Zum Hauptinhalt springen

Der Kampf ums nackte Überleben

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Situation in den umkämpften Städten Aleppo und Mossul spitzt sich zu. Die Ausgangslagen sind völlig unterschiedlich.


Bagdad. Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen, Strom gibt es schon lange nicht mehr, Lebensmittel werden knapp. In beiden Städten geschieht unendliches Leid für hunderttausende Zivilisten. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen Mossul im Irak und Aleppo in Syrien auch schon auf. Vielleicht noch, dass beide Städte einst blühende Handelsmetropolen mit Millionen Einwohnern waren und jetzt in Schutt und Asche liegen. Während Aleppo seit Monaten zerrissen wird von Fassbomben, Granatwerfern, Artilleriegeschossen und Autobomben, hat die Schlacht um Mossul gerade erst begonnen. Aleppo ist geteilt, Mossul eingekesselt. Dort kämpfen irakische Regierungstruppen und ihre Verbündeten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die die Stadt seit mehr als zwei Jahren kontrolliert. In Aleppo tobt der Kampf zwischen diversen Rebellengruppen und Assad-Unterstützern seit mehreren Jahren. Der IS hat dort nichts zu sagen.

Geht es nach dem syrischen Diktator Bashar al-Assad, kämpfen seine Truppen in Aleppo ebenso gegen Terroristen wie die Soldaten des irakischen Premiers, Haidar al-Abadi in Mossul. Seit Beginn der Demonstrationen gegen die Gewaltherrschaft Assads im April 2011 wird dieser nicht müde, alle oppositionellen Gruppen als Terrorgruppen zu bezeichnen. Die Oppositionellen, die damals friedlich aufbegehrten, wurden niedergeknüppelt und zusammengeschossen, bis sie sich schließlich bewaffneten. Aus Freitagsdemonstrationen entwickelte sich ein Regionalkrieg, der heute fast die ganze Welt betrifft. Was inzwischen daraus geworden ist, hat außer Assad so wohl keiner gewollt - aber auch keiner verhindert, schon gar nicht die USA, die anfangs vielleicht in der Lage gewesen wären. Assad dagegen handelte stets nach der Devise: Geh’ ich unter, geht ihr mit. Lange ließ er die Entwicklung einer islamistischen Front gewähren, um sich nun als einzige Alternative zu präsentieren.

Ohne den Iran hätte Assad längst aufgeben müssen

Im Irak dagegen ist der Beförderer des Terrors, Ex-Premier Nuri al-Maliki, abgesetzt und politisch weitgehend kaltgestellt - auch wenn er von einer Rückkehr auf die politische Bühne träumt und derzeit in den Medien omnipräsent ist. Doch der Vorwurf, durch seine sektiererische Politik den Aufstieg des IS begünstigt und Mossul der Terrormiliz überlassen zu haben, nagt hart an seinem Image. Es soll einen Telefonmitschnitt von Juni 2014 geben, in dem er dem damaligen Oberkommandierenden der Truppen in Mossul nach viertägigem Kampf den Rückzug befiehlt. Der Mitschnitt ist allerdings nie aufgetaucht. Malikis unversöhnliche Haltung gegenüber seinen arabisch-sunnitischen und kurdischen Landsleuten gibt dem schiitischen Politiker jedoch unbestritten eine Mitschuld an der derzeitigen Lage im Irak.

Ganz anders in Syrien. Wie in Diktaturen üblich, zählt einzig die Loyalität zum Herrscher. Egal ob Sunnit, Schiit, Alawit, Christ, Araber oder Kurde: Kritiker des Regimes wurden stets gnadenlos verfolgt. Hier unterscheidet sich die Politik Bashar al-Assads keineswegs von der seines verstorbenen Vaters Hafez. Der Bürgerkrieg entwickelte sich mit der Zeit entlang religiöser Bruchlinien. Ausschlaggebend war die Unterstützung von außen, es kamen immer mehr Akteure hinzu.

Das sunnitische Saudi-Arabien und die anderen Golfstaaten spenden vor allem den radikalsunnitischen Rebellen. Auch die Türkei unterstützte schon früh ausgewählte Islamisten und Turkmenen. Die ursprünglich stärksten Rebellentruppen, lokal verankerte und moderate Milizen, die Freie Syrische Armee, bekamen Konkurrenz durch finanziell aufgerüstete Rebellen. Ahrar al-Sham und Al-Kaida sind nur zwei von bis zu 30 islamisch geprägten Rebellenorganisationen.

Das Geflecht wurde immer unübersichtlicher. Die Amerikaner hielten sich zurück. Wenn überhaupt, so hieß es unter US-Diplomaten, engagiere man sich im Irak. Schließlich breitete sich der IS auch auf dem Territorium Syriens aus, schaffte es aber nie, dauerhaft Fuß in Aleppo zu fassen. Auf der anderen Seite bot sich schnell der schiitische Iran als Helfer für den alawitischen Assad an. Der bis dato säkulare Syrer war plötzlich mit religiös motivierten Kämpfern von Teherans Gnaden umgeben. Vom schiitischen Dschihad ist seither die Rede. Ohne den Iran hätte Assad längst aufgeben müssen, denn die Kampfkraft der syrischen Armee ist gering und die Russen sind erst vor gut einem Jahr in die Kampfhandlungen eingestiegen.

Aus Mossul gibt eskein Entkommen

Im Irak dagegen gibt es derzeit nur einen einzigen Feind: den IS. Er sitzt in Mossul, wo vor gut zwei Jahren sein Siegeszug begann, Terror-Chef Abu Bakr al-Baghdadi das Kalifat ausrief und damit einen territorialen Anspruch formulierte. Soldaten der irakischen Armee, Anti-Terror-Einheiten, kurdische Peschmerga-Kämpfer, schiitische und sunnitische Milizen sowie die von den USA angeführte Anti-IS-Allianz haben einen Ring um die Stadt gezogen, um die Terrorbande gemeinsam zu besiegen.

Noch ist die Front der IS-Gegner einheitlich. Doch das grausame Schicksal Aleppos hat auch Auswirkungen auf die Strategie für Mossul. Es wird überlegt, ob Korridore geöffnet werden sollen, damit die Menschen fliehen könnten, bevor die US-Luftangriffe auf Mossul verstärkt werden. Rund 70.000 Einwohner haben in den vergangenen Tagen den Ostteil der Stadt verlassen, weil nicht enden wollende russische Bombardements das Überleben nahezu unmöglich machen. Von einem gigantischen Friedhof spricht der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien. Aus Mossul kann derzeit niemand fliehen, die Einwohner sitzen fest. Ihnen bleibt nur der Kampf ums nackte Überleben. Das verbindet die Menschen in Mossul mit denen in Aleppo.