Zum Hauptinhalt springen

"Armee glaubt weiterhin, sie ist der Boss"

Von Klaus Huhold

Politik

Khu Oo Reh ist Chefverhandler eines Bündnisses ethnischer bewaffneter Gruppen in Myanmar. Der "Wiener Zeitung" erklärte er, warum der Weg zum Frieden noch steinig ist und er dem Militär auch nach Ende der Diktatur nicht vertraut.


Myanmar (Burma) hat sich verwandelt: Nach Jahrzehnten der Militärdiktatur hat sich das südostasiatische Land demokratisiert. Die lange Zeit verbotene Nationale Liga für Demokratie (NLD) von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi führt seit den letzten Wahlen die Regierung an - wobei das Militär aber noch immer die Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzschutz in seinen Händen hält.

Eine Frage ist aber ungeklärt: Was geschieht mit den ethnischen Minderheiten? 135 Ethnien leben in dem Vielvölkerstaat. Während der Diktatur plünderte das Militär Rohstoffe in den Regionen der Minderheiten und machte ganze Dörfer dem Erdboden gleich. Bis heute leben hunderttausende Flüchtlinge in angrenzenden Ländern wie etwa Thailand, meist unter erbärmlichen Bedingungen.

Die Minderheiten wiederum forderten Autonomie oder Unabhängigkeit und gründeten ihrerseits bewaffnete Gruppen. Der Staat hat diesen Verbänden nun ein landesweites Waffenstillstandsabkommen vorgelegt - und tatsächlich haben es auch schon acht unterschrieben. Sie sind nun auch in politische Verhandlungen zur Zukunft des Landes eingebunden. Doch andere Gruppen haben ihre Signatur verweigert. Neun Verweigerer haben sich im Vereinigten Föderalgremiums (UNFC) zusammengeschlossen, um mit einer Stimme zu verhandeln. Zum Vorsitzenden wählten sie Khu Oo Reh, der mit der "Wiener Zeitung" darüber sprach, wie er die Friedenschancen einschätzt.

"Wiener Zeitung": Myanmar hat sein politisches Gesicht verändert. Wie weit wirkt sich das auf Ihre Volksgruppe, die Karenni, aus?Khu Oo Reh: Persönlich habe ich noch nicht viele Veränderungen bemerkt. Aber es gibt jetzt ein bisschen mehr Bewegungsfreiheit, die Leute können in Gegenden reisen, in die sie vorher nicht durften. Aber sie werden noch immer aufmerksam vom Militär beobachtet, das gilt vor allem für die Repräsentanten der verschiedenen Ethnien.


Sie sind Vorsitzender eines Bündnisses ethnischer Armeen. Werden Sie das von der Regierung vorgelegte landesweite Waffenstillstandsabkommen bald unterschreiben?

Im Moment sind wir nicht bereit, es zu unterschreiben. Wir fordern mehr Inklusion, die wir nicht bekommen. Wir wollen, dass alle bewaffneten Gruppen gleichberechtigt am Friedensprozess teilnehmen, dieser muss allen gehören. Das ist aber im Moment nicht der Fall. Wir bleiben aber dabei, dass wir unbedingt mit der Regierung weiterverhandeln wollen. Denn es ist unser großer Wunsch, dass endlich Friede herrscht.


Aber riskieren Sie nicht, eine große Chance zu verpassen, indem Sie das Abkommen nicht unterschreiben? Immerhin führt nun die Nationale Liga für Demokratie (NLD) die Regierung an, und die bekennt sich ganz klar zum Frieden.

Wir alle verbinden große Hoffnungen mit der NLD und ihrer Anführerin Aung San Suu Kyi. Aber wenn nicht die Verfassung geändert wird, kann auch die NLD ihre Versprechen nicht erfüllen. Die Verfassung gibt dem Militär viel Macht, und das spielt immer noch nach eigenen Regeln.

Wie beurteilen Sie das bisherige Auftreten von Suu Kyi?

Auch sie muss mit dem Militär ihr Auskommen finden, manchmal scheint sie sogar auf der Seite der Armee zu stehen. Deshalb fragen sich viele Bürger, ob Suu Kyi wirklich weiß, wie viel Leid es noch im Land gibt. Sie ist sich dessen wahrscheinlich bewusst, aber auch Suu Kyi hat nur einen eingeschränkten Handlungsspielraum. Sie ist in einer schwierigen Situation, weil es noch keinen Frieden gibt.

Wie ist die Lage in ihrer Heimat, dem Karenni-Staat. Gibt es dort Kämpfe?

Nein, aber die Bevölkerung ist weiterhin sehr beunruhigt. Das liegt daran, dass die KNPP (Progressive Karenni-Partei, bewaffneter Arm der Karenni, Anm.) das landesweite Waffenstillstandsabkommen bisher nicht unterschrieben hat. Deshalb ist die KNPP vom politischen Dialog ausgeschlossen, der mit anderen Gruppen bereits geführt wird. Die Bevölkerung fühlt sich daher sehr unsicher.

Ist das auch der Grund, warum die Flüchtlinge nicht zurückkehren?

Ja. Weder die KNPP noch die Regierung haben eine Agenda für die Flüchtlinge. Es ist unklar, ob sie in ihre alten Dörfer zurückkehren oder woanders neu angesiedelt werden sollen. Und auch die Flüchtlinge wissen nicht, wohin sie gehen sollen und wer sie unterstützt. Wichtig ist, dass sie von Anfang an in ihren Gemeinschaften zusammenbleiben. Aber niemand garantiert derzeit ihre Sicherheit, und ohne Hilfe können sie nicht überleben.

Wie sehr misstrauen Sie noch immer dem Militär?

Wir, der UNFC, vertrauen dem Militär nicht, und das Militär vertraut auch niemandem. Das Militär bekämpft noch immer einzelne Mitglieder unseres Bündnisses, etwa die Nationale Befreiungsfront der Taang. Die Armee sitzt am Verhandlungstisch, draußen vor der Tür aber kämpft sie. Wie sollen wir ihr also vertrauen?

Das Militär wiederum wirft den ethnischen Armeen oft vor, dass sie die Kämpfe anzetteln.

Jeder weiß, dass das nicht stimmt. Wir haben den Konflikt nicht verursacht. Es war die Armee, die in die Regionen der Minderheiten einmarschiert ist, dort gebrandschatzt und die Bewohner unterdrückt und getötet hat.

Aber warum sollte die Armee daran interessiert sein, dass die Kämpfe jetzt noch weitergehen?

Die Militärs wollen an der Macht bleiben, weil sie den Menschen so viel Fürchterliches angetan haben. Sie haben Angst, dass sie sonst vor Gericht landen.

Mit all diesen Wunden aus der Vergangenheit - ist es überhaupt möglich, dass der Vielvölkerstaat Myanmar zusammenwächst?

Wenn die Bevölkerungsmehrheit der Burmesen mit den Minderheiten zusammenleben will, muss sie deren Herzen gewinnen. Denn diese haben so viel durchgemacht. Allerdings muss eingeräumt werden, dass auch viele Burmesen enorm gelitten haben. Das Hauptproblem ist die Armee, denn sie betrachtet sich als Repräsentant der burmesischen Mehrheit. Das Militär ist es gewohnt, an der Macht zu sein. Die Armee glaubt weiterhin, sie ist der Boss, und behandelt die Bürger dementsprechend. Vielleicht können wir dieses Denken einmal überwinden. Aber das wird nicht schnell geschehen, sondern Zeit brauchen.

Wie soll aus Sicht der von Ihnen vertreten Minderheitengruppen Myanmar künftig gestaltet werden?

Wir wollen eine föderale Union, deren Grundpfeiler Demokratie, Gleichheit und Selbstbestimmung sind. Die ethnischen Gruppen sollten ihre eigene Administration in ihrem eigenen Bundesstaaten haben. Jahrhundertelang, und sogar einige Jahre nach der Unabhängigkeit, hatten wir sieben solcher Staaten plus einen für die burmesische Mehrheit. Innerhalb dieser Staaten lebten die Ethnien zusammen. Zu so einem Modell wollen wir zurückkehren. Derartige Versprechen wurden uns auch vor der Unabhängigkeit gemacht.

Sie sind nicht nur politisch tätig, sondern sammeln auch Material über die Kultur der Karenni, etwa alte Gedichte. Ist diese in Gefahr?

Wir haben während der Militärdiktatur schon so viel von unserer Kultur verloren. Viele junge Leute wissen nicht mehr viel über unsere Vergangenheit, manche beherrschen nicht einmal mehr unsere Sprache. Denn in den Schulen werden sie nur auf Burmesisch und nicht in ihrer eigenen Sprache unterrichtet.

Zur Person

Khu Oo Reh

gehört dem Volk der Karenni an. Zudem spielt er als Vermittler und Verhandler seit Jahren eine entscheidende Rolle im Friedensprozess von Myanmar. Derzeit ist Vorsitzendes Vereinigten Föderalgremiums (UNFC), in dem sich verschiedene bewaffnete ethnische Gruppen zusammengeschlossen haben, um geschlossen mit Regierung und internationalen Vermittlern zu verhandeln. Zudem war er lange Zeit Schnittstelle zwischen der Regierung Thailands und den Karenni-Flüchtlingen im Land.