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"Die Generation Allah ist längst Bestandteil der Gesellschaft"

Von Michael Schmölzer

Politik

Ahmad Mansour - Autor, Psychologe, Islamismus-Experte - warnt vor radikalisierten Jugendlichen als Breitenphänomen.


Wien. "Die Islamisten sind die besseren Sozialarbeiter", umreißt Ahmad Mansour den Kern des Problems der Radikalisierung von Jugendlichen in Europa. Nur wenige Tage vor dem blutigen Anschlag im Zentrum Londons diskutierte der Psychologe, Islamismus-Experte und Buchautor im Rahmen des Symposions Dürnstein über die "Generation Allah" - und legt den Finger in eine Wunde, die viele am liebsten längst geschlossen sähen: Der Salafismus als radikale Auslegung des Islam ist weiter verbreitet als gedacht. Auch bei Jugendlichen, die schon seit Generationen in Deutschland lebten, sagt Mansour. Die "Generation Allah" sei längst Teil der Gesellschaft. Kritikunfähig, einem unmenschlichen "Gottesbild der Angst" verhaftet und potenziell gewaltbereit. 560 "Gefährder" gebe es allein in Deutschland, diese könnten "jederzeit zuschlagen" und einen Terrorangriff starten. Sie seien von der Polizei nicht effizient kontrollierbar, so der Experte. Und sei erhielten steten Nachschub.

Der Islam ist laut Mansour, der Moslem ist und als Jugendlicher in Israel selbst zu den Radikalen ging, Teil des Problems: "Wie konnte so ein Ungeheuer entstehen?", fragt er in das Auditorium hinein und gibt den Gelehrten und Imamen eine Mitschuld an der Misere. Überall in der islamischen Welt werde die Opferrolle gepredigt, würden Feindbilder geschürt und die Ungleichheit der Geschlechter verkündet. Bei den in Europa angebotenen Integrationskursen würden muslimische Flüchtlinge westlichen Werten zwar zustimmen, weil dies von ihnen erwartet würde. Konkret würden die Migranten aber an der Vorstellung der Ungleichheit zwischen Mann und Frau festhalten.

Zwei entscheidende Jahre

Mansour stellt klar, dass er nicht den Islam per se, sondern das gängige Verständnis von Islam für gefährlich hält. Er arbeitet als Psychologe mit Jugendlichen, die bereit sind, in den Dschihad zu ziehen - oder bald dazu bereit sein könnten. Er kennt die Lage aus eigener Anschauung. Für ihn sind Schullehrer überfordert, nicht ausgebildet, mit radikalisierten Jugendlichen umzugehen.

Die Risikofaktoren sind laut Mansour vielfältig, viele Wege führten in den Dschihad. Ursache sei nicht nur die Diskriminierung muslimischer Jugendlicher, "das erklärt die Sache nicht", sagt er. Der "toxische Cocktail" bestehe aus einem fehlenden Vater, Problemen in der Schule und in der Familie, dem Gefühl, "nicht dazuzugehören", und einer labilen Persönlichkeitsstruktur. Zwischen dem verunsicherten Jugendlichen und dessen Weg in den Dschihad befände sich ein relativ kurzer Zeitabschnitt von zwei Jahren. In dieser Phase würden die Jugendlichen von Radikalen angesprochen und geschickt emotional eingefangen. Dem Sinnsuchenden werde durch ein äußerst rigides Schwarz-Weiß-Denken Sicherheit vermittelt. Alles drehe sich um "erlaubt", "halal", und "verboten", "haram". Gott werde als bestrafender Vater begriffen und eine lebensverachtende Ideologie nach dem Muster "von Allah, für Allah, zu Allah" gelehrt.

Dazu komme, dass Jugendliche oft stundenlang Videos von in Syrien, im Irak und in Palästina begangenen Gewalttaten sähen. Aus einem Gerechtigkeitsempfinden heraus würde bei vielen der Wunsch entstehen, in den Krieg zu ziehen, "einfach um zu helfen". Die Jugendlichen kämen zudem zur Überzeugung, allein im Besitz der Wahrheit zu sein, es entstehe das Gefühl, einer Elite anzugehören.

Rakka, ein "cooler Ort"

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt Mansour, dass es dem Islamischen Staat gelänge, auch junge Frauen in großer Zahl für den Dschihad zu begeistern. "30 Prozent derer, die nach Syrien oder in den Irak gegangen sind, sind Frauen", weiß er. Oft würde gesagt, "komm zu uns, hier kannst Du islamisch leben, hier gibt es durch die Geschlechtertrennung auch Aufgaben für Frauen."

Rakka, die IS-Hochburg in Syrien, wäre "ein cooler Ort", Krieg würde dort keine Rolle spielen. Es gebe außerdem einen richtiggehenden Heiratsmarkt, denn die Islamisten seien vor Ort unbeliebt und auf Frauen aus Europa angewiesen. IS-Kämpfer würden im Internet als "echte Männer" verkauft, "sexy, attraktiv". Viele Frauen, die sich aus Europa auf den Weg machten, würden aber auch ganz einfach "ihren Männern hinterherlaufen".

Eine weitere Gruppe bestehe aus denen, die aus Protest gegen ihre patriarchalen Väter den Weg in den Dschihad wählten. Nicht wissend, dass sie vom Regen in die Traufe kämen. Wobei es laut Mansour spürbar ist, dass der Weg in den Irak oder nach Syrien angesichts der militärischen Misserfolge des IS an Attraktivität abgenommen hat. Auch habe die Türkei die Grenze nach Syrien und zum Irak nun effektiv dichtgemacht. Das mache die Sache aber für Deutschland und Österreich nicht einfacher, denn der IS wolle weiter Präsenz zeigen und werde verstärkt Anschläge in Europa verüben.

Ahmad Mansour ist ein israelisch-arabischer Psychologe und Autor, der seit 2004 in Deutschland lebt. Er ist Islamismus-Experte und beschäftigt sich mit Projekten und Initiativen gegen Radikalisierung.