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Dienstbote und Herr

Von Michael Schmölzer

Politik

Im Westen schmilzt die Mittelschicht dahin. Laufen in New York bald nur noch Hedgefonds-Manager und Kellner herum?


Wien. Gewinner sind die neuen Mittelschichten Asiens, Verlierer ist der Durchschnittsverdiener in Europa und in den USA: Der renommierte US-Wissenschafter und ehemalige Chefökonom der Weltbank, Branko Milanovic, legte am Mittwoch in der Arbeiterkammer Wien Zahlen und Fakten zu Ungleichheit im Zeitalter der Globalisierung vor. Dabei wurde klar, dass die weltweite Ungleichheit insgesamt, die mit dem sogenannten "Gini-Koeffizient" gemessen wird, in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Das liegt am enormen Wirtschaftswachstum Chinas und Indiens, zwei Länder mit einer enorm großen Bevölkerung. Chinas Mittelklasse etwa hat in den Jahren zwischen 1988 bis 2008 ihr Einkommen bis zu 80 Prozent steigern können, die untere Mittelklasse in den USA hingegen fast überhaupt nicht. Und: Die schmale Schicht der Superreichen im Westen hat jedenfalls stark gewonnen - abgesehen von einigen Rückschlägen rund um die globale Finanzkrise 2008.

Die Mittelschicht im Westen ist seit den frühen 1980er Jahren zurückgegangen - teilweise sogar massiv. In Großbritannien schrumpfte sie von 40 auf 33 Prozent, in den USA von 32 auf 27 Prozent. Wobei zur Mittelschicht der zählt, der 25 Prozent mehr oder 25 Prozent weniger als der Durchschnitt verdient.

Die Entwicklung weist laut Milanovic dahin, dass das, was Marx Klassenzugehörigkeit nannte - also das soziale Umfeld, in das man hineingeboren wird -, in Sachen Wohlstand massiv an Bedeutung gewinnt. Die Bedeutung des Ortes, an dem man lebt - Europa, USA, Asien, Afrika -, nimmt tendenziell ab. Ein Angehöriger der unteren chinesischen Mittelschicht hätte in Österreich allerdings sofort Anspruch auf Sozialhilfe. "Die globale Mittelklasse hat nichts mit der Mittelklasse in Österreich zu tun", stellt Milanovic klar.

Der Forscher weist anhand enormer Datenmengen nach, dass die Industrielle Revolution in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Ungleichheitsschub geführt hat. "Die industrialisierten Länder wurden reicher, China und Indien blieben arm." Diese Entwicklung setzte sich fort. In den 60er, 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts bestanden große Einkommensunterschiede zwischen den Bevölkerungen unterschiedlicherer Länder: "Da gab es ein globales Proletariat, die sogenannte Dritte Welt, und eine globale Bourgeoisie", so Milanovic. Durch den rasanten Aufstieg der asiatischen Länder verliere das an Bedeutung. Wobei unklar sei, in welche Richtung sich die bevölkerungsstarken Länder Afrikas entwickeln würden.

Ausnahme Lateinamerika

Zugleich nimmt laut Milanovic die Ungleichheit innerhalb der einzelnen Gesellschaften zu. Und zwar global. Einzige Ausnahme seien die Staaten Lateinamerikas. In Brasilien, Argentinien und Mexiko hätte die Ungleichheit abgenommen. Milanovic rechnet damit, dass diese Tendenz auch in Zukunft so bleibt. Ein Grund: Der Zugang zu Bildung wurde in diesen Ländern demokratisiert.

Es wird wieder wichtiger, wer man ist, in welches Milieu man hineingeboren wird und nicht, wo auf dem Globus man sich befindet. Laut Milanovic sind wir also auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert, in die Gesellschaft, die Marx zu seinem Werk "Das Kapital" inspiriert hat.

Kommt es also zu einer Refeudalisierung, zu einer Gesellschaft, bestehend aus Dienstboten und Herren? "Es gibt fiktionale Vorstellungen von einer Gesellschaft, die nur noch aus Hedgefonds-Managern und Starbucks-Bediensteten besteht", meint Milanovic auf Frage der "Wiener Zeitung". "Die Kellner sind die Einzigen, die nicht von Maschinen ersetzt werden können, weil Service und Freundlichkeit verlangt werden." Aber die Mittelklasse, die Buchhalter, sogar die Ärzte würden ersetzt oder ausgelagert. "Wenn es so weit kommt, dann muss die jeweilige Regierung eine viel stärkere Rolle spielen, um die Menschen in der Mitte der Gesellschaft aufzufangen", so Milanovic. Auch der Friseur sei nicht ersetzbar, aber alle anderen schon. Und die müssten dann eine angemessene Bezahlung dafür bekommen, dass sie nichts tun. Oder sie müssten umgeschult werden.

Wobei Milanovic sehr wohl Beispiele dafür einfallen, wie der technologische Wandel ein Vorteil für die ungebildeten, ärmeren Teile der Weltbevölkerung sein könnte: Beispiel sind etwa Smartphones, die Bauern in Afrika in die Lage versetzen, Preise für ihre Produkte zu vergleichen. Ein Plus an Information, das eine Verbesserung der individuellen Situation zur Folge hat.

Dass die Mittelklasse in Europa und den USA geschrumpft ist, heißt übrigens nicht, dass alle in die Armut abgerutscht sind: "Ein Teil ist reich geworden und hat die Mitte nach oben verlassen", weiß Milanovic. Was an der Polarisierung der Gesellschaften freilich nichts ändere.

Die Gründe für die Zunahme an Ungleichheit hat für Milanovic mit Globalisierung, Outsourcing, Wettbewerb und dem technologischen Wandel zu tun. Gut ausgebildete Arbeiter sind im Vorteil, schlecht ausgebildete würden rasch überflüssig und ersetzt. Und mit politischen Maßnahmen natürlich, wie die Reduktion von Erbschaftssteuern und Kapitalertragsstreuern. Oft zahle man 15 Prozent Steuer auf Kapital, aber 40 und mehr auf Arbeit.

Können also protektionistische Maßnahmen, wie Trump sie plant, die Ungleichheit innerhalb eines Landes ausgleichen? Für Milanovic sind die Maßnahmen, die Trump in den ersten Tagen im Amt trifft, "eher chaotisch". Protektionismus könne nur einer kleinen, spezifischen Gruppe Vorteile bringen. "Anderen Arbeitern, der Wirtschaft und den Konsumenten hilft er nicht."