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"Jede Zeit bringt ihre Kämpfe mit sich"

Von Klaus Huhold

Politik

Carol Dyantyi war mittendrin in der Revolte gegen die Apartheid. Heute kümmert sie sich um Aids-Waisen. Ihre Geschichte erzählt viel über Südafrika.


Wien. Die Wut musste raus. All die Wut über die Ungerechtigkeiten, die Carol Dyantyi als schwarze Südafrikanerin während der Apartheid erleben musste. Und da war dieser weiße Gast in dem Hotel, in dem Dyantyi in der Wäscherei arbeitete. Er behauptete, dass seine Uhr abhandengekommen war. Damit stand Dyantyi, die die Wäsche in dem Zimmer gewechselt hatte, unter dem Verdacht des Diebstahls.

Also ging sie zu diesem Gast und schmetterte ihm ihre Meinung ins Gesicht. "Für wen halten Sie sich, dass Sie einfach behaupten, ich hätte Ihre Uhr gestohlen? Sie haben mir mein Land, mein Geburtsrecht gestohlen! Was ist schon eine Uhr gegen all das, was ich in meinem Leben verloren habe! Dass ich hier in einem Hotel als Reinigungskraft arbeite, das wollte ich nie! Ich wollte zur Universität gehen!"

Wenn die mittlerweile 60-jährige heute diese Geschichte erzählt, dann bricht ihr manchmal kurz die Stimme, weil diese Anekdote bei ihr noch immer so viel Emotionen auslöst. Gleichzeitig muss sie auch darüber lachen.

Denn der Mann, den sie hier anklagte, war gar kein Südafrikaner, er kam aus Europa. Er blickte Dyantyi an, dann umarmte er sie kurz. "Ich kann deinen Schmerz verstehen", sagte er. "Aber ich habe damit nichts zu tun." Während seines restlichen Aufenthaltes entwickelte sich dann ein freundschaftliches Verhältnis zwischen ihm und Dyantyi.

Krankenwagennur für Weiße

Die Anekdote ereignete sich kurz nach den historischen Aufständen in den Townships von Soweto 1976. Die Revolte vor 40 Jahren war ein entscheidendes Momentum im Kampf gegen die Apartheid, und sie hat Dyantyi geprägt. Sie war keine Anführerin, berichtet sie heute, aber sie war dabei, bei den Versammlungen an den Schulen, den Demonstrationen, an den Streikaufrufen, sie wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen und verhört.

Entzündet hat sich der Aufstand in Soweto am Beschluss der Apartheid-Regierung, Afrikaans als verbindliche Unterrichtssprache an den Schulen einzuführen. Afrikaans war ursprünglich die Sprache der Buren, wurde somit als die der weißen Herrscher wahrgenommen, "und sie sollte uns beigebracht werden, nicht, damit wir selbständig denken, sondern damit wir bessere Sklaven werden", sagt Dyantyi, die auf Einladung des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika (Sadocc) in Wien war. Damit die Schwarzen die Befehle der Weißen verstehen.

Aber es ging freilich nicht nur um eine Unterrichtssprache, sondern mit der Frage rund um Afrikaans kamen auch all die anderen Ungerechtigkeiten hoch. Denn Apartheid bedeutete: Dass Schwarze nicht in gewisse Restaurants gehen durften. Dass Schwarze starben, weil der Rettungswagen, der in der Nähe war, nur Weißen vorbehalten war. "Die Apartheid sprach mir ab, dass ich innovativ sein und etwas für mein Land leisten kann, sie machte mich zu einer Bürgerin zweiter Klasse, sie sprach mir meine grundlegende Rechte als Mensch ab", sagt Dyantyi.

Was am 16. Juni 1976, dem Tag, als der Soweto-Aufstand eskalierte, genau geschah, ist bis heute nicht völlig geklärt. Die groben Linien stellen sich laut Historikern und Zeitzeugen folgendermaßen dar: Zehntausende Schüler aus Soweto wollten gegen die Unterrichtsreform protestieren. Doch sie kamen nicht weit, weil die Polizei auf sie zu schießen begann. Daraufhin griffen Demonstranten Polizisten und auch Weiße an, während die Sicherheitskräfte ihrerseits immer brutaler agierten. Die Aufstände hielten Wochen an, griffen wie ein Flächenbrand auf andere Townships in Südafrika über. Eine von der Regierung noch in den 1970er Jahren eingesetzte Kommission dokumentierte, dass der Soweto-Aufstand 575 Todesopfer forderte, wovon 451 durch Polizeigewalt starben. Ander Historiker setzen die Zahl der Opfer aber auch höher an.

"Es war eine düstere, angsterfüllte und blutige Zeit", sagt Dyantyi heute. "Aber nachdem der Aufstand begonnen hatte, gab es kein Zurück mehr. Menschen starben und der Preis war irrsinnig hoch. Aber wenn man auf das heutige Südafrika blickt, war es ein Kampf, der gekämpft werden musste."

Und der viele persönliche Opfer verlangte. So brach Dyantyi nach dem Aufstand ihre Ausbildung ab und begann sich durchzuschlagen, eben etwa als Putzkraft in Hotels. Niemand habe sie dazu gezwungen, sagt sie. Als Brennpunkte der Revolte waren die Schulen aber ein gefährliches Pflaster, jederzeit konnte man dort von der Polizei abgeführt werden, und viele schwarze Schüler und Studenten waren bereits im Gefängnis oder Exil.

"Nelson Mandela gabmir Hoffnung"

Der Kampf gegen die Vorherrschaft der Weißen sollte noch fast zwei Jahrzehnte andauern. Immer wieder kam es zu Unruhen, Protesten oder Streiks, mit denen die Schwarzen Druck auf die von Weißen beherrschte Wirtschaft ausüben wollten. Anfang der 1990er endete dann die Apartheid. Nelson Mandela, der Anführer der einstigen Widerstandsbewegung und heutigen Regierungspartei African National Congress (ANC) wurde erster schwarzer Präsident des Landes.

Welche große Bedeutung der Versöhner und Friedensnobelpreisträger für sein Land hatte, zeigt sich auch beim Gespräch mit Dyantyi. "Als er aus dem Gefängnis freikam, dachte ich, dass er ein sehr zorniger Mann sein wird", berichtet sie. "Aber als ich ihn mit der erhobenen Faust und dem Lächeln auf seinem Gesicht sah, gab mir das Hoffnung. Nachdem er 27 Jahre in Haft war, war das Ziel dieses Mannes, dass wir ein freies, demokratisches Land, dass wir eine Nation werden."

Heute bezeichnet sich Südafrika als Regenbogennation. Das Land war nach der Apartheid mit großen Herausforderungen konfrontiert und muss sich weiterhin Problemen wie hoher Arbeitslosigkeit und großer Armut stellen. Und eines der drängendsten Themen im heutigen Südafrika ist Aids. Laut Schätzungen der UNO sind sieben Millionen Einwohner HIV-positiv. Dyiantyi wurde nach ihrer Zeit in den Hotels Krankenschwester und so mit dem Problem konfrontiert. Sie sah, wie Kinder Waisen wurden, weil ihre Eltern an Aids starben.

Sie begann, sich für diese Kinder zu engagieren, dass sie weiter zur Schule gehen können, ein neues Zuhause finden. Heute leitet sie die Organisation Ikageng. Diese kümmert sich um mehr als 900 Kinder und Jugendliche, die Waisen sind oder aus zerrütteten, armen Haushalten kommen.

Ikageng sorgt dafür, dass diese Kinder genug zu essen haben, sie zur Schule gehen können, ein Dach über den Kopf finden. Zudem betreibt die Organisation Aufklärungsprogramme, damit sich der HI-Virus nicht weiter ausbreitet, oder damit junge Frauen Wege finden, sich gegen die Übergriffe gewalttätiger Männer zu wehren.

Als Beispiel ihrer Arbeit erzählt Dyiantyi die Geschichte einer 19-Jährigen. Mit 15 bekam diese ihr erstes Kind und brach die Schule ab. Nun ist sie erneut schwanger. Sie ist HIV-positiv, genau so wie ihr Freund, der sie schlägt. Ikageng brachte sie in einem von einer Kirche betriebenen Heim für Schwangere und in einem Berufsausbildungsprogramm unter.

Nun erhält sie regelmäßig Medikamente, nun kann die 19-Jährige, die an Depressionen leidet, endlich ein wenig zu sich kommen. "Sie kann sich selbst endlich als Mensch und nicht als Sexsklavin sehen, sie kann sich nun erstmals Gedanken über ihre Zukunft machen", sagt Dyianti. "Eigentlich ist sie ein brillantes Mädchen, doch als Waisenkind hat sie nie eine Chance im Leben erhalten."

Ihre Arbeit war auch einer der Gründe, warum Dyantyi nach Wien kam. Ikageng wird zwar von der südafrikanischen Regierung unterstützt, gleichzeitig ist die Organisation aber auch auf internationale Partner und private Spender angewiesen. Und in Österreich wird Ikageng vom Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika (Sadocc) unterstützt.

So hat Sadocc eine Spendenaktion für Schuluniformen gestartet. Denn diese sind für das Selbstwertgefühl der Kinder entscheidend. Wer keine Schuluniform hat, der ist schnell ein Außenseiter, trägt auf alle Fälle das Stigma der Armut. "Zum ersten Mal war mir nicht anzusehen, dass ich ein Waisenkind bin", teilte Dyantyi ein Bursche mit, nachdem er eine Uniform erhalten hatte.

Lebenslanges Eintreten für die Würde ihrer Mitmenschen

Ein Gespräch mit Carol Dyantyi erzählt viel über Südafrika. Ihr Leben lang bezog sie dort Position, wo es Ungerechtigkeiten gab, trat für ihre eigene Würde und die ihrer Mitmenschen ein.

"Jede Zeit bringt ihre Kämpfe mit sich", sagt Dyantyi. Und mit Blick auf ihre Heimat meint sie, dass diese noch eine vergleichsweise junge Demokratie sei, die sich noch vielen Herausforderungen stellen muss. Gleichzeitig gebe es viele Bürger, die gegen Missstände auftreten und für ein besseres Südafrika kämpfen. "Ich bin weiterhin optimistisch", sagt sie. "Wir können es uns auch gar nicht erlauben, hoffnungslos zu sein."