andrej Soldatow ist russischer Journalist und Geheimdienstexperte. Mit seiner Frau Irina Borogan gründete er 2000 das Onlineportal agentura.ru, das über Nachrichtendienste in Russland informiert. 2010 hat das Paar in New York das Buch "The New Nobility - The Resurrection Of The Russian Security State And The Enduring Legacy Of The KGB" über den Inlandsgeheimdienst FSB veröffentlicht. Soldatow wurde 1975 in Moskau geboren.