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Unterwegs in die Retro-Utopie

Von Thomas Seifert

Politik

Essay: Trumps Verheißung einer besseren Zukunft handelt von einem Amerika der reaktionären Übersichtlichkeit.


Washington/Wien. Vier Worte führten Donald Trump zum Sieg: "Make America great again!" - "Macht Amerika wieder groß!"

Trumps Verheißung einer besseren Zukunft handelt von der Vergangenheit, von einem Amerika der Übersichtlichkeit, in dem alles auf dem richtigen Platz war: Der amerikanische Traum versprach, dass jeder es schaffen kann, der sich nur genügend anstrengt. Ein Job in der brummenden Automobilindustrie bedeutete ein gutes Leben mit Kühlschrank, Waschmaschine und Fernsehgerät ausgestattem Eigenheim. Die gesellschaftliche Realität war recht aufgeräumt: Die Frauen in der Küche hinter dem Herd, die Schwarzen rechtlos und rassengetrennt in ihren Ghettos und kritische Intellektuelle von einem paranoiden Spinner, wie es der republikanische Senator Joseph McCarthy war, als kommunistische Verschwörer verfolgt.

Der Satz: "Der amerikanische Traum ist zerbrochen", war fixer Bestandteil jeder Trump-Wahlkampfrede, mit seiner "Früher-war-alles-besser"-Leier wandte er sich an seine Kernwählerschaft - nämlich ältere, weiße, weniger gut ausgebildete Wähler, die außerhalb großer Städte leben. Wer im heutigen Amerika aber ohne Qualifikation ist, hat auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen: Die Einkommen der amerikanischen Mittelschicht sind (inflationsbereinigt) nur einen Hauch höher als in den 1980er Jahren, während die Einkommen der Top-Verdiener seit 1980 explodiert sind: Und zwar um 41 Prozent.

Dass dafür vor allem die Politik der Republikaner mit der von ihnen betriebenen Zerschlagung von Gewerkschaften und der von ihnen propagierte Nachtwächterstaat verantwortlich ist, kümmert Trump nicht. Vielen seiner Wähler war dieser Zusammenhang offenbar ebenfalls nicht klar. Was zählte, war die Erkenntnis: Früher war alles besser.

Sehnsucht nach dem Gestern

Der 1925 in Posen geborene polnisch-britische Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman hat für diese Sehnsucht nach einem besseren Gestern, nach einer besseren Vergangenheit, einen Begriff geprägt: "Retrotopia". Das Buch mit dem selben Titel wird in ein paar Monaten erscheinen, Bauman beschreibt darin Retrotopia als Ort, "den es nicht gibt, aber nicht, weil er noch nicht existiert, sondern bereits existiert hat", wie er unlängst in einem "Spiegel"-Interview gesagt hat.

Baumans Buch ist 500 Jahre nach Erscheinen von Thomas Morus’ "Utopia" hochaktuell - denn Retrotopia ist überall: "Bring back Control" - "Gebt uns die Kontrolle zurück" lautete der Slogan der Brexit-Kampagne in Großbritannien, aus dem das Versprechen einer neuen, alten Übersichtlichkeit spricht. Das einst so hoffnungsverheißende Wort "Fortschritt" ist auch in Großbritannien zu einer gefährlichen Drohung geworden.

Zygmunt Bauman sagt im "Spiegel": "Die Idee des Fortschritts verheißt heute weniger die Hoffnung auf eine Verbesserung der persönlichen Lage als die Angst davor, zurückgelassen und abgehängt zu werden. Also wenden wir uns der Vergangenheit zu und bewegen uns dennoch blind voran."

Ronald Inglehart und Pippa Norris von der Harvard Kennedy School of Government haben für ein Forschungspapier errechnet, dass seit den 1960er Jahren rechtspopulistische Parteien in Europa ihren Stimmenanteil verdoppeln konnten. Bis zur zweiten Dekade dieses Jahrhunderts stieg der Stimmenanteil rechtspopulistischer Parteien auf 13,7 Prozent.

Über Jahrzehnte bestimmten unterschiedliche wirtschaftspolitische Positionen die Parteipräferenzen: Wer für einen starken Staat war, der mittels Sozialtransfers für soziale Gerechtigkeit und mit einem gut dotierten Bildungssektor für Chancengleichheit und soziale Aufstiegschancen sorgt, wählte links. Wer für einen Laissez-faire-Staat mit lose gewobenen sozialen Netz, niedrigen Steuern und Deregulierung war, wählte rechts.

In den 1980ern näherten sich die wirtschaftspolitischen Positionen beider Lager an, gleichzeitig sank das Klassenbewusstsein, schreiben Inglehart und Norris. Wirtschaftspolitische Positionen von Wählern würden viel weniger ihre Parteipräferenz determinieren als die Frage, wo die Wählerinnen und Wählern in kulturellen und gesellschaftspolitischen Fragen stehen: Die Frage von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und Identitätspolitik würden das Wahlverhalten heute viel stärker beeinflussen.

Aber auch wenn die politischen Auseinandersetzungen offenbar vor allem entlang identitätspolitischer und kultureller Konfliktlinien verlaufen, dann sind das nur die Symptome der populistischen - oder vielleicht besser demagogische - Welle, die seit einiger Zeit über die westliche Welt hinwegschwappt. Wer den tieferen Grund sucht, findet ihn in der ökonomischen Stagnation der westlichen Welt. Diese hat vor allem drei Gründe: Demografie, Globalisierung, Technologie und leere Kassen der öffentlichen Haushalte. Die Lösung dieser vielschichtigen und kniffelig-komplexen Probleme verlangt das, was Max Weber in seinem Buch "Politik als Beruf" in seinem eindringlichen Bretter-Bild beschreibt: "Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." "Aber dieser Inkrementalismus verursacht eine tiefe Frustration bei vielen Wählern, die dramatischere Lösungen wollen und einen starken, entscheidungsfreudigen Politiker, der bereit ist, sie durchzusetzen", schreibt der amerikanische Journalist Fareed Zakaria in einem Aufsatz in der November-Ausgabe des US-Außenpolitikmagazins "Foreign Affairs".

Für Demokraten in den USA hatte sich ein Sturm zusammengebraut: Die weiße Arbeiterschicht fühlte sich von den umweltbewegten, klimaschützerischen, multikulturellen, kosmopolitischen Eliten der Partei alleine gelassen: Barack Obamas demokratische Partei ist weder gut Freund mit der Ölindustrie, die im Fracking-Boom der vergangenen Jahre viele Arbeiter-Jobs von Texas über Kansas und Colorado bis nach North Dakota geschaffen hat. Noch haben die Demokraten viel für die Kohleindustrie in Virginia, Ohio und Pennsylvania übrig - mit guten Gründen: Das Verheizen von Kohle könnte das Weltklima zum Kippen bringen. Dass die Kumpels in den verbliebenen Gruben den Demokraten bei den Wahlen am 8. November die Rechnung präsentiert haben, ist allerdings ebenfalls nicht verwunderlich.

Republikanisches Evangelium

Bei den weißen Arbeiterschichten hatten es fortschrittliche Demokraten von Jahr zu Jahr schwerer: Die Republikaner mit ihren "drei Gs - guns, God and gays" (Waffen, Gott, gegen Schwule) passten da immer mehr ins Weltbild dieser Wählergruppen.

Trump war aber der erste republikanische Spitzenkandidat seit Ronald Reagan, der diesen Wählergruppen ein Angebot machte: Das republikanische Evangelium von Freihandel, niedrigen Steuern und Deregulierung interessiert diese Wählergruppen wenig, das hat die Wahlkampagne von Trump erkannt. Nationalismus, Hass auf das Establishment und die Washingtoner Eliten sowie ein Angst-Konglomerat (Zuwanderung, Terror, Feminismus) haben diese Wähler aber dazu gebracht, für Trump zu stimmen.

Fortschrittliche Demokraten schaudern vor dem Mann, der am 20. Jänner ins Weiße Haus einziehen wird. Der Politiker-Typus, den Trump verkörpert, weckt düstere Assoziationen. So notierte der britische Journalist George Eric Rowe Gedye über den 9. April 1938, als Adolf Hitler eine Rede am Nordwestbahnhof-Gelände in Wien hielt, die in seinem 1939 erschienen Buch "Die Bastionen fielen" zu lesen ist: "(...) die Begeisterung auf Befehl, der Herdeninstinkt, der Geist des aufgepeitschten Mobs, der drohende und zugleich frohlockende Fanatismus von Menschen, die freudig jedes Quäntchen ihrer Individualität in der Verhimmelung jenes Mannes untergehen ließen, der zu ihnen mit so übertriebenem Eigenlob sprach." Der aufgepeitschte "Sperrt Hillary ein"-Mob. Der zuweilen an Benito Mussolinis bizarre theatralische Rhetorik erinnernde Stil im Auftreten bei seinen Parteiveranstaltungen. Das "übertriebene Eigenlob". Die Parallelen sind zwar gespenstisch - eine Gleichsetzung wäre dennoch töricht.

Sheri Borman, Professor für Politikwissenschaften am Barnard College an der New Yorker Columbia Universität, warnt in einem Aufsatz in der bereits erwähnten "Foreign Affairs"-November-Ausgabe zu Recht davor, den rechten Populismus oder rechte Demagogie mit Faschismus gleichzusetzen. Rechtspopulismus sei ein Symptom für eine Demokratie, die in Schwierigkeiten steckt, Faschismus eine Konsequenz einer Demokratie in der Krise. "Aber wenn Regierungen nichts mehr unternehmen, um die vielen wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu lösen, wenn die Politiker und Parteien des Mainstreams nicht wieder den Wählern näherrücken und wenn die Konservativen mitmachen die Ängste zu schüren und Extremismus zu ignorieren, dann könnte der Westen bald vom Rechtspopulismus in den Faschismus rutschen."