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Ein Stück altes jüdisches Wien in Tel Aviv

Von Thomas Seifert aus Jerusalem

Politik

Staatssekretärin Muna Duzdar besucht in Israel österreichische Holocaust-Überlebende.


Jerusalem. Es ist ein besonderer Ort, der Klub der österreichischen Pensionisten in der Esther Hamalka-Straße nahe dem Dizgenoff-Platz in Tel Aviv, Israel. Wobei: Pensionisten? Die älteren Menschen, die hier regelmäßig zusammenkommen, sind Pensionisten. Aber alle, die hierherkommen, haben Biografien, die Bücher füllen würden. Sie sind die Vertreter einer Jahr für Jahr kleiner werdenden Schar von Holocaust-Überlebenden aus Österreich. Insgesamt gibt es, so Gideon Eckhaus, kaum mehr tausend Holocaust-Überlebende im Klub.

Die Staatssekretärin im Kanzleramt, Muna Duzdar, die Israel in diesen Tagen besucht, ist hierher gekommen, um diesen Israeli, die in ihrer Kindheit Österreicherinnen und Österreicher waren, ihre Aufwartung zu machen.

Es gibt Kaffee und Süßgebäck, man hört ein seltsam vertrautes, im besten Sinne altmodisches Wienerisch, durchsetzt von Charme und Schmäh. Kommt ein Besucher aus der Leopoldstadt hierher, so wird er von einigen hier begrüßt wie ein alter Nachbar, den man lange nicht gesehen hat. Der Klub der österreichischen Pensionisten ist ein Stück Österreich, ein Stück Wien mitten in Tel Aviv. Im Vereinslokal der Pensionisten wird gemeinsam Gymnastik betrieben, es gibt Musik-Aufführungen. Man kennt einander seit vielen Jahren, doch zu tratschen gibt es noch immer mehr als genug. Das gemeinsame schwere Schicksal, den Holocaust als Kind überlebt zu haben, schweißt die verschworene Gruppe bis heute zusammen.

"Für Österreich wird der Holocaust nie eine abgeschlossene Geschichte sein", betont Staatssekretärin Duzdar, die hinzufügt, dass sie die Vision habe, dass der Nahe Osten eines Tages eine "prosperierende Region" werde, in der die "friedliche Koexistenz von zwei Staaten" möglich sei. Duzdar - das erwähnte sie auch kurz - hat ja selbst palästinensische Wurzeln, ihre Mutter hat in Jenin, rund 30 Kilometer südlich von Nazareth gelebt, der Vater ist in Damaskus geboren, lebte dann aber in Ostjerusalem.

Es ist eine Mischung aus Stolz, Wehmut und Bitterkeit - und Humor, mit der die Menschen auf ihr Leben zurückblicken.

Uri Ben Rahav, er ist 1931 als Willi Schwarz in Wien geboren, hatte ein schönes, glückliches Leben. Doch dann kam 1938 der Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland, 1942 kam er ins Konzentrationslager Theresienstadt. "Diese Jahre waren eine schreckliche Zeit. Das Gute war: Ich habe überlebt, darum kann ich mit Euch reden." Nach dem Ende des Krieges lebte Schwarz in verschiedenen Flüchtlingslagern, bis er schließlich nach Israel kam und sein zweites Leben als Uri Ben Rahav begann. Sein Verhältnis zu Österreich war eher "Laufwarm", doch heute lebt sein Lieblingsenkel in Salzburg und hat dort seine große Liebe gefunden: "Der Kreis hat sich geschlossen."

"Verzagt nicht"

Zwi Nigal, er ist heute 94, ging mit 14 Jahren auf den Heldenplatz, um Adolf Hitler sprechen zu hören. "Unvorsichtig" sei das damals gewesen. Doch bald darauf konnte er als Jude nicht mehr unbefangen bewegen, es sei ja bald jeder als Jude zu erkennen gewesen, sobald das Tragen des Gelben Sterns Pflicht geworden war. Er besuchte damals das Gymnasium in der Zirkusgasse in Wien-Leopoldstadt. Der zweite Bezirk hatte bis zum Anschluss eine sehr lebendige jüdische Gemeinde. "Wir waren keine gleichberechtigen Bürger mehr, sondern nur mehr Staatsangehörige", erzählt Zwi Nigal. Das Kruzifix im Klassenzimmer wurde abgehängt und wurde durch ein Hitlerbild ersetzt. Der Deutschlehrer - ein überzeugter Nazi - hat jede Woche die beste Klassenarbeit laut vorgelesen. Eines Tages, kurz nach dem Anschluss, wurde Zwi Nigals Arbeit von Professor Frank, so hieß der Deutschprofessor, vorgetragen. "Er übergab mir das Heft und sagte: Das Tragische ist, dass die beste Arbeit von einem artfremden Element geschrieben wurde." Zwi Nigal hatte Glück: Er wurde von seinen Eltern nach Palästina geschickt und fand sich in einem Kibbuz wieder. Mit 18 meldete er sich zur jüdischen Brigade der britischen Armee (Palästina war damals britisches Mandatsgebiet) und kämpfte zu Ende des Krieges bei Tarvis. Er sei dort einen erbarmungswürdigen Flüchtlingstreck von befreiten jüdischen Flüchtlingen getroffen. Zu denen sagte er: "Verzagt nicht. Es gibt noch Juden. Wir warten auf Euch." Als er nach dem Krieg nach Palästina zurückkehrte, trat er in die paramilitärische Untergrundorganisation Hagana ein, nach der Staatsgründung Israels schickte ihn die Armee auf die technische Hochschule in Haifa. Heute übersetzt Zwi Nigal vom Deutschen oder vom Englischen ins Hebräische, einmal im Jahr arbeitet er bei Jugendprogrammen der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung mit. Man kann sich vorstellen, dass Zwi Nigal Jugendlichen einiges an historischer Erfahrung mit auf den Weg geben kann.

Duzdar bricht auf zum nächsten Programmpunkt auf dem Besuchskalender: Yad Vashem, die beeindruckende Holocaust-Gedenkstätte am Mount Herzl westlich von Jerusalem. Ein junger Freiwilliger führt Duzdar durch die Ausstellung, die den Aufstieg Adolf Hitlers ebenso zeigt wie den kaltblütigen Massenmord von über sechs Millionen Juden in der Nazi-Menschenvernichtungsmaschinerie. Besonders beeindruckend ist der letzte Teil des Museums: Die Halle der Namen, wo Millionen von Seiten von Zeitzeugendokumenten in dicken Büchern aufbewahrt werden.

Am Ende des Besuchs von Duzdar stand eine Kranzniederlegung am Gedenkplatz in Yad Vashem und die Eintragung ins Gästebuch: "Sie sehe es als Aufgabe und Pflicht, die Erinnerung an die nächste Generation weiterzugeben und Sensibilisierungsarbeit zu leisten." Das hat Duzdar in dieses Gästebuch geschrieben.