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Israels Regierung bricht bei Siedlungen Tabu

Von Alexander Dworzak

Politik
Das Gesetz wurde eingebracht, um die Räumung illegaler Siedlungen wie Amona zu verhindern.

Mit dem Gesetz zur nachträglichen Legalisierung ungenehmigter Siedlungen droht eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof.


Jerusalem/Wien. Es war eine folgenschwere Entscheidung, die am späten Montagabend in die Knesset fiel. In dritter und letzter Lesung verabschiedeten 60 der 120 Abgeordneten des Parlaments ein Gesetz zur nachträglichen Legalisierung israelischer Siedlungen im Westjordanland. Das klingt auf den ersten Blick nicht spektakulär, schließlich leben bereits heute rund 350.000 Israelis auf dem 1967 eroberten Gebiet, das weitgehend von Israel kontrolliert wird. Dazu kommen weitere 250.000 Siedler in Ost-Jerusalem.

Doch das nunmehrige Gesetz ermöglicht dem Staat Israel erstmals, palästinensisches Privatland, auf das israelische Siedler "unwissentlich oder auf Anweisung des Staates" Häuser gebaut haben, als staatlichen Besitz zu konfiszieren. Die rechtmäßigen Eigentümer dürften es dann bis zu einer endgültigen Entscheidung über den künftigen Status der Gebiete nicht mehr nutzen. Sie sollten aber mit einer jährlichen Gebühr entschädigt werden, oder soweit möglich mit einem alternativen Grundstück. Laut der regierungskritischen NGO "Peace Now" werden damit 50 Außenposten und Siedlungen legalisiert.

"Furchtbar und gefährlich" sei diese Regelung, zitiert die linksliberale israelische Zeitung "Haaretz" Ex-Minister Dan Meridor, ein Parteikollege des nationalkonservativen Likud-Premiers Benjamin Netanjahu. Da die Araber im Westjordanland weder die israelische Staatsbürgerschaft besitzen noch Knesset-Abgeordnete wählen dürfen, hätten die Parlamentarier kein Recht, Gesetzesentscheidungen über jene Bürger zu fällen. "Das sind Grundprinzipien der Demokratie und des israelischen Rechts", sagt Meridor.

Entsprechend groß war die internationale Ablehnung des Gesetzes. Damit werde eine "sehr dicke rote Linie" überschritten, erklärte der UN-Nahostgesandte Nikolaj Mladenow. Ein Sprecher des deutschen Außenministeriums sagte: "Viele in Deutschland, die in tiefer Verbundenheit an der Seite Israels stehen, lässt dieser Schritt enttäuscht zurück." Frankreichs Präsident François Hollande rief Israel auf, das Gesetz zurückzuziehen. Groß ist in Berlin und Paris die Sorge, dass sich Israel immer weiter von einer Zwei-Staaten-Lösung entfernt. Die US-Regierung gab zunächst keine Stellungnahme ab.

Regierungspartner nutzt Netanjahus Schwäche

"Kindisch und unverantwortlich" nannte selbst Premier Netanjahu einst das Gesetzesvorhaben. Laut "Haaretz" wurde Netanjahu von US-Präsident Donald Trump aufgetragen, bis zum Treffen der beiden Staatsmänner am 15. Februar keine gravierenden Entscheidungen vorzunehmen. Doch die siedlerfreundliche Partei "Jüdisches Heim" von Bildungsminister Naftali Bennett setzte den Premier unter Druck. Denn Anfang Februar wurde die Siedlung Amona nordöstlich von Ramallah geräumt, die Häuser und die 280 Bewohner mussten weichen. In 16 weiteren illegalen Siedlungen begannen zwischenzeitlich Räumungen, meldete "Peace Now". Um weitere Räumungen zu stoppen, drängte Bennett auf die Parlamentsabstimmung.

Zwar zählt "Jüdisches Heim" nur acht der 120 Knesset-Mandate. Aufgrund der zersplitterten Parteienlandschaft bilden sechs Gruppierungen eine Koalition, Netanjahu braucht also auch kleine Partner. Zudem steht der Premier unter Druck: Netanjahu und seine Frau, die einem eher unbescheidenen Lebensstil frönen, sollen vom israelischen Hollywood-Produzenten Arnon Milchan über Jahre Zigarren und Champagner erhalten haben. Netanjahu wiederum lobbyierte dem Vernehmen nach beim früheren US-Außenminister John Kerry für Milchan, der ein Zehn-Jahres-Visum für die Vereinigten Staaten erhielt. Auch wurde vor kurzem ein Gespräch zwischen Netanjahu und Arnon Mozes publik. Der Besitzer der größten Kaufzeitung des Landes, "Yedioth Ahronoth", bot dem Premier positive Berichterstattung an. Dafür sollen die Gesetze so geändert werden, dass das Gratisblatt "Israel HaYom", die größte Zeitung Israels, als Kaufzeitung weitermachen muss.

Derart in Bedrängnis, kam Netanjahu seinem Regierungspartner Bennett entgegen. Das neue Gesetz könnte nun Israel in große Schwierigkeiten bringen. Es müsse mit einer Verfolgung vor dem Internationalen Strafgerichtshof rechnen, sagte UN-Sondergesandter Mladenow. Premier Netanjahu muss hoffen, dass ihm ausgerechnet seine politischen Gegner aus der Patsche helfen, um ein internationales Desaster zu vermeiden. Mehrere NGOs haben bereits angekündigt, dass sie Israels Oberstes Gericht in der Causa anrufen werden. Die Justiz ist eine der letzten Bastionen der alten, säkularen Elite des Landes. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hielt sich nicht mit seiner vernichtenden Kritik zurück: Das Gesetz verstoße gegen israelisches Recht. Er weigert sich, es vor Gericht zu verteidigen.