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Aufstand der Ortsvorsteher

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Beim Widerstand gegen Präsident Donald Trump kommt ihnen eine Schlüsselrolle zu: den Bürgermeistern der US-Großstädte.


Los Angeles/Washington D.C. Wer knapp eine Woche nach seiner Amtseinführung als US-Präsident an Hochburgen des Widerstands gegen Donald Trump denkt, dem mag viel einfallen; aber in der Regel nicht Boise, Idaho. Die Hauptstadt des im Nordwesten der USA gelegenen "Gem State", des Edelstein-Staats, zählt nicht eben zu den urbanen Aushängeschildern des Landes. Mit knapp über 200.000 Einwohnern schafft sie es gerade noch in die Liste der Top 100 der bevölkerungsreichsten Städte des Landes. Trotzdem schaffte es Boise am vergangenen Wochenende in die Schlagzeilen - als eine jener Städte, deren Flughäfen von gegen den von Trump per präsidentiales Dekret veranlassten Einreiseverboten für Millionen Muslime protestierenden Bürgern besetzt wurden.

Nämliches geschah mit dem ausdrücklichen Segen eines Mannes namens Dave Bieter, seines Zeichens Bürgermeister. Für die, die ihn kennen, keine Überraschung. Um die Jahreswende hatte der 57-jährige Lokalpolitiker einen offenen Brief an seine Amtskollegen im Rest des Landes geschrieben, in dem er vor den Folgen der Trump’schen Rhetorik warnte und sie de facto zum Widerstand aufrief: "Wir in Boise wissen, was Amerika in Wahrheit wirklich großartig macht. Aber am Ende sind es wir Bürgermeister, die umsetzen müssen, was Washington beschließt. Machen wir uns an die Arbeit."

Der letzte Satz klang bewusst weniger wie ein Versprechen als eine Drohung. Dieser Maxime folgend, kristallisiert sich jetzt so unvermittelt wie quasi nebenbei eine neue politische Macht heraus, die Trump, was seine innenpolitischen Pläne angeht, einen ordentlichen Strich durch die Rechnung machen könnte. Von Boston bis San Francisco stellten sich die von der Demokratischen Partei gestellten Bürgermeister der USA hinter die Protestler und nutzten geschickt die Gelegenheit, sich als Beschützer jener Grundrechte zu verkaufen, die die neuen Herren im Weißen Haus mit kaum mehr verhüllter Absicht aushöhlen, wenn nicht gar abschaffen wollen.

Spaltung Stadt - Land

Selbst wenn der eine oder andere von ihnen dabei vielleicht weniger aus prinzipiellen Überzeugungen und/oder charakterlicher Stärke den Widerständler gibt, hat er oder sie angesichts der seit dem Amtsantritts Trumps bestehenden Spannungen politisch kaum etwas zu verlieren. Während sich die Wählerbasis von Trump nahezu ausschließlich am Land findet, wird die überwältigende Mehrheit von Amerikas Großstädten von Demokraten regiert. Unter den zehn größten US-Städten, deren Einwohnerzahl die Millionengrenze überschreitet, gibt es heute nur mehr eine einzige, der ein Republikaner vorsteht (Kevin Faulconer, der Bürgermeister von San Diego).

Alle anderen befinden sich mehr oder weniger fest in progressiver Hand. Sogar in den sogenannten "Red States" - jenen Bundesstaaten, die bei Präsidentschafts- und Kongreasswahlen verlässlich eine Bank für die Konservativen stellen - bilden die urbanen Ballungsräume die Hochburgen der Partei von Ex-Präsident Barack Obama. Beispiel Texas: Die vier mit Abstand größten Städte des vordergründig superkonservativen "Lone Star State" werden ausnahmslos von Demokraten regiert: Houston (Sylvester Turner), Dallas (Mike Rawlings), San Antonio (Ivy Taylor) und Austin (Steve Adler).

Vielleicht noch bemerkenswerter: Turner und Taylor sind Afroamerikaner. Die realen Machtbefugnisse amerikanischer Bürgermeister halten sich indes in der Regel in engen Grenzen. Sie richten sich ausschließlich nach der normativen Kraft des politisch Faktischen, sprich: Der Mann oder die Frau an der Spitze einer Stadt hat prinzipiell genau so viel Macht, wie es ihm das jeweilige Bundesstaatsparlament (State House) und der ihm vorstehende Gouverneur zugesteht.

Kein Geld aus Kalifornien?

Die Bundesregierung dagegen hat dank der Bundesstaatsstruktur nur ein beschränktes Mitspracherecht. Die Tatsache, dass die Städte weit mehr Steuern an den Fiskus abliefern als die Provinz, spielt dabei keine Rolle. Nicht umsonst bekam etwa Hillary Clinton bei der Präsidentschaftswahl im November vergangenen Jahres um gut drei Millionen Stimmen mehr als Trump - und verlor trotzdem, weil das US-Wahlsystem auf Bundes- wie auf Lokalebene dem Bürger auf dem Land traditionell weit mehr Gewicht einräumt als dem Städter. Was nichts daran ändert, dass die amerikanischen Bürgermeister ordentliche Druckmittel in der Hand haben. Eine der von Trump in der Vorwoche unterzeichneten "Executive Orders" zielt etwa darauf ab, sogenannten "Sanctuary Cities" künftig Geld aus dem Bundeshaushalt zu verweigern: Gemeinden, deren Polizei von der jeweiligen lokalen Legislative angewiesen ist, straffällig gewordene Ausländer nicht den Bundesbehörden zu melden. Doch der gesamte Bundesstaat Kalifornien will sich das nicht gefallen lassen. Hier überlegt man, die Steuerleistung in die gesamtstaatlichen Töpfe einzuschränken - was Washington sehr teuer zu stehen käme.

Wie bei fast allen Maßnahmen, die Trump in seinen ersten paar Tagen im Weißen Haus per Dekret angewiesen hat, wirkt diese also kaum durchdacht und ist in der Realität maximal suboptimal umsetzbar. Vorausgesetzt, dass der Mann oder die Frau an der Spitze einer Stadt mit der Polizei eine Einheitsfront bilden, gibt es für die Bundesregierung de facto wenig zu melden.

Ein wichtiges Argument gegen Trumps Pläne ist, dass fast alle Großstädte der USA seit über einem Jahrzehnt einen signifikanten Rückgang der Kriminalitätsrate verzeichnen. Aber wie von ihm gewohnt, sind es in diesem Zusammenhang die Ausnahmen von der Regel, auf die sich Präsident Trump konzentriert. Und es gibt eine Stadt, die es ihm dabei leicht macht: Chicago. Die 2,8-Millionen-Metropole am Lake Michigan leidet seit einiger Zeit unter einem starken Anstieg der Mordrate. Die Orte, wo die Morde passieren, beschränken sich auf ein paar wenige, fast ausschließlich von Afroamerikanern bewohnte Viertel. Was sie nicht weniger furchtbar macht - und Trump willkommenen Anlass gibt, sie für propagandistische Zwecke zu instrumentalisieren: "Wenn sich in Chicago nichts ändert, schicke ich die Feds!", teilte der Ex-Reality-TV-Star jüngst via Twitter so sinn- wie folgenlos mit.