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Gefangen in der eigenen Tragödie

Von Klaus Huhold

Politik

Hunger und Zerstörung im Jemen: Trotzdem fliehen nur wenige Jemeniten ins Ausland. Sie sitzen im eigenen Land fest.


Sanaa/Wien. Es war ein trauriges Jubiläum, das die Demonstranten auf die Straße trieb. Mehrere zehntausend Menschen strömten am Sonntag in Jemens Hauptstadt Sanaa auf die Straßen, schwenkten die schwarz-weiß-rote Landesfahne des Jemen und stimmten Sprechchöre gegen Saudi-Arabien und die USA an.

Denn vor genau zwei Jahren hat eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition mit ihrer Militärintervention gegen den Jemen begonnen. Bis heute befindet sich das Land im Krieg, der Millionen Menschen vertrieben und für Hunger im ganzen Land gesorgt hat. "Im Jemen spielt sich eine der schlimmsten humanitären Krisen unserer Zeit ab", sagt Shabia Mantoo, Sprecherin des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) zur "Wiener Zeitung".

Geopolitische Rivalitäten

Der Konflikt ist komplex, Rivalitäten zwischen Gruppierungen innerhalb des Jemen heizen ihn an, gleichzeitig ist das Land ein Schlachtfeld geopolitischer Interessen. Auf der einen Seite stehen der sunnitische Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi und die mit ihm verbündeten Stämme. Hadi hat nur Teile des Landes rund um die Hafenstadt Aden unter Kontrolle. Hinter ihm steht die von Saudi-Arabien angeführte Militärallianz. Ihr gehören mehrere arabische Länder, etwa Ägypten oder Katar, an. Die USA und auch Großbritannien unterstützen sie logistisch.

Auf der anderen Seite stehen die Houthis, deren Milizen Hadi Ende 2014 aus Sanaa vertrieben haben. Die Houthis gehören den Zaiditen, einem schiitischen Zweig mit eigener Rechtsschule, an. Mit ihnen verbündet ist der im Zuge des Arabischen Frühlings gestürzte Langzeitherrscher Ali Abdullah Saleh, mit dem sich noch immer Teile der früheren Sicherheitskräfte loyal zeigen. Außerdem werden die Houthis vom Iran unterstützt, der mit Saudi-Arabien um die Vormachtstellung in der Region kämpft.

Trotz Angriffen aus der Luft, einer Seeblockade und des Einsatzes von Bodentruppen ist es der saudischen Allianz bis heute nicht gelungen, die Houthi-Milizen zu besiegen. Auch sämtliche Friedensgespräche sind gescheitert. Wegen der Kämpfe können viele Felder nicht mehr bearbeitet werden. Mittlerweile liegt auch der Hafen von al-Hudaida, durch den früher der Großteil der Lebensimporte ins Land kam, in Trümmern.

Erst am Montag schlug daher das UN-Kinderhilfswerk Unicef Alarm: 462.000 Kinder seien in Folge der extremen Nahrungsmittelunsicherheit und des Zusammenbruchs der Wasserversorgung in vielen Städten von akuter schwerer Mangelernährung betroffen. Und wer jetzt noch nicht Hunger leidet, den könnte es in Zukunft bald treffen. Denn die Lage spitzt sich immer mehr zu, Millionen Jemeniten sind vom Hunger bedroht.

Für die UNO und internationale Hilfsorganisationen ist es enorm schwierig, im Jemen zu operieren. Das liegt nicht nur daran, dass in vielen Gebieten heftige Kämpfe stattfinden und in manchen Landesteilen auch noch die Al-Kaida präsent ist. Ein weiterer Grund ist, dass UNO und Hilfsorganisationen viel zu wenig Geld bekommen. UNHCR etwa hat erst zehn Prozent der Mittel, die für den Jemen benötigt würden, erhalten. "Wir müssen deshalb bei unseren Operationen Prioritäten setzen", sagt Mantoo. Sprich: Hilfe, die notwendig wäre, kann nicht stattfinden.

Die Spendierfreudigkeit der arabischen, durchaus wohlhabenden Nachbarn scheint sich in Grenzen zu halten. Und im Westen ist der Konflikt wenig präsent. In den Medien wird wenig über den Jemen berichtet, und es machen sich kaum Flüchtlinge aus den Jemen nach Europa auf.

Denn die Jemeniten sitzen mehr oder weniger in der Falle, sind Gefangene ihrer Tragödie. Seit Beginn des Krieges haben laut Schätzungen des UNHCR lediglich 180.000 Menschen das Land verlassen, etwa Richtung Oman, Saudi-Arabien oder Dschibuti. Ihnen stehen drei Millionen Menschen gegenüber, die Flüchtlinge im eigenen Land sind.

Sie sehen keine Chance, es bis zu den Landesgrenzen zu schaffen. "Es ist enorm gefährlich, sich durch das Land zu bewegen. Die Leute suchen Sicherheit, wo immer sie diese auch finden können", berichtet Mantoo. Das kann einfach nur die nächste Nachbarprovinz sein.

Umkämpfte Grenzregion

Wer trotzdem versucht, das Land zu verlassen, setzt sich einem enormen Risiko aus. Das Gebiet rund um die Grenze zu Saudi-Arabien zählt zu den umkämpftesten überhaupt, genau hier prallen die Houthi-Milizen und die saudische Militärallianz aneinander. Als Alternative bleibt die Flucht über das Meer nach Afrika. Doch die Überfahrt ist ebenfalls gefährlich - die Boote sind oft seeuntauglich, es lauern Piraten und auch am Meer werden Schiffe wegen des jemenitischen Krieges angegriffen.

Und in den afrikanischen Ländern erwartet die Jemeniten oft auch keine bessere Lage. Ganz im Gegenteil: Die Länder am Horn von Afrika sind teils bitterarm, und Somalia etwa ist selbst ein Bürgerkriegsland, Eritrea eine Diktatur, auch im äthiopischen Ein-Parteien-System werden Oppositionelle verfolgt. Weshalb der Jemen, trotz der desaströsen humanitären Lage, selbst weiterhin auch Ziel von Flüchtlingen ist. Mindestens 117.000 waren es im vergangenen Jahr. Sie haben oft keine Vorstellung davon, wie schlimm die Lage im Jemen ist. Auch um diese Flüchtlinge kümmern sich UNHCR und die Hilfsorganisationen. Soweit sie es eben können.