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Das Ende der "strategischen Geduld"

Von Thomas Seifert

Politik

Gefährliche Eskalation auf der koreanischen Halbinsel, China warnt vor einem Wettrüsten in Ostasien.


Seoul/Pjöngjang/Wien. Die Warnungen Barack Obamas an seinen Nachfolger Donald Trump haben sich bestätigt: Bei den ersten Kontakten zwischen dem Team von Donald Trump und Obamas Spitzenbeamten ließen Obamas Leute keinen Zweifel daran, dass Nordkorea die wichtigste Priorität für die neue Regierung sein wird.

Obamas Strategie war eine der "strategischen Geduld". Es gab keine hochrangigen Kontakte zwischen Washington und Pjöngjang, die Botschaft der USA an die Nordkoreaner lautete: Solange Nordkoreas starker Mann Kim Jong-un keine Bereitschaft zeigt, sein Nukleararsenal aufzugeben, werde sich an dieser Kontaktsperre auch nichts ändern.

In den letzten Monaten der Präsidentschaft von Barack Obama begannen die Nordkorea-Experten aber an dieser Strategie zu zweifeln, ein Umdenken begann. Denn im September 2016 fand der bereits fünfte offenbar erfolgreiche Atomtest statt und die Warnungen der Geheimdienste die Fähigkeiten der nordkoreanischen Nuklearwissenschaftler betreffend, wurden immer lauter. Diese würden ihrem Ziel, einen Nuklearsprengkopf zu bauen, der kompakt genug ist, um auf eine ballistische Rakete montiert zu werden, immer näher kommen. Zugleich verstärkte Pjöngjang seine Raketentechnologie-Anstrengungen. In seiner Neujahrsansprache hatte Kim Jong-un einen ersten Test einer ballistischen Interkontinentalrakete angekündigt. Nordkorea sei in der "letzten Phase" der Vorbereitungen für einen derartigen Test. Läuft die Zeit also ab?

Am Montag testete Nordkorea den gleichzeitigen Abschuss von vier Raketen (diese waren allerdings keine Interkontinentalraketen). Diese Tests waren für Südkorea und Japan höchst beunruhigend: Beide Länder verfügen über Raketenabwehrsysteme, der gleichzeitige Abschuss von gleich mehreren Raketen wird von Experten als Signal gewertet, dass die nordkoreanischen Militärs im Ernstfall ihre Raketen in so großer Zahl abschießen wollen, dass die Abwehrsysteme in Südkorea und Japan überfordert sind und einzelne Raketen durchkommen.

Als Antwort auf die Raketentests haben die USA mit dem Aufbau einer Raketenabwehr des Typs Thaad in Südkorea begonnnen, der bereits Mitte 2016 unter dem damaligen Präsidenten Obama vereinbart wurde. Das System soll Ende 2017 einsatzfähig sein. China, Nordkoreas nördlicher Nachbar, sieht das militärische Gleichgewicht in Ostasien und seine Sicherheitsinteressen berührt. Peking warnt vor einem Wettrüsten und fordert, den Aufbau des Raketenabwehrsystems zu stoppen. Thaad ist zwar für Peking keine militärische Bedrohung, das hochentwickelte X-Band-Radar des US-Raketenabwehrsystems kann aber weit in chinesisches Territorium "blicken", was den chinesischen Militärs ein Dorn im Auge ist.

Säbelrasseln und VX-Anschlag

Man kann davon ausgehen, dass Peking alles andere als erfreut über das Säbelrasseln Nordkoreas ist, das es den USA sehr leicht macht, die Stationierung der Raketenabwehr in Südkorea zu argumentieren. Peking hatte schon nach dem vorletzten nordkoreanischen Raketentest am 12. Februar als Strafmaßnahme einen Boykott über alle Kohleimporte aus Nordkorea verhängt. Für Nordkoreas Wirtschaft ist dies ein schwerer Schlag, das isolierte Land hat kaum Zugang zu Devisen. Das Attentat auf Kim Jong-uns Halbbruder Kim Jong-nam einen Tag später in Kuala Lumpur (Malaysia) verärgerte Peking vollends. Kim Jong-nam hat viele Jahre in China (zumeist in Macao) gelebt, es wurde gemunkelt, dass Peking ihn für den Fall, dass eines Tages ein Regimewechsel in Pjöngjang notwendig würde, auf der "Ersatzbank" gehalten hat. Wollte Kim Jong-un den Chinesen mit dem Attentat diese Option nehmen? Zudem zirkulierten Gerüchte, dass nordkoreanische Überläufer Kim Jong-nam mit dem Ansinnen, eine Exil-Regierung zu gründen, kontaktiert hatten. Kim Jong-nam hatte zwar abgelehnt, aber angeblich sollte es im April neue Gespräche geben. Für Pjöngjang tickte nach dieser Interpretation die Uhr. Besonders beunruhigend: Der spektakuläre Anschlag auf Kim Jong-nam, bei dem der hochgiftige Nervenkampfstoff VX (eine chemische Massenvernichtungswaffe) eingesetzt wurde, ist auch als Signal Pjöngjangs an die Welt zu deuten, mit den Inhalt: "Seht her, wir haben Chemiewaffen und zögern nicht, diese auch einzusetzen."

Der Zeitpunkt für die Eskalation ist höchst gefährlich: Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye droht derzeit im Morast eines Korruptionssumpfs zu versinken, ihre Handlungsfähigkeit ist eingeschränkt und im Weißen Haus sitzt der unerfahrenste und unberechenbarste US-Präsident der jüngeren Geschichte. Kims gefährliches Spiel mit dem Feuer könnte sich zu einem Weltenbrand auswachsen.