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"Wir geraten in eine Stromschnelle der Geschichte"

Von Siobhán Geets

Politik

Unsere Gesellschaft muss sich der radikalen Veränderung stellen, bevor es zu spät ist, sagt Philipp Blom.


"Wiener Zeitung": Ihr neues Buch "Die Welt aus den Angeln" handelt davon, wie die Kleine Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert die Gesellschaftsstruktur in Europa auf den Kopf stellte. Leben wir auch heute in revolutionären Zeiten?

Philipp Blom: Das ist schwer zu sagen. Wir leben in Zeiten, in denen Dinge möglich geworden sind, die wir vor ein paar Jahren noch für unmöglich hielten. Man kann von da, wo wir jetzt sind, direkte Wege zeichnen in revolutionäre oder diktatorische Gesellschaften. Das heißt aber nicht, dass das auch passieren wird. Aber es sind Dinge aufgebrochen. Die Nachkriegszeit ist vorbei - und mit ihr auch das Geschäftsmodell der westlichen Gesellschaften.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir leben in Gesellschaften, die auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet sind. Aber es wird immer schwerer zu generieren. Sicher geht es nicht mehr so wie bisher: Ausbeutung fossiler Brennstoffe und ärmerer Menschen, die jetzt besser informiert sind und sich denken: Warum sollen wir uns damit zufriedengeben, wir können auch in die reiche Welt gehen, wo auch wir ein besseres Leben haben können.

Und, historisch gesehen, auf der politischen Ebene?

Da kommt ein historischer Zusammenbruch der Linken hinzu - eine Konsequenz der Deindustrialisierung. Die Linke beruhte auf einer Gewerkschaftsbewegung, die aus der Arbeiterklasse herauskam. In der Fabrik zu arbeiten war nicht nur ein Job, das war eine Lebensweise. Da war ein Stolz, eine Identität, eine Sicherheit. Mit dem Verschwinden der Industrie ist auch das weg. Übrig geblieben ist ein Prekariat, das keinerlei Sicherheit mehr hat, keinerlei Planbarkeit des eigenen Lebens, keinen Stolz auf das, was es tut. Das ist keine organisierte Gruppe von Menschen mehr. Diese Gruppe geht auch weniger wählen. Deshalb haben sich die linken Parteien gut marktwirtschaftlich gedacht: Wir müssen dahin gehen, wo wir auch tatsächlich gewählt werden, und das sind die gebildeteren Schichten in den Städten.

War das der Fehler?

Die Linke hat ihre alte Klientel, die demografisch verschwunden ist, aufgegeben. Dass diese Leute verbittert und frustriert sind, da sie keine politische Repräsentation mehr haben, ist richtig. Dass sie dann leider zum Ziel von Demagogen werden, die ihnen eine Lösung vorgaukeln, die keine sein kann, das ist leider auch der Fall. Ein Rückzug in den Nationalstaat kann und wird in einer globalisierten Welt nicht funktionieren.

Der Rückzug wird aber als Kampf gegen Arbeitsplatzverlust verkauft.

Die Arbeitslosigkeit steigt. Mit Migration hat das aber nichts zu tun, sondern vorrangig damit, dass Maschinen diese Arbeit machen und das in Zukunft noch häufiger tun werden. Wenn Politiker über Vollbeschäftigung reden - das ist Politik aus dem 20. Jahrhundert! Diese Strukturen sind zusammengebrochen. Menschen merken, hier funktioniert etwas nicht mehr, Politiker handeln nicht in unserem Interesse. Oder vielleicht haben sie schlicht nicht mehr die Macht dazu. In so einer Situation können populistische Bewegungen aufkommen. Etwas sehr Wichtiges kommt hinzu: Wir haben beschlossen, dass die Zukunft nichts Gutes bringt: der Niedergang unserer Sozialsysteme, Klimawandel, Umweltverschmutzung, Migration. Deswegen wollen wir lieber gar keine Zukunft und nur zusehen, dass die Gegenwart nicht aufhört. Eine Statusverwaltung. Doch eine Gesellschaft ohne Zukunft, ohne Hoffnung, ohne gemeinsames Projekt, kann nicht bestehen. Die Rechten, die Populisten, bieten ein Projekt an, wenn auch ein zerstörerisches.

Sind es nicht gerade die konservativen Trittbrettfahrer, die den Rechtspopulisten Aufwind geben, indem sie deren Ideen aufnehmen?

Sicher. Man braucht immer diese Möglichmacher. Da hat (der republikanische US-Politiker, Anm.) John McCain recht - und ich hätte nie gedacht, dass ich je mit ihm übereinstimmen würde. Als Donald Trump sagte, die Medien seien der Feind des amerikanischen Volkes, sagte McCain: Genauso fangen Diktaturen an. Das heißt nicht, dass man den ganzen Weg geht. Mit ziemlicher Sicherheit wird Trump das nicht tun. Er scheint so erratisch und inkompetent, dass er wahrscheinlich bald verschwindet. Vielleicht ist er aber auch in acht Jahren noch da.

Was ist das wirklich Gefährliche an der gegenwärtigen Entwicklung?

Das Schlüsselwort ist Normalisierung. Auf der ersten Seite der britischen "Daily Mail" wurden Höchstrichter mit Foto und vollem Namen als Volksfeinde bezeichnet, nachdem sie entschieden hatten, dass das Parlament beim Brexit mitreden darf. Wenn so etwas normal wird, wenn man immer einen Schritt weiter geht, darf man sich nicht wundern, dass - nachdem Trump sagt, was er sagt - ein jüdischer Friedhof verwüstet und Moscheen angegriffen werden. Das ist die Mob-Reaktion auf diese Rhetorik. Die Taten von ein paar betrunkenen Hooligans gelangen in andere Bevölkerungsschichten. Wir erleben jetzt alle Übergangsstadien, in Ungarn und Russland und der Türkei, zu totalitären Regimes, die vielleicht noch nominell demokratisch sind.

Liberale Demokratien sind das nicht mehr . . .

Nein. Liberale Demokratien bestehen nicht nur aus demokratischen Spielregeln, sondern auch aus moralischen Grundprinzipien. Man kann schrecklich demokratisch sein und Christen den Löwen vorwerfen. Wenn das die meisten Leute gut finden, ist das demokratisch. Aber zu einer liberalen Demokratie reicht das nicht. Da braucht man die Werte der Aufklärung. Das sind künstliche Werte. Die sind kein Naturzustand des Menschen.

Kann man diese Werte der Aufklärung als Projekt verkaufen?

Ich weiß nicht, ob das nicht zu abstrakt ist. Mit der Migrationskrise sehen wir das genuine Dilemma: Menschenrechte sollten universell sein, das bedeutet, dass jeder gleiche Rechte hat. Das gilt auch für Menschen, die flüchten. Wenn aber, wie es manche vorhersagen, weitere fünf oder sechs Millionen nach Europa wollen, ist das mit dem sozialen Frieden der europäischen Gesellschaften nicht vereinbar. Dann riskieren wir den Bestand unserer eigenen Gesellschaft. Wir können diesen Rechten also nicht in ihrem vollen Umfang stattgeben. Das ist eine sehr ambivalente Situation. Wenn man einmal ein Zwei-Klassen-Menschenrecht institutionalisiert und akzeptiert, dann ist es eine Frage der Zeit, bis es andere Minderheiten trifft - und jeder von uns ist Teil einer Minderheit.

Kann die liberale Demokratie denn bloß mit Wohlstand locken?

Eigentlich wären Sozialismus und Gütergemeinschaft die ideale Gemeinschaft. Eine solche kann aber nur in elektiven Gemeinschaften existieren: in einem Kibbuz, und dort nur in der ersten Generation, in einem Kloster, wo Menschen freiwillig hingehen, in einer Kommune. Sobald Menschen dort hineingeboren werden, eigene Ideen entwickeln, die anders sind, ist diese ideelle Gemeinschaft gebrochen. Will man sie gewaltsam erhalten, wird sie diktatorisch. Deswegen ist es so schwer, eine ideelle Gemeinschaft zu finden. Deswegen ist Kapitalismus so schrecklich realistisch: Weil er davon ausgeht, dass wir alle unser eigenes Vorkommen, unseren eigenen Vorteil wollen.

Das scheint aber auch nicht zu klappen...

Wir haben uns diese Marktidee in den letzten Jahrzehnten rein neoliberal nacherzählt. Der Markt ist nur noch ökonomisch, die Gesellschaft ist eine Funktion des Marktes und nicht andersherum. Wir haben Menschen gesagt: Wenn ihr schon keine andere Transzendenz mehr habt, keine Religion, keine große sozialistische Bewegung oder kein faschistisches Ideal, dann könnt ihr eure Transzendenz zumindest auf Konsum begründen. Ihr könnt ein Ralph-Lauren-Typ werden oder eine Cartier-Dame, das ist eine Identität, eine Gemeinschaft, aber das reicht auf Dauer nicht.

Hat das je gereicht?

In der Nachkriegszeit war Konsum wirklich transformativ. Das erste Auto, die erste Waschmaschine, das erste Paar Jeans, das war etwas Besonderes. Das 19. Paar Jeans ist das nicht mehr. Heute ist ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung sehr reich, es gibt mehr und mehr, die wissen, dass sie daran nie werden teilhaben können. Dass die einzige Handtasche, die sie sich kaufen können, die vom westafrikanischen Straßenverkäufer in der Fußgängerzone ist. Dieses Konsumversprechen ist also zerbrochen, dieses Moment des gemeinsamen Projektes, das die Nachkriegsdemokratien hatten, funktioniert nicht mehr. Wir sind zurückgeblieben in dieser Idee von Menschen, die nicht mehr Bürger sind, sondern Konsumenten. Diese Idee hat politische Implikationen.

Das heißt?

Ein Verbraucher hat genau eine Pflicht: Genug Geld zu haben, - und dann hat man nur noch Rechte, ein Anrecht auf alles. Unsere komisch zukunftslosen Gesellschaften sind an einem Punkt, wo wir in eine Stromschnelle der Geschichte geraten, wo Klimawandel und Digitalisierung bedeuten, dass unsere Gesellschaften sich rasant ändern werden.

Sie schreiben in Ihrem aktuellen Buch, dass die radikale gesellschaftliche Veränderung im 16. Jahrhundert nicht nur negativ war.

Die Kleine Eiszeit zeigt: Wenn Transformation unvermeidlich ist, muss sie aggressiv angegangen und gestaltet werden. Sie zu negieren ist auch für die Mächtigsten und Reichsten nicht lange möglich. Der Unterschied zu heute ist, dass wir in Demokratien leben. Es muss den demokratischen Willen geben, diese Transformationen tatsächlich vorzunehmen. Das sehe ich im Moment nicht. Das ist die eigentliche Gefahr.

Die Rechtspopulisten versuchen, die Gesellschaft zu verwandeln...

Ja, aber sie wollen zurück in eine erfundene Vergangenheit. Das ist nicht nur das Zurück zum Nationalstaat. Der Idee des Marktes steht die Idee der Festung gegenüber. Das ist die autoritäre Idee, die an das Volk denkt, an die Schicksalsgemeinschaft, die Mauer, die Selbstbestimmung. Sie glaubt auch an eine "natürliche Sexualität". "Natürlich" ist, wenn Frau und Mann verheiratet sind und zwei Kinder haben, der Mann das Geld verdient und die Frau eine gute Mutter ist. Diese Art zu denken weiß auch relativ gut, dass Männer sowieso wertvoller sind als Frauen. Trump hat diese Denke mit seinem Satz illustriert: "You can grab them by the pussy." Wenn das für einen Präsidenten akzeptabel ist, dann sieht es nicht gut aus für Frauen.

Wie steuert man gegen? Das war doch Aufgabe der Linken?

Ein Problem ist, dass unsere Linke zu einer konservativen Kraft geworden ist. Auch progressive Politiker scheinen als einziges Mantra finden zu können: Wir müssen zurück. Wir haben keine Lust auf Veränderung. Aber sie kommt, und zwar mit historischer Geschwindigkeit und in globalem Ausmaß, innerhalb der nächsten zehn oder 20 Jahre. Je länger wir den Luxus pflegen, zu überlegen, dass wir zurückmüssen, desto mehr Zeit verlieren wir dafür, etwas zu gestalten, das ohnehin passiert.

Populisten stützen sich auf dieses Zurück - und haben Erfolg damit.

Das ist das Dilemma, in dem wir stecken. Aus dieser Spannung heraus wenden sich viele Menschen dem Populismus zu. Sie begreifen, dass das, was wir haben, nicht mehr funktioniert, laufen dann aber der falschen Lösung zu. Das hat auch mit Bildung zu tun. Die Bildung vieler Menschen ist erschreckend gering.

Welche Projekte kann die Linke anbieten? Kann man dem drohenden Arbeitsplatzverlust durch Automatisierung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen begegnen?

Das sind alles sehr abstrakte Mittelklasseideen. Wir sind relativ tribale Primaten, wir denken an unseren kleinen Stamm. Es ist sehr schwer, etwas für die Menschheit zu tun. Vor allem, wenn man nicht so unterdrückt, so arm ist, dass man weiß: Transformation ist notwendig. Wir können nur die Kurve kratzen, wenn wir es als Gesellschaft schaffen, ein gemeinsames Projekt zu formulieren. Das ist eine echte Herausforderung und ich glaube, dass die Ideen der Aufklärung zu abstrakt sind, um Menschen in ihrem Inneren zu überzeugen. Man muss es aber dennoch versuchen. So etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht nur eine Möglichkeit. Es wird notwendig sein.

Wegen der Automatisierung?

Ja. Ich sehe keine andere Lösung. Wenn wir in Gesellschaften leben, was wir wahrscheinlich in 20, 30 Jahren tun werden, in denen ein Drittel oder die Hälfte der Menschen keine Erwerbsarbeit mehr findet, weil die Arbeit von Maschinen gemacht wird. Wir sind dann in einer Situation, wo die Produktivität der Gesellschaft erhalten geblieben ist, das Geld wird ja immer noch erwirtschaftet, die Arbeit wird immer noch gemacht, aber nicht mehr von Menschen. Dann muss man sich fragen: Wofür ist diese Wirtschaft überhaupt da? Sind wir für die Wirtschaft da oder sie für uns? Wenn sie für uns da ist, dann müssen wir auch die Arbeit von Maschinen besteuern und diesen Wohlstand umverteilen.

In einigen Ländern gibt es bereits Pilotversuche mit dem bedingungslosen Grundeinkommen.

Es gibt keine vernünftige Alternative. Wir werden sicherlich erleben, dass das in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich schnell und unterschiedlich intelligent umgesetzt wird. Vielleicht kann man damit den Menschen die Lust am Politischen zurückgeben. Für Leute wie mich ist diese Zeit ideal. Ich habe nicht gehört, dass im letzten Jahr auf große soziale Fragen jemand geantwortet hat: Ah, da müssen wir einen Ökonomen fragen, lassen wir mal den Markt entscheiden! Wenn der Markt entscheidet, ist das meistens nicht in unserem Interesse. Es ist eine Zeit, wo Ideen und Diskussionen wieder wichtig werden.

Haben wir aus der Finanzkrise von 2008 gelernt?

Es ist wichtig, dass wir uns in unseren Gesellschaften die sehr einfache Frage stellen: Wer und wo wollen wir in 30 Jahren sein? Wie können wir dahinkommen? Wir sind damit beschäftigt zuzusehen, dass das, was wir im Moment haben, nicht weniger wird und dass wir es gegenüber Menschen verteidigen, die uns etwas davon wegnehmen wollen. Aber die Frage, was eigentlich unser gemeinsames Projekt ist, was uns verbindet, wer wir eigentlich sind und wer zu uns gehören kann, die wird sehr wenig gestellt - und sicherlich nicht von Politikern.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stammt aus kleinen Verhältnissen, er hat sich hochgearbeitet, ist charismatisch - und die Umfragewerte für die SPD schnellen hoch. Was halten sie als Deutscher vom sogenannten Schulz-Effekt?

Er scheint nicht zum Establishment zu gehören. Europa nimmt niemand ernst, daher ist er sozusagen frisch in der Politik. Was wir jetzt oft genug erlebt haben, und zwar nicht nur mit Donald Trump, sondern auch mit Bernie Sanders, ist, dass die Menschen wieder politische Ideen wollen. Sie wissen, dass das, was wir haben, nicht funktioniert, wir etwas anderes brauchen. Kühnheit tut Politikern gut. Das hat Trump auf eine widerliche Weise gemacht, und Bernie Sanders auf eine erstaunliche. Dass in Amerika ein atheistischer Jude, der keinen Kamm zu besitzen scheint, eine durchaus realistische Chance hat, Präsident zu werden, bis ihn seine eigene Demokratische Partei in den Rücken sticht - das ist schon erstaunlich. Er war ein Phänomen, weil er das Wort Sozialismus wieder gebraucht hat. In einem Land, wo es als sicher galt, dass jemand, der so ein Wort in den Mund nimmt, politisch tot ist. Das erleben wir auch mit den Rechtspopulisten. Die sagen auch Sachen, die man vorher so nicht gesagt hat. Menschen reagieren darauf positiv. Deswegen könnte es sich Schulz gut leisten, neue Ideen in den Wahlkampf zu bringen und nicht nur diese strukturkonservativen Ideen, die die Linke im Moment hat.

Ist eine dermaßen an einzelnen Personen aufgehängte Politik nicht auch bedenklich?

Das zeigt vor allem, wie wenig Politik noch mit Überzeugungen zu tun hat. Da kommt jemand und der ist irgendwie cooler als der andere und dann gehen die Umfragewerte gleich zehn Prozentpunkte hoch. Das ist eine Persönlichkeit, und im Fall von Schulz wahrscheinlich eine interessante, eine, die diese Schuhe füllen könnte. Aber es ist schon erstaunlich, dass das so persönlichkeitsgebunden ist. Es gibt eine gewisse Konsumentenhaltung auch zur Politik: Wenn mir das Produkt nicht gefällt, dann kaufe ich es eben nicht, dann gehe ich nicht wählen.

Wie ließe sich ein großes politisches Projekt mit der Kraft zur Bündelung umschreiben?

Die Ironie ist, dass dieses große Projekt, das unsere Gesellschaften so nötig hat, direkt vor unserer Nase liegt. Das ist eine Gesellschaft, die aus beinhartem Eigeninteresse solidarisch sein muss und lernt, sich umzustellen: auf eine Maschinenökonomie, auf ein unbedingtes Grundeinkommen, auf andere demokratische Prozesse - das liegt direkt vor uns.

Das wird mit einem gewissen Verzicht einhergehen müssen.

Ja. Dieses dringend benötigte Projekt direkt vor der Nase würde erfordern, dass wir bereit sind, etwas dafür aufzugeben. Doch das haben wir Menschen konsequent ausgeredet. Das wirklich Kritische ist: Jetzt sind wir noch wohlhabend, haben noch Einfluss, jetzt könnten wir diese Transformation noch gestalten. Die Fundamente dieses Wohlstands und dieser Handlungsfreiheit, die bröckeln jeden Tag etwas weiter ab. Wenn der Großteil der Menschen begreift, dass unbedingt etwas getan werden muss, weil auch bei uns das Leben viel schwieriger geworden ist, könnte es zu spät sein, denn Panik ist immer ein schlechter Ratgeber. Schaffen wir es zu begreifen, dass wir jetzt radikal etwas tun müssen, bevor wir gar nichts mehr tun können? Ich weiß es nicht.

Philipp Blom, geboren 1970 in Hamburg, ist Schriftsteller, Historiker, Journalist und Übersetzer. Sein neues Buch "Die Welt aus den Angeln", (Hanser, 304 Seiten), behandelt die Entstehung der modernen Welt während der Kleinen Eiszeit (1570-1700). Blom lebt in Wien.