Zum Hauptinhalt springen

Irakische Armee erreicht Mossul

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Der Sturm auf die Millionenstadt nähert sich dem letzten Akt. Der IS wehrt sich verzweifelt mit Sprengfallen und Selbstmordkommandos. Indessen wächst der Widerstand der Bevölkerung gegen die Terrormiliz.


Bagdad. Sie kämpfen mit allen Mitteln. In der Schlacht um Mossul verteidigen sich die Dschihadisten des "Islamischen Staates", IS, mit Sprengfallen, Selbstmordattentätern und Scharfschützen. Zwei Wochen lang konnten sie die Angreifer damit aufhalten, aber nicht stoppen: Irakische Sicherheitskräfte haben sich nun im Osten bis an die Grenze der Großstadt herangekämpft, ob einzelne Einheiten in die Metropole eingedrungen sind, ist unklar.

Es wird vermutet, dass sich viele IS-Kämpfer aus den umliegenden Dörfern nach Mossul zurückgezogen haben, um ihre Bastion zu verteidigen. Aus dem Militäroberkommando in Bagdad verlautet, dass die Regierungstruppen nun aus drei Richtungen angreifen. Eliteeinheiten der Armee hätten den Ort Baswaja, das letzte Dorf vor den Außenbezirken Mossuls, eingenommen. Die Soldaten würden nun versuchen, die Dschihadisten aus dem Vorort Gogdschali zu vertreiben. Auch von Norden her seien die Truppen weiter an die Stadt herangerückt.

Eliteeinheiten hätten am Dienstag die Stadtgrenze erreicht und diese überquert, meinte der Chef der Anti-Terror-Kräfte, Talib Shaghati. "Wir haben nun mit der eigentlichen Befreiung Mossuls begonnen."

In der Umgebung von Mossul nahmen kurdische Milizen fünf Ortschaften ein, Armee-Einheiten rücken von Süden weiter auf die Stadt vor. Schiitische Milizen haben angekündigt, die Verbindung zwischen Mossul und Rakka in Syrien einzunehmen, um IS-Kämpfern den Fluchtweg abzuschneiden. Auch türkische Truppen stehen zum Angriff bereit. Vor gut zwei Wochen hatten die irakische Armee, kurdische Peschmerga-Kämpfer und lokale Milizen mit einer Großoffensive auf Mossul im Norden des Iraks begonnen. Die von den USA geführte Koalition unterstützt die Operation mit Luftangriffen. Alleine an der Front im Süden der ehemaligen Metropole wurden seit Beginn nach irakischen Militärangaben mehr als 750 Kämpfer des IS getötet.

In Mossul selbst wird die Lage von Tag zu Tag angespannter. Die irakische Nachrichtenagentur Al-Sumaria meldete gestern, Dienstag, eine heftige Explosion im Stadtzentrum. Das Ziel der Attacke sollen Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat gewesen sein. Bisher hat sich niemand zum Anschlag bekannt. Am vergangenen Donnerstag hatten irakische Milizen über dem Stab, dem Hauptquartier, des Islamischen Staates im westlichen Teil der umkämpften Großstadt die irakische Flagge gehisst. Al-Sumaria bezeichnete den Stab als einen der größten der Terrorgruppierung. Er spiele für die Kämpfer eine wichtige symbolische Rolle. Ob der Stab noch immer unter der Kontrolle der Milizen ist, kann nicht nachgeprüft werden. Doch die Meldung zeigt, dass Daesh, wie der IS im Irak genannt wird, immer mehr unter Druck gerät.

Hunde mit "Daesh"-Aufschrift

Flüchtlinge aus Mossul berichten der "Wiener Zeitung", dass der Widerstand der schätzungsweise noch verbliebenen 1,5 Millionen Einwohner gegen die Terrormiliz aus allen Gesellschaftsschichten heraus um sich greift. Selbst Taxifahrer würden den Dienst an den IS-Kämpfern verweigern, nachdem einige Wagen angegriffen wurden. Die Dschihadisten wären daraufhin gezwungen gewesen, spezielle Transportmöglichkeiten ins Leben zu rufen. Mit bewaffneten Eskorten würden IS-Taxis verletzte Kämpfer ins Krankenhaus oder die Familien der IS-Mitglieder zum Supermarkt oder auf den Marktplatz transportieren. Neulich habe es heftige Schusswechsel in der Innenstadt von Mossul gegeben, erzählt ein Flüchtling. Wie sich dann herausstellte, hätten IS-Kämpfer Hunde erschossen, auf deren Fell mit schwarzer Farbe "Daesh" gesprüht war.

Die Kämpfe um die Stadt werden mit jedem Kilometer, den die irakischen Truppen auf IS-Stellungen vorrücken, heftiger. Ein Häuserkampf um Mossul droht auszubrechen, was die Anwohner der Gefahr einer Vertreibung aussetzt. Im schlimmsten Fall könnten laut Hochrechnungen der Vereinten Nationen bis zu einer Million Iraker vertrieben werden. Bisher konnten nach UN-Angaben rund 17.500 Menschen aus den Kampfgebieten fliehen. Allerdings werden derzeit Menschen daran gehindert, Mossul zu verlassen. Die UNO befürchtet, dass die Dschihadisten als letzte Konsequenz viele Einwohner als Geiseln halten werden, als Faustpfand in auswegloser Lage. Denn die Eroberung von Mossul wäre militärisch und symbolisch eine schwere Niederlage für die Terrormiliz. Vor zwei Jahren hatte IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi in Mossul ein Kalifat ausgerufen, das neben dem Irak auch große Teile Syriens umfassen soll. In dem IS-Herrschaftsgebiet stehen Andersgläubige unter Lebensgefahr. Viele wurden von den radikalen Islamisten getötet oder versklavt.

Während die Schlacht um Mossul tobt, diskutieren regionale und internationale Beteiligte über einen dringend benötigten Plan danach. Beobachter sind sich einig, dass ein Sieg über den IS nur noch eine Frage der Zeit sei, die Probleme danach jedoch weitaus beängstigender sein werden. Hier bedarf es einer längerfristigen Strategie.

Wie der in New York beheimatete Thinktank Soufan Group in einer Studie deutlich macht, könnte die Militäroperation zur Rückeroberung von Mossul unzählige Nebeneffekte, wie etwa Racheakte hervorbringen. Deshalb fordert die Organisation, so viele IS-Kämpfer wie möglich zu töten, um die Folgen ihrer Präsenz einzuschränken. Sollte die Zahl der getöteten IS-Kämpfer stimmen, so Soufan, hätte die Terrormiliz bereits etwa 20 Prozent ihrer geschätzten 4000 Kämpfer innerhalb Mossuls verloren, bevor der eigentliche Sturm auf die Stadt beginnt.