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Mit Samba gegen die Großbauern

Von Philipp Lichterbeck

Politik
Letzte Vorbereitungen für den Umzug der Sambaschule Imperatriz Leopoldinense.
© reu/Olivares

Eine Sambaschule in Rio bringt mit ihrem Karnevalsthema "Schutz des Amazonas" Brasiliens Agrarindustrie auf.


Rio de Janeiro. Wenige Tage vor dem großen Umzug haben sie den umstrittenen Namen des Blocks doch noch geändert. Nicht mehr "Die Großbauern und ihre Pestizide" soll er nun heißen, sondern: "Der falsche Einsatz der Agrochemie". Die Kostüme bleiben freilich die gleichen. Auf der Brust tragen die Tänzer ein Totenkopfemblem und auf dem Rücken haben sie einen symbolischen Kanister mit Pestiziden geschnallt. Die Namensänderung scheint Wirkung zu zeigen. Die Angriffe der mächtigen brasilianischen Großbauern hätten nachgelassen, hört man aus Rio de Janeiros Sambaschule Imperatriz Leopoldinense.

Diese hat im Vorfeld des diesjährigen Karnevals, der bis 1. März dauert, für einen heftigen landesweiten Streit gesorgt. Denn als Thema ihres Umzugs hat sie die Bedrohung des Amazonaswaldes und seiner indigenen Bevölkerung ausgesucht. Die Schule, die ihre Heimat inmitten mehrerer Favelas in Rios Norden hat, widmet sich damit nicht zum ersten Mal einem sozialpolitischen Thema. Sie nahm sich bereits der "Entdeckung Brasiliens" kritisch an sowie dem prägenden Einfluss der afrikanischen Kulturen auf dieses Land. "Aber niemals gab es deswegen so einen Aufstand", sagt der Präsident der Schule, Luiz Pacheco Drumond. Man habe den Beitrag der indigenen Völker für Brasilien würdigen wollen. Sie seien bedroht, genauso wie der Amazonaswald. Er hätte nicht damit gerechnet, dass sich die mächtige Agrarlobby Brasiliens deswegen einmischen würde. Pacheco spricht sogar von einer Diffamierungskampagne.

Tatsächlich machten die Bauernverbände Brasiliens gegen das Karnevalsthema mobil. Es hieß, die Sambaschule zeichne ein romantisches Bild der Indianer und dämonisiere die große Fortschrittsmaschine Landwirtschaft. In Rio de Janeiro habe man keine Ahnung von der Realität auf dem Lande und keinen Respekt vor einem der größten Arbeitgeber Brasiliens. Dabei wurde besonders eine Abteilung in dem mehr als 1000 Tänzer umfassenden Umzug kritisiert. Ebenjene mit dem polemischen Titel: "Fazendeiros e seus agrotóxicos" - Großbauern und ihre Pestizide.

Die Vereinigung der Züchter des Zebu-Rinds schrieb aufgebracht, dass es inakzeptabel sei, dass das größte Volksfest Brasiliens den haltlosen Attacken der Sambaschule eine Bühne biete. In einem Fernsehprogramm, das sich wohlwollend mit der Agrarindustrie beschäftigt, giftete die Moderation gar, dass die Indianer doch einfach an Malaria sterben sollten, wenn sie etwas gegen den Fortschritt hätten. Wenn sie Indianer seien, sollten sie auch so leben, im Wald bleiben und den Mund halten. Der Chef des großen Sojabauernverbands des Bundesstaats Mato Grosso verstieg sich gar zu der Aussage, die Sambaschule redete einer großen "Indigenen Nation unter UN-Aufsicht" das Wort. Es seien kulturelle Kommunisten am Werk.

Pistoleros gegen Bewohner

Brasiliens Großbauernschaft sieht den Wald und seine Bewohner lediglich als Hindernisse auf dem Weg zu noch größeren Viehweiden und Anbauflächen für gentechnisch veränderte Monokulturen wie Soja und Mais. Dieser Expansionsdrang führt zu zahlreichen Landkonflikten mit indigenen Völkern, mit den Gemeinden von Nachkommen geflohener afrikanischer Sklaven, den Quilombos, sowie mit Kleinbauern. Diese enden vielfach tödlich, weil die Großbauern nicht selten Pistoleiros schicken, um die Alteingesessenen einzuschüchtern. Der Staat ist in diesen Gegenden meist fern oder kooperiert mit den Großgrundbesitzern.

Tatsächlich setzen brasilianische Großbauern zahlreiche Pestizide ein, die in Europa und den USA teils schon seit 25 Jahren verboten sind. Sie dürfen dies dank ihrer mächtigen politischen Lobby. Eine nicht geringe Zahl von Senatoren und Abgeordneten in Brasilia gehört der Großbauernschaft an oder wird von der Agrarindustrie finanziert. So ist auch der gewaltige Aufschrei zu erklären: Die Sambaschule Imperatriz Leopoldinense, achtfacher Gewinner des Umzugs und nicht irgendeine Schule, hat eine sensible Wahrheit ausgesprochen.

Benannt wurde die Sambaschule Imperatriz Leopoldinense nach einer alten Zugstation in Rio. Diese wiederum war nach der Habsburgerin Maria Leopoldine von Österreich benannt, die gleichzeitig Königin von Portugal und Kaiserin Brasiliens war.

Das Thema umgesetzt hat dieses Jahr Cahê Rodrigues. Der kräftige Schwarze mit Hipsterbrille und fester Stimme ist der Carnevalesco von Imperatriz Leopoldinense. Der Carnevalesco ist eine Art von Drehbuchautor und Regisseur des Umzugs in einem. Um sich ein Bild zu machen, besuchte Rodrigues indigene Dörfer im Nationalpark Xingu in der Amazonasregion. Hinterher stand sein Umzugsthema fest: "Xingu - Der Klageruf aus dem Wald".

Zeremonienmeister Rodrigues weist auf die verschiedenen Aspekte hin, die der Umzug anspreche. Beispielsweise den umstrittenen Staudammbau von Belo Monte. Der soll einmal das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt werden, staut den mächtigen Rio Xingu, überflutet riesige Flächen Urwald und gefährdet die Lebensgrundlage der indigenen Völker an seinen Ufern. Die Ureinwohner bezeichnet das flotte Lied als "die wahren Herren dieser Erde".

Das ist natürlich etwas kitschig, aber man habe eine Botschaft formulieren wollen, sagt Rodrigues: "Respekt vor der Schöpfung und ihrer Vielfalt." Und er betont die soziale Verantwortung, die man als Sambaschule habe, wenn die Augen der Welt auf Rio de Janeiro gerichtet seien.

Das mag seltsam klingen in Europa, wo vom Karneval oft nur die Fotos von knapp bekleideten Tänzerinnen mit langen Pfauenfedern ankommen. Aber es stimmt: In Brasilien werden auch die Themen beachtet, die sich die Sambaschulen jedes Jahr aussuchen.

Zeichen der Versöhnung

Bei Imperatriz Leopoldinense hat man nun zwar den umstrittenen Namen eines Tänzerblocks geändert, andere aber nicht angetastet, etwa "Ankunft der Invasoren". Dennoch gab sich der Präsident des Dachverbands Landvereinigung Brasilien am Ende versöhnlich. Die Episode habe die Möglichkeit zu einem Dialog eröffnet, um die Arbeit der Bauern einmal ins rechte Licht zu rücken, sagte Marcelo Vieira. Die Agroindustrie sei ein modernes Geschäft, genauso wie der Karneval. "Unserer beider Produkte sind die Visitenkarte Brasiliens." Wie zur Ergänzung sagte Carnevalesco Cahê Rodrigues: "Wir haben den Namen geändert, um eine Verallgemeinerung zu vermeiden."

Da war er dann also doch: der versöhnliche Geist des Karnevals von Rio, der für eine Woche all die tiefen Widersprüche dieses Landes in Harmonie auflöst.