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"Saudi-Arabien muss sich zurückziehen"

Von Siobhán Geets

Politik

Bei dem Konflikt im Jemen handle es sich keinesfalls um einen Stellvertreterkrieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, sagt die saudi-arabische Journalistin Safa Al-Ahmad.


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Wenn sich Saudi-Arabien zurückzieht, "würde es nicht das Ende des Krieges bedeuten, aber den Menschen das Überleben erleichtern", sagt die Journalistin Safa Al-Ahmad.
© Kati Bruder

Sanaa/Wien. Als 2011, inspiriert von den Revolten in der arabischen Welt, eine breite Bewegung im Jemen das autoritäre Regime von Ali Abdullah Saleh zur Abdankung zwang, schien der Weg zu einer demokratischen Gesellschaft einen Moment lang offen zu sein. Die politische Transformation scheiterte jedoch und führte zu einem Krieg, der im Westen kaum wahrgenommen wird. Eineinhalb Jahre nach Beginn der von Saudi-Arabien geführten Militärintervention im Jemen benötigen mehr als 80 Prozent der 21 Millionen Einwohner des Jemen humanitäre Hilfe, rund drei Millionen wurden durch den Krieg zu Binnenflüchtlingen. Für ihren Film "Al Qaeda in Yemen" erhielt die saudi-arabische Journalistin Safah Al-Ahmad 2015 den Index on Censorship Freedom of Expression Award for Journalism.<p>"Wiener Zeitung": Der Iran und Saudi-Arabien führen Stellvertreterkriege in Syrien und im Jemen. Dort unterstützt der Iran die schiitischen Huthi-Rebellen gegen die Truppen von Staatschef Abed Rabbo Masur Hadi. Saudi-Arabien gelingt es seit eineinhalb Jahren nicht, die Huthi zu schlagen . . .<p>Safa Al-Ahmad: Was im Jemen passiert, ist kein Stellvertreterkrieg. Saudi-Arabien will es so aussehen lassen, und der Iran ist brillant darin, sich Dinge anrechnen zu lassen, die er nicht getan hat. Die Beziehung zwischen dem Iran und den Huthi-Rebellen im Jemen kann nicht mit jener zwischen dem Iran und der libanesischen Hisbollah verglichen werden. Teheran nimmt hier nicht so direkt Einfluss. Obwohl nicht von einem Stellvertreterkrieg gesprochen werden kann, verkaufen die Saudis das so, um ihre Intervention zu rechtfertigen. Dabei ist die Verstrickung Saudi-Arabiens im Jemen älter, sie geht viel tiefer. Es fließt Geld von den Saudis, sie beeinflussen die Regierung und die Stämme. Dieser Einfluss kann nicht verglichen werden mit jenem des Iran auf die Huthi. Sie sind erst mit dem Krieg näher an Teheran herangerückt als je zuvor. Wenn es in Medien heißt, "vom Iran unterstützte schiitische Miliz", dann ärgert mich das, weil es nicht stimmt. Die Realitäten liefern hierfür keine Beweise.<p>

Was zeigen die Realitäten?<p>Sie sind äußerst komplex. Wir hatten im Jemen einen Bürgerkrieg, lange bevor die Saudis und ihre Allianz mit den Luftangriffen begonnen haben. Die Huthi, oder Ansar Allah (Helfer Gottes, Anm.), wie sie sich selbst nennen, waren eine kleine Gruppe in den nördlichen Bergen, an der Grenze zu Saudi-Arabien. Ali Abdullah Saleh, Präsident bis 2011, hat sechs Kriege gegen sie geführt. Gleichzeitig gab es ab 2007 eine Sezessionsbewegung im Süden des Landes. Diese beiden Konflikte hat die Regierung entweder verschärft oder ignoriert. Nach 2011, mit der arabischen Revolution und dem neuen Präsidenten Abd-Rabbu Mansur Hadi, hieß es, es werde nun einen nationalen Dialog geben, man werde die Korruption bekämpfen. Nichts davon ist passiert. Auch Hadi war korrupt und unfähig - er hatte aber die Komplizenschaft der Saudis und der Vereinten Nationen.<p>Wie hat die Arabellion die Entwicklungen im Jemen beeinflusst?<p>In den Jahren 2012 und 2013 hätte es echte Veränderung geben können, wenn der Präsident das Potenzial erkannt hätte. Er hätte den wirtschaftlich zerstörten Norden des Landes rehabilitieren können. Die Menschen dort haben ein Jahrzehnt des Krieges überlebt, niemand hat ihnen geholfen. Die friedlichen sezessionistischen Proteste im Süden ab 2007 wurden ignoriert oder zerschlagen. Ich habe dort 2012 gedreht und war jede Woche auf einer oder zwei Beerdigungen. Die Menschen wurden komplett entrechtet. Im September 2014 nahmen die Huthi die Hauptstadt Sanaa binnen nur drei Tagen ein. Präsident Hadi hat weder gekämpft noch ist er geflohen. Er unterzeichnete ein Abkommen mit den Rebellen. Es sind also nicht nur die Saudis, die den Jemen in diese Schwierigkeiten stürzen. Es gibt hier mehrere Ebenen. Aber ja, sie spielen eine Rolle und wollen Hadi wieder installieren, dabei hat er noch nie etwas zustande gebracht. Sie werden im Jemen kaum jemanden finden, der ihn zurückhaben will.<p>Was sollte geschehen?<p>Die Saudis und ihre Allianz müssen sich zurückziehen. Das würde nicht das Ende des Krieges bedeuten, aber den Menschen das Überleben erleichtern. Derzeit ist das Land geprägt von Hungersnöten und Massakern. Es ist eines der ärmsten Länder, ohne funktionierende Regierung. Das heißt nicht, dass der Kampf der Huthi oder die Situation im Süden damit geklärt wären. Aber es würde den Menschen Raum geben.<p>Was ist das Ziel der Saudis in diesem Konflikt?<p>Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, was die Rechtfertigung für diesen Krieg war. Ich glaube das Stellvertreterkrieg-Argument genauso wenig wie die Behauptung, dass die Huthi an der Grenze eine Gefahr für Saudi-Arabien darstellen sollen - das gab es auch 2009 schon. Ich denke, die Saudis sind da rein ohne zu wissen, wie sie wieder rauskommen. Die Amerikaner sind auch ohne Exit-Plan im Irak und in Afghanistan einmarschiert. Ich denke, die internen Entwicklungen in Saudi-Arabien sind entscheidend für die Lage im Jemen. Selbst das Massaker an der Trauerfeier vorige Woche mit rund 140 Toten ändert nichts. Sie haben schon davor Krankenhäuser, Schulen, Hochzeitsfeste bombardiert. Viel wichtiger sind etwa die Entwicklungen in den USA und ob die neue Führung intervenieren wird.<p>Wie wurde in Saudi-Arabien über den Luftangriff berichtet?<p>Sie gaben gar nicht zu, dass es sich um einen Luftschlag gehandelt hatte. Es war die Rede von einem internen Disput der Huthi - oder des IS.<p>Wie stark ist Al-Kaida im Jemen und wie weit der IS verbreitet?<p>Al-Kaida ist dort viel stärker als der IS und schon viel länger präsent. Al-Kaida hat ihre Waffenbrüder im Jemen, sie kämpfen an der Front und haben ihre Leute in den Stämmen. Das sind keine Ausländer, sondern Jemeniten. Der IS ist kleiner, jünger und mit wenigen Ausnahmen nicht an den Kämpfen beteiligt. Das kann man mit der Lage in Syrien nicht vergleichen. Die Dynamik von Aqap (Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel, Anm.) im Jemen ist viel komplexer. Sie haben viel rekrutiert, sie benutzen eine sektiererische Sprache. Die Huthi begehen Kriegsverbrechen im Jemen, sie belagern Städte, bombardieren Krankenhäuser. Beide Seiten begehen Verbrechen, keine Frage. Doch die Saudis haben mehr Kapazitäten und daher auch mehr Zerstörkraft.<p>Wie sehr geht es bei dem Konflikt tatsächlich um Religion?<p>Kaum. Es geht um Macht und Kontrolle. Zwar ist die Sprache, die genutzt wird, ebenso sektiererisch wie im Rest der Region - das hilft bei der Rekrutierung. Doch eigentlich geht es um etwas anderes. Das gilt auch für Syrien. Diese Dichotomie zwischen Sunniten und Schiiten ist erst mit der Zeit entstanden. Die Sprache grenzt die jeweils anderen aus. Dasselbe passiert im Jemen. Wer sagt, die Huthi-Miliz werde vom Iran unterstützt, tut so, als würde es sich hier um denselben Glauben handeln. Das stimmt aber nicht - die Zaiditen, zu denen die Huthi gehören, stehen dem sunnitischen Islam viel näher als dem schiitischen. Deswegen schrecken viele davor zurück, den Zaidismus zu erklären - es würde dann viel zu kompliziert. Journalisten, die sagen, der Iran unterstützt die Huthi, legen keine Beweise dafür vor. Ich weiß, dass die Saudis beteiligt sind. Beim Iran ist das sehr schwer zu beweisen.<p>Manche Experten sprechen von einem schiitischen Dschihad, der sich vor allem in Syrien und im Jemen abspiele.<p>Auf Syrien und den Irak trifft das zu, aber nicht auf den Jemen. Derzeit erleben die Schiiten eine Transformation. Sie haben die Macht im Irak, sie haben die starke Hisbollah. Ich würde aber nicht von einem Dschihad sprechen. Sie rekrutieren nicht in aller Welt, wie das der IS tut. Es handelt sich nicht um dasselbe Phänomen, es ist eine sehr lokale Angelegenheit. Das heißt aber nicht, dass sich das nicht ändern kann.<p>Wie gestaltet sich Ihre Arbeit als Journalistin in der Region?<p>Es ein logistischer Albtraum, überhaupt in den Jemen hinein zu kommen. Man muss per Boot anreisen, es gibt keine Flughäfen. Man braucht ein Visum und eine Reihe von Genehmigungen. Es ist sehr teuer geworden, das macht die Arbeit für selbständige Journalisten schwierig. Zudem ist das Interesse am Jemen nicht sehr hoch, alle blicken nach Syrien. Das Sektierertum macht es schwer, die Geschichten auszubalancieren. Man will nicht wirken, als wäre man parteiisch.

Zur Person:

Safa Al-Ahmad, geboren 1977, ist eine saudi-arabische Journalistin und Filmemacherin. Seit dem Beginn der Arabellion 2011 arbeitet sie hauptsächlich zu Saudi-Arabien und dem Jemen. Ahmad war auf Einladung des Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC) in Wien.