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Große Waffen in kleinen Händen

Von WZ-Korrespondent Philipp Hedemann

Politik

Eine neue Studie zeigt, wie deutsche Exporte Kinder zu Mördern machen. Ein junger Mann, der im Ostkongo zum Töten gezwungen wurde, berichtet.


Butembo/Berlin. "Sie flehten um Gnade. Aber die Generäle hatten gesagt, dass wir nicht weich werden dürfen. Da machte ich die Augen zu und rammte das Messer in sie. Immer wieder." Patrice (Name geändert) war zehn Jahre alt, als er zu seinem ersten Mord gezwungen wurde. Seine Opfer waren drei katholische Nonnen. Patrice war, wie tausende weitere Buben und Mädchen, Kindersoldat im seit mehr als 20 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg im Ostkongo. Noch immer kämpfen dort unzählige Minderjährige. Auch mit deutschen Waffen. Die gestern, Donnerstag, in Berlin vorgestellte Studie "Kleinwaffen in Kinderhänden. Deutsche Rüstungsexporte und Kindersoldaten" weist darauf hin, wie Waffen aus deutscher Produktion in die Hände von Kindern gelangen und weltweit Konflikte befeuern.

"Auch wenn ich am Ende die Augen zugemacht habe, kann ich mich genau an sie erinnern. Sie waren ziemlich alt", sagt Patrice über seine ersten Opfer. Zwei Jahre, bevor er selbst zum Mörder wurde, hatte Patrice einen Mord mit ansehen müssen. Den an seinem eigenen Vater. Weil er sich ohne ihn nicht mehr sicher fühlte, schloss er sich einer der vielen Mai-Mai-Milizen im Ostkongo an.

Deutsche Regierung leugnet das Problem seit Jahren

Steine, Messer, Macheten, in Schlangen- und Insektengift getauchte Speere und Pfeile, später auch Pistolen, Gewehre und Handgranaten: Patrice hat mit vielen Mordinstrumenten getötet. Möglicherweise waren darunter auch Waffen aus Deutschland. Denn in fast allen Konflikten, in denen Kindersoldaten eingesetzt werden, kommen auch sie zum Einsatz. Das zeigt die jetzt erschienene Studie des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit.

Obwohl der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Deutschland schon mehrfach aufgefordert hat, gesetzlich zu verhindern, dass deutsche Waffen in Länder geliefert werden, in denen Kindersoldaten eingesetzt werden, gelangt immer noch Kampfgerät in diese Staaten. Laut der im Auftrag der Hilfsorganisationen Brot für die Welt, Kindernothilfe, terre des hommes und World Vision Deutschland erstellten Untersuchung erhalten selbst staatliche Armeen und Polizeieinheiten, die laut UN-Berichten für schwerste Kinderrechtsverletzungen verantwortlich sind, deutsche Waffen.

"Wenn Menschen- und Kinderrechtsorganisationen, aber auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, die deutsche Regierung auf diese Missstände hinweisen, bekommen sie seit Jahren immer dieselbe Antwort: Kein Handlungsbedarf, die deutsche Rüstungsexportpolitik ist restriktiv. Die Studie entlarvt diese Behauptung als reines Wunschdenken oder bewusste Falschaussage", schreibt Ralf Willinger, Sprecher des Deutschen Bündnisses Kindersoldaten, im Vorwort.

Deutschland zählt seit Jahren zu den größten Kleinwaffenexporteuren. Seit 2002 wurden Kleinwaffenexporte im Wert von 800 Millionen Euro genehmigt, hinzu kommt Munition im Wert von 407,3 Millionen Euro. Ein Teil davon gelangte in Krisengebiete, in denen Kindersoldaten eingesetzt werden. Auch über den Weiterexport über Drittstaaten und die Vergabe von Lizenzen zum Nachbau geraten immer noch viele deutsche Kleinwaffen in die Hände minderjähriger Soldaten.

Weil sie bereits von Kindern getragen und bedient werden können, werden gerade die sogenannten Kleinwaffen und leichten Waffen, zu denen Pistolen, Handgranaten, Maschinengewehre und Panzerfäuste zählen, besonders oft von Kindersoldaten eingesetzt.

"Kleinwaffen fordern weitaus mehr Menschenleben als alle anderen Waffensysteme. Meist übersteigt die Zahl der Opfer, die sie jährlich fordern, die der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki um ein Vielfaches. Gemessen an dem Blutbad, das sie anrichten, kann man Kleinwaffen als Massenvernichtungswaffen bezeichnen", sagte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan bereits im Jahr 2000. Die Studie fordert deshalb, den Export deutscher Kleinwaffen und entsprechender Munition zu stoppen oder zumindest stark zu begrenzen.

"Ich tötete, wie andereKinder Fußball spielen"

Wären diese Forderungen bereits umgesetzt, wäre vielleicht auch Patrice seltener zum Mörder geworden. Wie viele Menschen ihm zum Opfer fielen, weiß er nicht. "Die Nonnen zu erstechen, war schwer. Die nächsten Menschen zu töten, war einfach. Ich kann mich nicht an sie erinnern", sagt der heute 19-Jährige. Bevor er in die Schlacht zog, rauchte Patrice oft Marihuana und schnupfte Schießpulver. "Danach hatte ich vor nichts mehr Angst. Ich habe dann so getötet, wie andere Kinder Fußball spielen", erzählt der drahtige Jugendliche, der wegen seiner Brutalität ehrfurchtsvoll "Commander" genannt wurde.

"Wenn uns langweilig war, haben wir Männern die Genitalien und Frauen die Brüste abgeschnitten. Manchmal tranken wir das Blut unserer Feinde", sagt Patrice. Heute ekelt ihn an, was er als Kind tat, damals dachte er, dass es einen guten Soldaten ausmacht, besonders grausam zu sein.

Ein Jahr, nachdem er das erste Mal tötete, wurde Patrice von Regierungstruppen gefangen genommen. Auch die Armee setzte ihn als Soldaten ein. Als er das Morden nicht mehr aushielt, desertierte Patrice, landete schließlich in der Stadt Butembo in einem World-Vision-Resozialisierungsprojekt. Dort lernte er, Schuhe herzustellen und zu reparieren. Mit einem Startkapital der Hilfsorganisation eröffnete er anschließend eine kleine Werkstatt.

Gequält von den schrecklichen Verbrechen, die er selbst beging und deren Opfer er wurde, wacht er nachts immer noch oft schweißgebadet auf und muss weinen. Der Jugendliche, dem Waffen die Kindheit raubten: "Bei den Rebellen und bei der Armee durfte ich nie weinen. Vielleicht muss jetzt alles raus."

Jedes Jahr am 12. Februar erinnert der Red Hand Day daran, dass noch immer hundertausende Kinder zum Kämpfen gezwungen werden. Anlass für den Internationalen Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten ist das Inkrafttreten eines Zusatzprotokolls über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen am 12. Februar 2002. Internationale Organisationen wie das UN-Kinderhilfswerk Unicef werben an diesem Tag für mehr Engagement im Kampf gegen die besonders grausame Form des Kindesmissbrauchs.

Zwar verzichten immer mehr Staaten auf den weltweit verbotenen Einsatz von Kindersoldaten, doch die Zahl der minderjährigen Kämpfer bleibt hoch: Die UNO geht von 250.000 bis 300.000 aus, rund 40 Prozent sollen Mädchen sein. Die meisten kämpfen für Rebellenorganisationen in Afrika. Jedes Jahr erscheint im Jahresbericht des UN-Generalsekretärs zu Kindern in bewaffneten Konflikten die "Liste der Schande". 2016 waren dort 59 bewaffnete Gruppen und Armeen aus 14 Ländern gelistet, die Kindersoldaten einsetzten. 2002 waren es 23 gewesen. Die UNO geht davon aus, dass zwischen 1990 und 2000 zwei Millionen Kinder gefallen sind, sechs Millionen zu Invaliden wurden und zehn Millionen schwere seelische Schäden erlitten.

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