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"Europa als wichtigster Handelspartner"

Von Thomas Seifert

Politik
Roman Vassilenko : "50 Prozent unserer Energie soll zukünftig aus Erneuerbaren kommen."
© T. Seifert

Der kasachische Vizeaußenminister über die Energiezukunft, Russland und die schwierige Geschichte seines Landes.


"Wiener Zeitung": Österreich übernimmt 2017 den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Welche Prioritäten in der OSZE sieht Kasachstan für das kommende Jahr?Roman Vassilenko: Derzeit hat Deutschland den Vorsitz inne und Berlin hat erklärt, das Vertrauen zwischen einzelnen OSZE-Partnern wiederherstellen zu wollen. Wir sind sehr erfreut, dass Österreich diese Politik fortsetzen will. Ich glaube, dass Österreich mit der langen Tradition von Dialog und Neutralität eine gute Chance hat, in dieser nicht einfachen Zeit ein sehr effektives Vorsitzland zu sein.

Vor 25 Jahren ist die Sowjetunion kollabiert. Welche Lehren hat man in Kasachstan aus dem Kollaps der UdSSR gezogen?

Wir sind stolz darauf, eine junge, stabile Nation in Zentralasien geschaffen zu haben. Obwohl wir eine sehr alte Geschichte haben, haben wir auch eine komplizierte Geschichte. Jahrhundertelang haben unsere Vorfahren an den Kreuzungspunkten der Zivilisationen gelebt. Die Geschichte des Landes war von imperialen Ausdehnungen und Eroberungen geprägt. Das hat mit Alexander dem Großen begonnen, ging dann mit Dschingis Khan weiter bis hin zu den russischen Eroberungen. Das 20. Jahrhundert war dann nicht nur für uns besonders dramatisch, sondern für viele andere Länder in der Region. Zuerst eine Revolution, dann zwei Weltkriege, eine Periode von Massenhunger und bitterster Armut, die in den 30er Jahren zum Tod oder der Auswanderung der Hälfte der Bevölkerung führte. Dann wurden im Kalten Krieg im Osten Kasachstans 450 Nukleartests über vier Jahrzehnte in einem Gebiet, das so groß ist wie Deutschland, durchgeführt. 1000 km² sind verstrahlt worden. Nach dem Kollaps der UdSSR erlebte das Land eine schwere Wirtschaftskrise. Auf dieser Basis haben wir ab 1991 ein freies, unabhängiges und zunehmend wohlhabendes Kasachstan aufgebaut.

Heute kriselt es an allen möglichen Stellen im postsowjetischen Raum. Was ist da schiefgelaufen?

Wir in Kasachstan sind von solchen Krisen verschont. Aber das heißt nicht, dass wir als unabhängige Nation nicht noch einen weiten Weg vor uns hätten, um eine voll entwickelte Demokratie und eine starke Marktwirtschaft zu werden. Aber wir sind - so glaube ich - auf einem guten Weg. Man kann also in Kasachstan beobachten, was alles gut gelaufen ist. Wir haben es geschafft, ein stabiles politisches System zu schaffen, wir haben einen starken Präsidenten, was in den Augen vieler meiner Landsleute in dieser Übergangssituation wichtig ist. Wir haben zuletzt Reformen auf den Weg gebracht, um ein parlamentarisches System zu etablieren. Heute werden alle Minister genau kontrolliert, es wird offen Kritik an der Regierung geäußert, das Parlament trägt einen höheren Grad an Verantwortung, etwa wenn es darum geht, des Budget zu verabschieden.

Welche außenpolitischen Ziele verfolgt ihr Land?

Europa ist unser wichtigster Handelspartner. 50 Prozent unseres Handels treiben wir mit Europa, von dort kommen auch 50 Prozent unserer Auslandsinvestitionen. Wir entwickeln aber auch unsere Energietransportinfrastruktur Richtung China weiter. Wir können Europa aber nur via Russland erreichen. Das müssen wir bei unserer Pipelinepolitik bedenken. Schließlich ist unser derzeit wichtigstes Exportgut Energie. Und Russland ist selbstverständlich ein ganz wichtiger Partner für uns. Wir wollen die eurasische Wirtschaftsunion weiterentwickeln, weil wir Zugang zum russischen Markt und Zugang zu russischen Häfen brauchen. Die kasachische Wirtschaft ist daher einer der Kollateralschäden in diesem Konflikt zwischen Russland einerseits und der Ukraine und Europa andererseits. Auch für eine weitere Entwicklung des Eisenbahnnetzes brauchen wir eine Wiederherstellung partnerschaftlicher Beziehung zwischen Russland und der Ukraine. So könnte China mit Russland, Kasachstan und schließlich Europa verknüpft werden. Schon heute fahren Züge von Schanghai über Russland oder Kasachstan via Moskau und Weißrussland nach Deutschland und Holland. Einen Container auf der Schiene von China nach Europa zu schicken kostet 6000 Dollar, verglichen mit 2000 Dollar per Schiff. Der Bahntransport ist aber viel, viel schneller. Zwei Wochen verglichen mit rund fünf bis sechs Wochen auf dem Schiff. Richtung Süden sind wir - was die Verkehrsinfrastruktur betrifft - seit Jahrhunderten leider sehr isoliert. Zuerst wegen des britischen Imperiums, das Afghanistan besetzt hielt, und danach wegen des Afghanistan-Krieges, in den die Sowjetunion verwickelt war. Wir hoffen, dass sich die Lage eines Tages stabilisiert. Der berühmte britische Geograf Halford Mackinder sprach von der sogenannten Weltinsel: Wer das Herzland des eurasischen Kontinents beherrscht, sagte er, der beherrscht auch die Welt. Diese These ist natürlich ein Kind der Zeit der Imperien-Konkurrenz zwischen dem britischen und russischen Imperium. Heute gilt: Wer quer über dieser Weltinsel hinweg Handel betreiben kann, der wird davon profitieren. Genau das wollen wir.

Die 2017 in Astana stattfindende Weltausstellung beschäftigt sich mit dem Thema: Zukunftsenergien. Was bringt ein Land wie Kasachstan - das von Kohle, Uran-, Öl- und Gasverkäufen lebt - dazu, eine Expo zu diesem Thema auszurichten?Unser Plan: 50 Prozent unserer Energie sollen zukünftig von fossilen Brennstoffen kommen, die anderen 50 Prozent von Erneuerbaren. Ich komme aus Shymkent, aus dem Süden des Landes, an der Grenze zu Usbekistan. Dort haben wir 320 Sonnentage. In der Nähe der Hauptstadt gibt es sehr gute Windpotenziale. Plus: Wenn man Nuklearenergie als alternative Energieform betrachtet, dann haben wir nach Kanada und Australien die größten Uran-Lagerstätten der Welt. In Astana sind bei der Expo alle wichtigen Player im Feld alternative Energie dabei. Österreich wird einen der größten Pavillons haben. Ihr Land ist gut vertreten: Von weltweit insgesamt 130 Firmen sind 20 Firmen - darunter drei aus Österreich - ausgewählt worden, die in einem speziellen Pavillon ausstellen werden. Heliovis, Andritz und die Landwirtschaftsschule Tulln werden dabei sein.

Es gab in der Vergangenheit Kritik an Unregelmäßigkeiten.

Vom früheren Management-Team wurde Geld abgezweigt, das stimmt. Das hat die Bürger in meinem Land sehr wütend gemacht. Doch dieses Problem wurde gelöst, die Verantwortlichen sind in Haft. Nun läuft alles nach Plan.

Wie viele Besucher erwarten Sie?

Wir rechnen mit zwei Millionen Besuchern. Wir werden nicht alle Rekorde sprengen, weil Astana weit weg von den großen Bevölkerungszentren Asiens ist. Das war bei der Expo in Schanghai anders. Dort kamen 20 Millionen. Der Besuch wird für Europäer aber besonders bequem werden: Wir sorgen für Visafreiheit und wir arbeiten an neuen Flugrouten. Wir sind zuversichtlich, dass die Austrian Airlines die Direktflüge wieder ins Programm nimmt. Die Bürger Österreichs sind in Astana herzlich willkommen!

Zur Person

Roman Vassilenko

wurde 1972 in Shymkent (Kasachstan) geboren. Er studierte bis 1994 an der Russischen Militärakademie für Wirtschaft, Finanzen und Recht. Seit 2014 ist Vassilenko stellvertretender Außenminister der Republik Kasachstan.