Zum Hauptinhalt springen

"Irgendwie musste man ja helfen"

Von Thomas Seifert aus Beirut

Politik
Staatssekretärin Muna Duzdar bei ihrem Besuch im Camp Ketermaya.
© T. Seifert

Ein Besuch in einer Behelfssiedlung im Libanon zeigt, wie prekär die Lage für syrische Flüchtling ist.


Beirut. "One! Two! Three! Four! Five! Six! Seven! Eight! Nine! Ten!" - aus vollen Kehlen rufen die Kinder die Zahlen ihrer Lehrerin auf Englisch zu. Die Schule von Ketermaya, rund 30 Kilometer südlich der libanesischen Hauptstadt Beirut gelegen, ist nichts weiter als ein Bretterverschlag, überzogen mit Plastikplanen. "Save the Children" gibt Geld für den Schulbetrieb, das libanesische Rote Kreuz bringt immer wieder Hilfspakete, ein paar Rot-Kreuz-Freiwillige verteilen am Freitag, den Tag des Besuchs, Hygiene-Artikel.

Und Ketermaya ist eines von tausenden informellen Lagern syrischer Flüchtlinge, die es überall im Libanon gibt. Ali Tafesh gehört das Land hier und er war es, der den Flüchtlingen erlaubt hat, sich hier niederzulassen, nachdem im nahegelegenen Städtchen alle Unterkünfte überfüllt waren. Er baute Toiletten und legte Leitungen für fließendes Wasser. Und während andere von den Schutzsuchenden eine Art Miete kassieren, verzichtet Tafesh darauf, sagt er. "Was hätte ich denn tun sollen? Irgendwie musste man diesen Menschen ja helfen", sagt Tafesh zur "Wiener Zeitung". Er habe das Land ohnehin nicht genutzt.

56 Familien leben in Tafeshs Camp, in der in den Abhang eines Hügels gebauten Behelfssiedlung. An den Hängen wachsen Oliven- und Feigenbäume, der Weg vom Camp zur Asphaltstraße führt durch Matsch und über steinige Passagen an einer Lagerhalle vorbei.

Neben der Schule stehen die Hütten der Camp-Bewohner. Wer Glück hat, hat nun im Winter eine Gasheizung, einen Fernseher samt Satellitenschüssel. Einen kleinen Spielplatz gibt es, mit Schaukeln und Karussell. Die Kinder lärmen und lachen, die meisten sind zu jung, um den Krieg in Syrien erlebt zu haben oder sich daran zu erinnern.

Die Menschen in der Plastikplanen-Siedlung erzählen vom Krieg in ihrer Heimat Syrien, sie sprechen davon, wie sie sich durch den harten Winter schlagen müssen in ihren zugigen Behelfsunterkünften, sie berichten von Schulden, die sie haben, von gesundheitlichen Problemen. Kinderarbeit ist weit verbreitet: Ein Kind bekommt vier Dollar pro Tag, einem Erwachsenen werden 12 Dollar pro Tag bezahlt.

Der Libanon beherbergt weit über eine Million syrischer Flüchtlinge, und das bei einer Bevölkerung von rund vier Millionen Menschen. Das Land wurde in den 1970er und 80er Jahren von einem blutigen Bürgerkrieg, in dem Palästinenser und andere sunnitische Gruppen, Schiiten, Maroniten und Drusen gegeneinander kämpften, fast zerrissen. Seit dem Friedensabkommen von Taif im Jahr 1989 achtet die libanesische Regierung peinlich darauf, dass das mühsam ausbalancierte ethnisch-religiöse Gleichgewicht im Land nicht gestört wird.

Flüchtlinge dachten, siekönnten bald wieder zurück

Die Camps, in denen die Flüchtlinge leben, dürfen daher nach dem Willen der Regierung nicht zu richtigen Behausungen ausgebaut werden. Die Hilfsbereitschaft im Land ist zwar im Laufe der vergangenen Jahre zurückgegangen, aber viele Libanesen helfen, die Regierung stellt Schulen und Lehrer zur Verfügung, die Infrastruktur - um die es bereits vor dem Bürgerkrieg in Syrien nicht gut bestellt war - ist seit der Ankunft der hunderttausenden Flüchtlinge am Limit.

Der Krieg in Syrien geht nun schon ins sechste Jahr. Viele Flüchtlinge, die dem Krieg entkommen sind, haben bei ihrer Flucht damit gerechnet, schon nach wenigen Monaten wieder zurückkehren zu können.

Die österreichische Kanzleramtsstaatssekretärin Muna Duzdar ist mit einer österreichischen Delegation ins Land gereist, um sich über die Situation der syrischen Flüchtlinge zu informieren. Im Libanon sagte Duzdar, dass es notwendig sei, mehr Hilfe vor Ort zu leisten.

Und zwar nicht nur bei der Grundversorgung wie Essen, sondern etwa auch um Unterstützung für Schulen. 55 Prozent der syrischen Flüchtlingskinder im Libanon gehen nicht in die Schule, Duzdar spricht sich daher für mehr finanzielle Hilfe für Jordanien und den Libanon aus.

Die Schutzsuchenden aus Syrien müssen jedes Jahr eine Aufenthaltsgenehmigung lösen, für die 200 US-Dollar pro Kopf fällig werden. Rund 89 Prozent der Flüchtlinge sind bereits heute verschuldet, im Schnitt betragen die Schulden dieser Flüchtlinge 890 Dollar pro Kopf. 62 Prozent der Familien leben unter dem Existenzminimum von 2,9 US-Dollar pro Kopf.

Es braucht Gelder für Nahrungsmittelhilfe

Die Vertreterin des Flüchtlingshochkommissariats der UNO (UNHCR) Mireille Girard möchte auf die libanesische Regierung einwirken, diese Gebühr fallen zu lassen. Bei 60 Prozent der Familien hat kein einziges Familienmitglied eine derartige Aufenthaltsgenehmigung, bei 80 Prozent der Familien hat zumindest ein Familienmitglied dieses Papier nicht.

Die Folge: Die Schutzsuchenden werden an Checkpoints verhaftet, aber nach 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt. Girard vom UNHCR: "Wir sind mit der libanesischen Regierung in einem konstruktiven Dialog. Die Menschen, tauchen ab, wenn sie diese Papiere nicht haben. Wir denken, dass die Regierung kein Interesse daran haben kann, U-Boote im Land zu haben. Daher ermutigen wir den Libanon, die Gebühr zu erlassen."

UNHCR-Vertreterin Girard richtete auch noch einen Appell an Staatssekretärin Muna Duzdar: "Das Welternährungsprogramm WFP, das den syrischen Flüchtlingen Nahrungsmittelhilfe leistet, hat nur mehr Budget bis Ende Jänner und braucht einerseits mehr Mittel. Andererseits wäre es sehr wichtig, dass Österreich rasch bekannt gibt, wie Ihr Land das WFP unterstützen kann. Im Moment schafft es das WFP gerade, den Kopf der Schutzsuchenden über Wasser zu halten."