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Kampf um Mossul

Von Markus Schauta

Politik

Bereits bevor der "Islamische Staat" aus dem Ostteil der zweitgrößten irakischen Stadt vertrieben wurde, haben Zivilisten gegen die Terrormiliz aufbegehrt.


Mossul. 30 Kilometer östlich von Mossul erheben sich die weißen Zelte des Hassan Sham Camps aus der braunen Landschaft. Mohammed Abdullah Osman kam mit seiner Frau und den vier Kindern vor vier Tagen in das Camp. Sein Haar ist grau, die Jacke scheint eine Nummer zu groß. Fünfzehn Kilogramm habe er in den vergangenen Monaten abgenommen, sagt der 42-Jährige. Sie haben alles verloren, konnten sich in Mossul nicht einmal mehr etwas zu essen kaufen.

Die meisten Menschen hier flohen vor den Kämpfen um Mossul, die im Oktober 2016 begann; etwas mehr als zwei Jahre, nachdem die nordirakische Metropole an die Terrormiliz des "Islamischen Staates" (IS) fiel. 2,9 Millionen Einwohner zählte Mossul damals. 180.000 Bürger flohen vor den Kämpfen zur Rückeroberung. Mittlerweile ist der IS aus dem Osten von Iraks zweitgrößter Stadt vertrieben. Im Westen aber hat der IS noch die Kontrolle, noch hat die Anti-IS-Allianz den Tigris nicht überwunden.

Im Sommer 2014 war Osman als Soldat der irakischen Armee in Mossul stationiert. Am 6. Juni durchbrachen IS-Kämpfer die Checkpoints in den Außenbezirken. "Wir waren bereit, Daesh (Arabisch für IS, Anm.) zu bekämpfen", sagt Osman. Doch dann kam der Befehl zum Rückzug. Zuerst zögerten sie noch. Aber als klar wurde, dass die gesamten Streitkräfte Mossuls auf der Flucht oder in Rückzugsgefechte verwickelt waren, floh auch er. Nach vier Tagen kontrollierten die Dschihadisten Mossul.

IS-Einschüchterungsvideos

In der ersten Ausgabe des Propaganda-Magazins "Dabiq" war zu lesen, dass "die Löwen des Islamischen Staates" ihre Feinde mit der Hilfe Allahs in die Flucht geschlagen haben. Mossul sei unterworfen. Doch ganz so war es nicht. "In Mossul gab es zivilen Widerstand gegen Daesh", sagt Osman. Eine Gruppe namens "Kataib al-Mossul" (Mossul Battalion) habe gezielt Anschläge auf Mitglieder des IS verübt. Sie hatten Kalaschnikows und schallgedämpfte Waffen, kleideten sich wie die Dschihadisten und infiltrierten deren Reihen, weiß Osman. Auf diese Weise töteten sie einen Kopf der Hisba, der Religionspolizei in Mossul. Die Attentäter wurden später vom IS gestellt und erschossen.

Die Brutalität des IS musste Osmans Bruder Ali Fawzi am eigenen Leib erfahren. Der 39-Jährige saß zehn Tage im Gefängnis, weil man ihn der Spionage verdächtigte. Angezeigt hatte ihn sein eigener Cousin. "Er beobachtete mich beim Chatten mit einem kurdischen Freund, der für die Peschmerga kämpft." Da Ali Fawzi immer alle Nachrichten sofort löschte, konnte der IS ihm nichts nachweisen. Abgesehen davon ging es nur um Persönliches, sagt er. Zwar hatten die Peschmerga ihn gebeten, die Koordinaten von militärischen Stützpunkten durchzugeben, aber er lehnte ab: "Ich hatte zu viel Angst."

Andere ließen sich auf diese riskante Tätigkeit ein. Der Journalist Luke Mogelson berichtet im "New Yorker" über eine Widerstandsgruppe von 16 Personen, darunter ein ehemaliger Busfahrer. Als Grund, sich gegen den IS zu erheben, nennt er deren Zerstörung heiliger Stätten wie das Grabmal des Propheten Jonas. Die Gruppe fuhr durch Mossul, fotografierte Militärstützpunkte des IS und gab die Koordinaten an die irakischen Streitkräfte weiter.

2015 wird ein Mitglied der Gruppe verhaftet, bald darauf auch der Rest. Vier Männer werden in das Auto gesetzt, die Hände an die Haltegriffe gefesselt. Ein IS-Kämpfer beschießt das Auto mit einer Panzerbüchse, das kurz darauf in Flammen aufgeht. Andere wurden von den Dschihadisten in einen Metallkäfig gesperrt, den ein Kran in das Wasser eines Swimmingpools taucht. Unterwasserkameras filmen die Ertrinkenden in ihrem Todeskampf. Osman kennt diese Szenen. "Der IS zeigte Videos von Hinrichtungen an öffentlichen Plätzen in ganz Mossul."

Die grausamen Hinrichtungen konnten den Widerstand nicht brechen: Im Sommer 2016 drangen Gerüchte über Revolten gegen den Islamischen Staat aus Mossul nach draußen. Im Juli soll es Schusswechsel in der verwinkelten Altstadt am Westufer des Tigris und in einem Vorort Mossuls gegeben haben. Ein halbes Dutzend Kalifat-Kämpfer wurde dabei getötet. Während der Mossul-Offensive im November habe sich der zivile Widerstand auf mehrere Bezirke ausgeweitet. Die Dschihadisten sprengten die fünf Brücken über den Tigris und zogen sich in den Westteil zurück.

"Auch am Westufer haben sich Zivilisten bewaffnet", sagt Leutnant Ali, in der schwarzen Uniform der Goldenen Division, einer Spezialeinheit der irakischen Armee. Ihre Anschläge können dazu beitragen den IS weiter zu verunsichern.

Angriff auf West-Mossul

Die Einheit der Goldenen Division hat sich in den Häusern nahe des Tigris-Ufers eingerichtet. Am grauen Himmel tauchen immer wieder Drohen auf. Darunter handelsübliche Modelle, die der IS umgebaut und mit Granaten bestückt hat. "Fünf Drohnen haben wir in den vergangenen zehn Tagen vom Himmel geschossen", so Leutnant Ali. Doch die Angriffe am Flussufer sind Geplänkel. Der Tigris trennt die Stellungen der irakischen Streitkräfte von jenen des IS. Manchmal kommen Dschihadisten als Zivilisten getarnt über den Fluss und verschanzen sich in der Uferböschung, so der Leutnant: "Die das wagen, wollen einfach sterben."

Bei dem bevorstehenden Angriff der Streitkräfte auf West-Mossul wird auch die Goldene Division beteiligt sein. Leutnant Alis Einheit wird daher vom Flussufer abgezogen. Satellitenbilder zeigen die verwinkelten Gassen der Altstadt in West-Mossul. Den irakischen Streitkräften stehen Häuserkampfe in dicht besiedeltem Gebiet bevor. Welche Rolle Zivilisten dann spielen können, wird sich erst zeigen.