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Aufrüstung, so weit das Auge reicht

Von Michael Schmölzer

Politik

Schlittert der Westen in einen Krieg? Friedensforscherin Warnecke sieht Entwicklungen mit Sorge.


Washington/Wien. Ukrainische Manöver unweit der Krim, die Aussicht auf militärische Aufrüstung in den USA. Drohgebärden russischer Kampfjets an der Nato-Grenze und von zentraler Stelle gesteuerte Destabilisierungs-Kampagnen im Internet: In und um Europa wird mit dem Säbel gerasselt wie schon lange nicht mehr, die Sorge, dass aus Rhetorik ernst wird, nimmt zu. Seit Donnerstag etwa spielt die ukrainische Armee ein gefährliches Spiel. Unweit der Krim, einem hochsensiblen Terrain, werden Luftabwehrraketen getestet. Moskau ist alarmiert und droht mit dem Abschuss der Raketen. Die Rede ist von Provokation.

Gleichzeitig wächst am Baltikum die Angst vor einem russischen Angriff, immer wieder kommen Kampfjets Nato-Luftraum gefährlich nahe. Die Verunsicherung steigt, man will gewappnet sein. Litauen kauft von der Bundeswehr 168 gepanzerte Fahrzeuge des Typs M577, auch Nato-Bodentruppen werden nach Osten verlegt. In Rumänien ist man um die eigene Sicherheit besorgt, weil im Süden des Landes Einrichtungen jenes Nato-Schutzschildes, das das Verteidigungsbündnis vor Raketenangriffen schützen soll, stehen. Man sieht sich zunehmend als Ziel möglicher russischer Angriffe aus der Luft und fordert besseren Schutz.

Flüchtlinge Vorwand für militärische Aufrüstung

Die EU will mehr Geld in Rüstung stecken, auf der anderen Seite der Weltkugel hat der künftige US-Präsident Donald Trump angekündigt, Mittel aus dem sozialen Bereich abziehen und in die militärische Aufrüstung stecken zu wollen. Die Konzerne reiben sich bereits in freudiger Erwartung die Hände. Auch das österreichische Bundesheer hat zuletzt, ohne dass es eine große innenpolitische Diskussion gegeben hätte, eine zusätzliche Milliarde aus dem Budget bekommen. Terror-Abwehr und Schutz der Grenze waren hier die Argumente, gekauft wird (auch) schweres Kriegsgerät.

Für die Wissenschafterin Andrea Warnecke vom Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) sind die Flüchtlingskrise und die um sich greifende Verunsicherung jedenfalls die "ideale Rechtfertigungsgrundlage, um Militärbudgets zu erweitern". Die Angst vor dem, was kommt, nimmt zu, und das auf allen Ebenen, so die Forscherin. "Es häufen sich zahlreiche höchst problematische Entwicklungen", sagt Warnecke, sie verweist etwa auf die Legionen "hasserfüllter" Postings im Internet. Rechtspopulisten nützen die Verunsicherung, malen einen von muslimischen Terroristen oder Immigranten angefachten Bürgerkrieg in Europa an die Wand.

Vieles, was derzeit auf weltpolitischer Bühne geschehe, habe unmittelbar nicht mit einer Veränderung geostrategischer Gegebenheiten zu tun, sagt Warnecke. Trotzdem macht es Angst. Der Brexit etwa oder der Wahlausgang in den USA. Auf verschiedenen Schauplätzen werde mit dem Feuer gespielt, rote Linien überschritten. Da wird etwa von Österreichs Freiheitlichen im Zusammenhang mit Flüchtlingen von einem Bürgerkrieg gesprochen, "oder, um ein deutsches Beispiel zu nehmen: Da sagte jemand, dass man den Begriff ,Völkisch‘ wieder positiv besetzen sollte". "Wenn sich Einzelne so weit aus dem Fenster lehnen, geht nur so lange gut, wie sich der Rest ruhig verhält", meint Warnecke, und: "Meine Sorge ist, dass der Konsens, dass man bestimmte Spielregeln beachtet, ganz einfach wegbröckelt."

Deutschland bedingt ein Stabilitätsfaktor

Neben diesem Bedrohungsszenario, das schnell in einen Konflikt münden könnte, weist Warnecke auf einen weiteren Umstand hin, der seit einiger Zeit beunruhigt. Denn erst seit wenigen Monaten sei es so, dass die Zahl der bewaffneten Konflikte nach dem Ende des Kalten Krieges wieder zugenommen habe. "Das ist eine enorme Trendumkehr in der Friedensforschung, denn bis jetzt konnte man sagen, dass es einen gewissen Fortschritt gibt. Dieser Optimismus ist so nicht mehr berechtigt", so Warnecke.

Dass Deutschland künftig als neuer, stabilisierender Faktor wirksam werden könnte, sieht die Forscherin skeptisch. Wenn man sich etwa den Schuldenstreit der Europäischen Union mit Griechenland ansehe, sei Berlin dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Hier hat man mit besonderem Nachdruck auf ein Sparprogramm gedrängt - mit verheerenden sozialen Auswirkungen für die Griechen.