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Das Ende des Washington-Konsenses

Von Thomas Seifert

Politik

Essay: Amerika könnte nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten seine globale Führungsmacht einbüßen.


Washington/Wien. Am 2. April 1917 tritt US-Präsident Woodrow Wilson ans Rednerpult im US-Kongress und hält eine denkwürdige Rede. Er spricht von der Verteidigung der Freiheit und ruft Amerika zur Teilnahme am Kreuzzug der Demokratien gegen kriegerische Autokratien auf. Am 6. April 1917 treten die USA aufseiten der Alliierten in den Ersten Weltkrieg ein. Nach dem Ersten Weltkrieg ist das Antlitz der Welt verändert: Deutschland und Frankreich zermürbt, Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich zerschmettert, eine Revolution hat in Russland den Zaren vom Thron und die Bolschewiken an die Macht gebracht. Großbritannien findet nicht mehr zu alter Größe zurück, von nun an dominieren die Vereinigten Staaten die Welt.

Das amerikanische Jahrhundert hat begonnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Präsident Franklin D. Roosevelt zum Architekten der Nachkriegs-Weltordnung. Roosevelt hatte schon seit 1942 an der Allianz der Vereinten Nationen geschmiedet und bei der Bretton-Woods-Konferenz wird das Fundament der Weltwirtschaft auf Basis des US-Dollars neu gelegt.

Die Mächte des alten Kontinents akzeptieren die wirtschaftliche und politische Vormachtstellung Amerikas, in der Blockkonfrontation des Kalten Krieges zwischen Ost und West ist die USA militärische Schutzmacht Europas.

Am 8. November 2016 wird Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt, dieser Tag markiert wohl das Ende dieses Amerikanischen Jahrhunderts.

Denn Donald Trump hält nicht viel von jener Weltordnung, die die USA aufgebaut haben. Er verachtet die Vereinten Nationen und glaubt, dass das System des freien Welthandels den USA mehr schadet als nützt. Trump hat schon im Wahlkampf die Verbündeten der USA verunsichert: Die Nato-Mitgliedstaaten müssten mehr zu ihrer Sicherheit beitragen, sagte er, dasselbe gelte für Japan und Südkorea. Soll heißen: Künftig muss jeder selber sehen, wo er bleibt. Denn der wahre Gegner ist nach Trumps Denke nicht, wie die Europäer glauben, Russlands Präsident Wladimir Putin, sondern Japan, China und Mexiko. Denn dorthin seien die US-Industriejobs hinverschwunden.

Der Kandidat des Kremls

China drohte er an, er werde das Land in einem der ersten Dekrete, die er im Weißen Haus erlassen werde, zu einem "Währungsmanipulator" erklären. An der Grenze zu Mexiko, so kündigte er an, werde er eine gigantische Grenzmauer errichten lassen. Russlands Präsident Wladimir Putin ist hingegen ein Mann ganz nach dem Geschmack von Donald Trump.

Nach dem Wahlsieg von Trump erwiderte Putin die Zuneigung, gratulierte Trump und sprach über seine Hoffnungen auf neue Beziehungen mit Washington.

Was genau hat Putin im Sinn? Er will eine Art Jalta 2.0. Damals, im Februar 1945, war Josef Stalin Gastgeber in diesem Krim-Badeort. Dort wurde die Neuaufteilung der Interessenssphären nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossen. Neue Grenzen, so kam man überein, sollen in Europa gezogen werden. Später, nach dem Sieg über Nazideutschland und der Eskalation im Block-Konflikt, sollten an diesen Grenzen Mauern und Stacheldraht hochgezogen werden. Doch nach 1989 verschwanden diese Mauern und Zäune wieder, 1991 zerfiel schließlich die Sowjetunion. Amerika war ab diesem Jahr Hypermacht, konkurrenzlose Supermacht. Doch nun, 25 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, hofft Putin in Trump einen Partner gefunden zu haben, der wieder Moskaus Machtansprüche akzeptiert. Putin erwartet von Europa und den USA, dass die Länder des postsowjetischen Raums als Moskaus Einflusssphäre akzeptiert werden. Ein russischer Einmarsch auf der Krim oder die militärische Unterstützung russischer Separatisten in der Ostukraine soll von den Mächten des Westens als Streit innerhalb der Familie gewertet werden - Einmischung unerwünscht.

Tatsächlich ist Donald Trump für Putin ein Geschenk, schließlich war er so etwas wie des Kremls Kandidat: Denn Trump hat im Wahlkampf angedeutet, dass er bereit sein würde, die Annexion der Krim zu akzeptieren. Im Wahlkampfdokument der Republikaner wurde auf sein Betreiben eine Passage gestrichen, in der es um Militärhilfe für die Ukraine ging. Im Wahlkampf beschuldigten die Demokraten russische Geheimdienste, sie würden aktiv in den Wahlkampf eingreifen um Hillary Clinton zu schwächen und Trump zu unterstützen. Ins Treffen geführt wurden Hackerangriffe auf den Email-Verkehr der Demokraten. Sergei Ryabkov, der stellvertretende Außenminister Russlands, hat eingeräumt, mit Vertretern der Wahlkampagne von Donald Trump in Kontakt gewesen zu sein. Das sei aber eine "normale Praxis", sagte Ryabkov. Am Mittwoch hatte Putin-Berater Sergej Markow betont, dass er nicht glaube, dass Russland sich in den US-Wahlkampf eingemischt hat. "Aber vielleicht haben wir mit Wikileaks ein bisschen geholfen", zitierte ihn der britische Guardian.

Paralellen zwischen Trump und Putin sind evident: Trump bedeuten Menschenrechte und demokratische Werte wenig und ihm geht es - wie Putin selbst - um Macht und Geld. Trump ist ungehobelter und zynischer als der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder, mit dem Putin gut konnte, eher ein Typ wie der italienische Premierminister Silvio Berlusconi, mit dem Putin eine enge Männerfreundschaft unterhielt.

Washingtoner Intellektuelle streiten seit einiger Zeit leidenschaftlich darüber, ob Trump Amerikas Berlusconi oder Amerikas Mussolini ist.

Jedenfalls aber ist Trump so etwas wie ein Anti-Barack-Obama und eine Anti-Angela-Merkel.

Für Letztere ist Präsident Trump keine gute Nachricht, was sie in ihrer kurzen Gratulationsrede auch nicht verhehlen konnte und betonte, dass die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten auf gemeinsamen Werten fuße - dass man das neuerdings betonen muss, ist bemerkenswert. Für Europa werden die nächsten Jahre zweifellos ungemütlich, der Kontinent, das hat EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker erkannt, wird sich um seine militärische Sicherheit künftig selbst kümmern müssen.

Die pazifische Epoche

Die Folgen einer Trump-Präsidentschaft für Asien sind derzeit viel weniger klar.

Trump will das chronische Leistungsbilanzdefizit der USA verringern, soviel lässt sich aus seinen skizzenhaften wirtschaftspolitischen Ideen ablesen. Das bedeutet, dass es nicht nur für deutsche Autobauer schwieriger werden könnte, in die USA zu exportieren, sondern diese Politik träfe vor allem die drei US-Verbündeten Taiwan, Japan und Südkorea. Besonders betroffen wäre aber die aufstrebende Supermacht China, die ihren wirtschaftlichen Aufstieg dem amerikanischen Hunger nach in China gefertigten Produkten zu verdanken hat. Trump ignoriert dabei aber freilich, dass die Volksrepublik einen großen Teil der Leistungsbilanzüberschüsse in den Kauf von Dollar-Anleihen und somit in die US-Staatsschuldenfinanzierung steckt. Das Eine wird ohne das Andere aber nicht zu haben sein, das werden die chinesischen Politiker und Diplomaten Donald Trumps Umgebung rasch klarmachen.

Die Ankündigung Trumps, Japan und Südkorea sollten sich mehr um ihre eigene militärische Sicherheit kümmern, dürfte auf den ersten Blick Peking Freude bereiten - schließlich kann China dadurch Macht und Einfluss in Ostasien erhöhen. Doch auf den zweiten Blick ist den chinesischen Strategen vermutlich längst klar geworden, dass ein Ende der Pax Americana in Ostasien die Dinge verkompliziert. Denn im schlimmsten Fall droht sogar eine Nuklearisierung der Streitkräfte von Japan und Südkorea. Beide Länder können argumentieren, dass ihr Erzfeind in Pjöngjang selbst über ein nuklear bestücktes Arsenal verfügt. Was den politischen Analysten der chinesischen kommunistischen Partei aber sehr wohl Freude bereiten dürfte: Trumps Wahl ist für die Genossen ein Beleg dafür, dass die westliche Demokratie nicht gerade ein erfolgreiches Modell darstellt.

Amerikas Rolle als Führungsmacht der Welt und als Vorbild für die sogenannte freie, westliche Welt ist jedenfalls in Frage gestellt. Das ist der Preis der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten.