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Das wahr gewordene "Horrorszenario"

Von Reinhard Göweil

Politik

Die EU tut sich hart mit Trump - Juncker will ein rasches Treffen mit Obamas Nachfolger.


Brüssel. In den EU-Institutionen und den europäischen Staatskanzleien hat der Wahlsieg von Donald Trump Entsetzen ausgelöst. Zwar wird die enge Beziehung zu den USA betont, und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat Trump zu einem Treffen eingeladen, doch das Misstrauen sitzt tief.

Immerhin polterte Trump noch vor wenigen Wochen recht heftig gegen die EU. Sein Wahlsieg würde einen "Brexit mal fünf" bedeuten, sagte er bei einer Wahlveranstaltung. Seine strikte Ablehnung des transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP verstärkte in Brüssel den Eindruck, die USA unter einem Präsidenten Donald Trump würden sich von Europa abwenden - und von der Welt abschotten.

Seine frauenfeindlichen und rassistischen Äußerungen brachten viele europäische Politiker auf die Palme. Trumps Wahlsieg wäre ein "Horrorszenario", so Junckers Kabinettschef Martin Sedlmayr. Nach dem Wahlsieg zeigte sich die deutsche Verteidigungsministerin Ursula van der Leyen "geschockt".

Druck von Trump und Putin

Das allerdings könnte auch andere Hintergründe haben. Trump erklärte, dass die Nato militärisch nur Mitgliedsländern beistehen soll, die ihrer Verpflichtung, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär auszugeben, erfüllt. Deutschland liegt bei 1,3 Prozent. Die USA geben dafür 3,5 Prozent aus. Wenn Trump sein Versprechen umsetzt, würden die USA ihre Verteidigungsausgaben reduzieren, die europäischen Länder müssten sie erheblich aufstocken.

Neben der in der Nato entstehenden Unsicherheit gibt es also auch ein handfestes finanzielles Argument. Daneben befürchten die europäischen Länder, dass sich die USA aus dem Syrien-Konflikt zurückziehen könnten. Trump hat Derartiges im Wahlkampf angekündigt. Damit würde dort Russland freie Hand haben. Ob Trump den Atom-Deal mit dem Iran so belässt, ist ebenfalls unklar. In außenpolitischen Fragen hat ein US-Präsident weitgehend freie Hand.

Doch damit nicht genug, auch in wirtschaftspolitischen Fragen gibt es tiefgreifende Differenzen. Das Freihandelsabkommen TTIP etwa wird von Trump abgelehnt. Damit ist er auf einer Linie mit amerikanischen und europäischen Gewerkschaften, nicht aber mit der EU-Kommission. Die befürchtet vielmehr eine tiefergehende Abschottung des US-Marktes, nicht nur für chinesische, sondern auch für europäische Produkte. Diese Befürchtung wird in Berlin geteilt, Deutschland ist immerhin Exportweltmeister und wäre davon am stärksten betroffen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich in einer ersten Stellungnahme denn auch besonders vorsichtig. "Der Wahlkampf in diesem Jahr war ein besonderer, mit zum Teil schwer erträglicher Konfrontation. Ich habe also, wie wohl die allermeisten von Ihnen, dem Wahlausgang mit besonderer Spannung entgegengesehen", sagte sie am Mittwoch. Sie knüpfte die Zusammenarbeit allerdings klar an die "Einhaltung demokratischer Werte" wie Freiheit und Menschenwürde. Der zur SPD gehörende Außenminister Steinmeier war unfreundlicher. Er warnte vor "Verwerfungen" und dass die USA künftig "häufiger allein entscheiden" würden.

Am deutlichsten war SPD-Chef und Wirtschaftsminister Gabriel. "Trump ist der Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen", sagte er.

Die außenpolitische Beauftragte der EU und Vizepräsidentin der EU-Kommission, Federica Mogherini, twitterte diplomatisch, dass Europa nun seine eigene Stärke "wiederentdecken" müsse.

Zwar ist die EU mit einer Wirtschaftsleistung von 14.700 Milliarden Euro der größte Wirtschaftsraum der Welt, doch ziemlich verwundbar. 2600 Milliarden Euro entfallen dabei auf das Vereinigte Königreich, und das wird bis März 2019 austreten.

Der scheidende US-Präsident Barack Obama zeigte sich davon wenig erfreut und kündigte London an, Großbritannien dabei nicht zu unterstützen. Angesichts der Äußerungen von Donald Trump könnte sich dies nun ändern - was die Verhandlungsposition der EU gegenüber Großbritannien verschlechtern würde.

Zudem ist die EU vor allem bei der Digitalisierung von den fünf großen Internetkonzernen abhängig, die ihren Sitz in den USA haben: Google, Facebook, Amazon, Apple und Microsoft.

Zum anderen sendet Russlands Präsident Wladimir Putin eindeutige Signale an Donald Trump. Er gratulierte nicht nur, sondern verband damit die Hoffnung, dass eine neue Beziehung zwischen Russland und den USA entsteht. Ungesagter Zusatz: Die mit Hillary Clinton wohl nicht möglich gewesen wäre.

Nun haben die USA und die EU nach der Okkupation der Krim und der Verwicklung in die ostukrainischen Kämpfe strenge Sanktionen gegen Russland verhängt. Sollten die USA, die mit dem Dollar über die Weltwährung verfügen, die Finanzsanktionen lockern, würde die Europäische Union ziemlich allein dastehen. Schon jetzt gibt es Forderungen der europäischen Industrie, diese Sanktionen zu lockern. Dem wäre in einem solchen Fall wenig entgegenzusetzen.

Umso mehr, als die EU in erheblichen Maß von Energieimporten aus Russland und zunehmend aus den USA abhängig sind. Eine Verschärfung der politischen Gangart würde Europa ziemlich unvorbereitet treffen.

Zuletzt steckt Europa in einem politischen Dilemma, wie Experten am Mittwoch feststellten. 2017 wählen die Niederlande, Frankreich und Deutschland ihre künftige Regierung. In den Niederlanden führt die rechtspopulistische "Partei für die Freiheit" von Gert Wilders in allen Umfragen. Auch er fordert ein EU-Austrittsreferendum, das es im Fall eines Wahlerfolges auch geben würde.

In Frankreich werden nur dem konservativen Politiker Alain Juppe Chancen eingeräumt, die rechtspopulistische Marine Le Pen zu schlagen. Der amtierende Präsident François Hollande von der Sozialistischen Partei wird als chancenlos betrachtet. Und sollte der italienische Regierungschef Matteo Renzi das Verfassungsreferendum am 4. Dezember verlieren, sind auch dort 2017 Wahlen möglich. Die rechtspopulistische "5-Sterne-Bewegung" hätte die besten Chancen. Ebenfalls am 4. Dezember könnte Norbert Hofer von der FPÖ Bundespräsident Österreichs werden. Und in Deutschland steigt die rechtspopulistische AfD in der Wählergunst.

Ein solcher politischer Erdrutsch wäre von der EU kaum mehr zu stemmen. Umso mehr, als genau diese Parteien die Sympathie Trumps und die Unterstützung Putins erfahren.