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Warum er?

Von Michael Schmölzer

Politik

Die Welt traut ihren Augen nicht. Ein großmäuliger Polit-Amateur ist US-Präsident.


Wien. Donald Trump ist der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und die ganze Welt fragt sich, wie das passieren konnte. Seine Kritiker wollen lange nicht glauben, dass sich Ressentiments, Xenophobie und Rückwärtsgewandtheit durchgesetzt haben. Warum ein Rüpel, der zugibt, Frauen belästigt zu haben, zumindest die nächsten vier Jahre der mächtigste Mann der Welt sein wird. Und zwar ein sehr handlungsfähiger. Denn die Republikaner stellen nicht nur den Präsidenten, auch das Repräsentantenhaus und den Senat werden sie nicht an die Demokraten abgeben. Damit kann Trump - mit allen Einschränkungen, die die US-Verfassung vorsieht - schalten und walten.

Das macht vielen Menschen in den USA und in der Welt Angst, denn Trump hat beispielsweise volle Verfügungsgewalt über die atomaren Codes einer Supermacht. Das heißt, er alleine kann entscheiden, ob er einen Atomkrieg beginnt oder nicht. Das erscheint wenig wahrscheinlich, doch wurde Trumps geschlagene Gegnerin Hillary Clinton in der Vergangenheit nicht müde zu betonen, dass Trump keinerlei Kontrolle über seine Affekte habe und schnell einmal den falschen Knopf drücken könnte. So ist es nicht verwunderlich, dass viele US-Bürger in der ersten Schrecksekunde nichts wie weg wollen - die Homepage der kanadischen Immigrationsbehörde ist offenbar zusammengebrochen. Andere fürchten, dass jetzt allerorts der "Trumpismus" zum Durchbruch kommt: Laut, rücksichtlos, brutal, Ich-bezogen.

Bleibt die Frage, wie jemand, der noch vor einem Jahr von niemandem ernst genommen wurde, tatsächlich die US-Wahlen gewinnen konnte. Und das, nachdem nur vier Jahre zuvor der Afroamerikaner Barack Obama, der für ein völlig anderes Amerika steht, der in jeder Frage ein geradezu konträres Bild von der politischen Wirklichkeit hat, in das Präsidentenamt gewählt worden war.

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Der Schock rührt daher, dass man in Europa viel zu lange nur das Clinton- und Obama-Amerika zur Kenntnis genommen hat. Die USA der großen städtischen Zentren, der Westküste und des TV-Senders CNN. Darüber wurde vergessen, dass es noch ein ganz anderes Amerika gibt. Weite Regionen, wo Hass und Unzufriedenheit regieren, wo politisch unkorrektes Verhalten wie ein Befreiungsschlag gefeiert wird, wo Angst vor mexikanischen Einwanderern, vor dem eigenen sozialen Abstieg und dem Verlust der "white supremacy" herrschen.

Dass es Trump in einem beispiellos rücksichtslosen Feldzug gelungen ist, die Mehrheit der weißen, männlichen Bevölkerung für sich zu gewinnen, war schon vor dem Schockerlebnis am Mittwoch klar. Hier fühlt man sich, nachdem die indigene Bevölkerung im 19. Jahrhundert brutal beseitigt worden war, von den einwandernden Hispanics bedroht, deren Stärkerwerden scheinbar nicht aufzuhalten ist und die die eigene Vorherrschaft in einem immer noch stark nach Rassekriterien funktionieren Amerika in Frage stellen.

Doch das allein hätte nie und nimmer für den Sieg gereicht, den Trump eingefahren hat. Deshalb liegt nahe, dass der Tycoon in weit stärkeren Ausmaß als zuvor angenommen von Minderheiten und Frauen gewählt wurde.

In der Tat haben mehr Frauen Trump gewählt als Männer Clinton. Auch nach dem Bekanntwerden seines sexistischen Videos war Trump für die Mehrheit der weißen Frauen wählbar. Clinton wurde zwar von einer Mehrheit der Schwarzen, Latinos und Asiaten gewählt - aber nicht im gleichen Ausmaß wie seinerzeit Obama. Dazu kommt, dass Trump in noch größerem Ausmaß als angenommen über Anziehungskraft bei den mehr als 65 Jahre alten US-Bürgern ausübt.

Es verdichtet sich die Annahme zur Gewissheit, dass viele US-Amerikaner Trump nicht nur aus einer dumpfen Wut auf das Establishment heraus gewählt haben, sondern weil sie ihn für einen fähigen und erfolgreichen Unternehmer halten, dem zugetraut wird, eine ganze Supermacht erfolgreich zu managen.

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In den USA scheint plötzlich alles auf dem Kopf zu stehen. Auch der legendäre Spruch von Ex-Präsident Bill Clinton, "It’s the economy, stupid", mit der er im Jahr 1992 den Präsidentschaftswahlkampf für sich entscheiden konnte, gilt nicht mehr. Wenn es danach gegangen wäre, hätte die Demokratin gewinnen müssen. Denn die Arbeitslosigkeit ist in den USA mit unter fünf Prozent auch im internationalen Vergleich rekordverdächtig niedrig, der Demokrat Barack Obama hat das wirtschaftliche Desaster, das die US-Volkswirtschaft nach der Krise 2008 voll erfasst hat, in den Griff bekommen - wenn auch um den Preis, massiv Schulden machen zu müssen. Gleichzeitig ist es ein Faktum, dass die Löhne für normale Arbeiter und Angestellte in den USA seit 40 Jahren stagnieren, während entfesselte Finanzmärkte eine kleine Schicht von Privilegierten unermesslich reich gemacht hat. Damit hat Obama nicht aufgeräumt und da hätte wohl auch Clinton keinen entscheidenden Schnitt machen können. Ob Trump hier die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt, bleibt abzuwarten.

Abzuwarten bleibt auch, ob die Mehrheit der US-Amerikaner statt einem Heilsbringer einem modernen Rattenfänger nachläuft, der statt ins Glück in eine ungewisse Zukunft führt. Denn ob die weißen, beschäftigungslosen Arbeiter im "Rust Belt" jetzt dank Trump gut bezahlte Jobs bekommen, ist ebenfalls offen.

Das Einzige, das Trump mit Obama teilt, ist der Schlachtruf vom "Change": Eine Mehrheit der US-Amerikaner hat die Nase voll von einer verpflichtenden Krankenversicherung für alle, von der Gleichstellung von Homosexuellen und einer liberalen Einwanderungspolitik und den Regulierungen beim Waffenerwerb, die Obama stets erreichen wollte. In den USA spielen Kontinuitäten und Traditionen eine viel geringere Rolle als in Europa. Hier wird oft zur radikalen Lösung gegriffen - und die heißt in diesem Fall Donald Trump. Dass der in den Augen des westeuropäischen (und auch des US-amerikanischen) Bildungsbürgers ein brandgefährlicher, brutaler Demagoge ist, der noch nie ein Amt innehatte; ein Mann, der Frauen unsäglich behandelt, der kaum Steuern bezahlt und auch noch stolz darauf ist, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

Stellt sich die Frage, was Trump, der den Kongress im ‚Rücken hat, künftig einschränken oder hemmen könnte. Eine Anti-Trump-Fraktion innerhalb der Republikaner wohl kaum; hier überstrahlt der Glanz des Sieges alles, man wird sich jetzt geschlossen hinter dem Gewinner versammeln. Wie der neue Präsident mit jenen Republikanern verfährt, die sich offen gegen ihn gestellt haben - etwa der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan - bleibt ungewiss.

Zweifellos sind die USA nach der Wahl gespaltener denn je. Interessant wird sein, wie sich die Demokraten im Kongress verhalten. Auch, wenn sie in beiden Häusern in der Minderheit sind - Sabotagemöglichkeiten gibt es viele. Und die Republikaner haben sich in den vergangenen Jahren durch Totalblockaden hervorgetan.

Trump versucht sich unterdessen in einer für ihn völlig ungewohnten Rolle - als Versöhner zwischen den Lagern. Nachdem er zuvor zahllose Bevölkerungsgruppen beschimpft hatte, gab er am Mittwoch den "Präsidenten aller Amerikaner" und übte sich als internationaler Staatsmann. Es sei Zeit, "als geeintes Volks zusammenzukommen", so Trump bei seiner Siegesrede. Er wolle denjenigen, die nicht für ihn gestimmt hätten, die Hand reichen. Es müsse nun die Arbeit beginnen, die USA und den "amerikanischen Traum zu erneuern". Als Beispiele nannte er die Schaffung von Millionen von Jobs und den Wiederaufbau von Infrastruktur. Auch würden die USA unter seiner Präsidentschaft mit anderen Staaten zusammenarbeiten. "Die internationale Gemeinschaft soll wissen, wir werden die Interessen der USA immer voranstellen, aber wir werden alle fair behandeln."

Die Worte fielen nicht auf fruchtbaren Boden. In Kalifornien kam es am Mittwoch zu Ausschreitungen, im Zentrum von Oakland setzten Demonstranten ein Porträt von Trump in Brand, schlugen die Scheiben von Geschäften ein und zündeten Autoreifen an. Einige Kilometer entfernt demonstrierten Studenten auf dem Campus der Universität von Berkeley gegen den Wahlsieger. Auch an der Universität von Kalifornien in Davis gingen Studenten auf die Straße. Sie skandierten Twitter-Mitteilungen zufolge: "Du bist nicht Amerika, wir sind Amerika."