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In guten wie in schlechten Zeiten

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der "Freundschaftsbund" zwischen dem weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und Kreml-Chef Wladimir Putin hat schon bessere Zeiten gesehen. Jetzt sehen sich die beiden autoritären Staatschefs gleichzeitig mit Protesten konfrontiert.


Minsk/Moskau. Eigentlich sollte es ein versöhnliches Treffen unter "Brüdern" werden, die "nichts und wieder nichts trennen kann", wie es der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko zuvor ausgedrückt hatte. Doch es waren keine guten Vorzeichen, unter denen am Montag das Treffen zwischen ihm und seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in St. Petersburg stattfand. "Leider müssen wir dieses Treffen mit den tragischen Ereignissen beginnen", sagte Putin. Wenige Minuten vor dem Treffen hatte es in der Metro im Zentrum der Stadt einen Anschlag gegeben, bei dem zumindest zehn Menschen ums Leben kamen.

Das Treffen zwischen Putin und Lukaschenko war mit Spannung erwartet worden. Nicht zuletzt, weil der Haussegen zwischen Minsk und Moskau zuletzt schief gehangen ist. Geplatzte Deals, Gasschulden, Handelstreit: Als die russischen Behörden im Februar dieses Jahres wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland einführten, platzte Lukaschenko bei einer Pressekonferenz der Kragen. 90 Minuten lang ließ er sich in einer Wutrede gegen den östlichen Nachbarn aus. Ein geplantes Treffen zwischen Lukaschenko und Putin wurde kurzerhand abgesagt. Erst gestern, am Montag, trafen sich die Präsidenten zum ersten Mal seit Monaten.

Vertrauensverlust zum Kreml

Zwar gehören wortreiche Scharmützel zum Modus Operandi zwischen den beiden Autokraten. Doch zuletzt haben sich die Spannungen erhöht. "Was vielleicht wie ein plötzlicher Wutausbruch erschien, war wohl eher ein ziemlich erwartbares Ereignis in der Abwärtsspirale der russisch-weißrussischen Beziehungen", so der Politik-Analyst Artjom Schreibmann. Vor allem seit 2014, dem Jahr, als Russland die Krim annektierte und der Krieg in der Ostukraine ausbrach, haben sich die Beziehungen abgekühlt. Von einem "deutlichen Vertrauensverlust zum Kreml" schreibt auch die Konrad-Adenauer-Stiftung in einem aktuellen Bericht.

Zuletzt haben sich die Präsidenten vor allem über die Frage des Gaspreises zerkracht. Während Moskau für 1000 Kubikmeter Gas 132 US-Dollar verlangt, will Minsk dafür nicht mehr als 73 Dollar zahlen. Mittlerweile soll Minsk bei Moskau deswegen mit einer halben Milliarde Euro in der Kreide stehen. Zugleich hat Moskau einseitig die Öllieferungen nach Weißrussland um rund 20 Prozent gekürzt. Das bringt wiederum Weißrussland in die Bredouille, denn der Export des hier verarbeiteten Öls nach Westen gilt als wichtiger Devisenbringer.

Kein Öl gegen Küsse

Innenpolitisch stehen die beiden Autokraten derweil vor ähnlichen Problemen. Die Bilder aus Minsk und Moskau, die dieser Tage um die Welt gingen, waren fast identisch: Protestierende, die in Scharen unsanft in Gefangenentransporter gezerrt werden. Hunderte Festnahmen hat es bei Protesten in Weißrussland gegeben, tausende in Russland. So ist es vor allem die triste Wirtschaftslage, die in beiden Ländern zu Unmut geführt hat: In Weißrussland entzündeten sich die Proteste an einer Steuer für Arbeitslose, in Russland an der Korruption der politischen Elite.

So bemühen sich beide Autokraten dieser Tage, wieder die Reihen zu schließen. Dass sich der Kreml Honig um den Mund schmieren lässt, und dafür wieder zur alten Formel "Öl gegen Küsse" zurückkehrt, glaubt Schreibmann indes nicht: "Die Politik Moskaus gegenüber Minsk ist in den vergangenen Monaten und Jahren viel pragmatischer geworden. Die Argumentation über Freundschaft und Brüderlichkeit hat nicht mehr so eine Wirkung auf den Kreml, wie früher", erklärt der Analyst im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Ein neuer Wind weht nun zwischen Moskau und Minsk: weniger herzlich, mehr technokratisch.

Auf ganzer Linie abhängig

Die Sozialproteste in Weißrussland hatten mit der Empörung über die "Sozialschmarotzer-Steuer", die Arbeitslose zu einer Abgabe von jährlich 180 Euro zwingt, begonnen. Inzwischen haben sich die Proteste aber auf wirtschaftliche und politische Forderungen ausgeweitet. Die ökonomische Lage in Weißrussland ist trist: 2016 ist die Wirtschaft um 2,7 Prozent geschrumpft, für heuer wird ein Minus von 0,9 Prozent prognostiziert. In Russland hat derweil eine Enthüllung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalnij zu den Reichtümern des Premiers Dmitrij Medwedew für Aufsehen gesorgt. So richtete sich der Protest in Russland vor allem gegen die Bereicherung der politischen Elite.

Dennoch könnte Lukaschenko versuchen, die Proteste im eigenen Land zu nützen, um Moskau dazu zu bringen, die wirtschaftlichen Malaise mit weiteren Subventionen zu lindern. Die Frage ist jedoch, ob Russland das überhaupt kann: Immerhin steckt das Land selbst in einer Wirtschaftskrise. Längst könne Weißrussland nicht mehr uneingeschränkt auf die russische Unterstützung zählen, sagt Ryhor Astapenia vom Ostrogorski-Zentrum: "Mit den sinkenden Preisen, dem Rückgang des Binnenkonsums und dem Schrumpfen des BIP in Russland ist die Diversifizierung der weißrussischen Wirtschaft zur absoluten Notwendigkeit geworden."

Von keinem Land ist Weißrussland so abhängig wie von Russland. 48 Prozent der Exporte gingen 2016 nach Russland. Russischen Subventionen machen zudem knapp ein Fünftel des weißrussischen BIP aus. Seit 2014 bilden Weißrussland und Russland, gemeinsam mit Kasachstan, Armenien und Kirgistan, die Eurasische Wirtschaftsunion, den Lukaschenko sogar als "Freundschaftsbund" bezeichnete. Die tiefe Verbindung zwischen Weißrussland und Russland war schon unter Boris Jelzin angestoßen worden. Kurz nach Amtsantritt im Jahr 2000 schlug Putin sogar eine Föderalisierung oder gar einen Beitritt Weißrussland in die Russische Föderation vor. Doch die Pläne trafen bei Lukaschenko auf wenig Gegenliebe und verliefen im Sand.

Angst vor der Schutzmacht

Zuletzt hat die strategische Bedeutung Weißrusslands für Russland aber nur noch weiter zugenommen, vor allem militärisch. "Weißrussland war und ist für Russland strategisch bedeutsam, bietet das Land nicht nur einen Puffer zwischen dem eigentlichen russischen Hoheitsgebiet und den Nato-Staaten, sondern auch Raum für die Flugabwehr westlich von Moskau", schreibt Dzianis Melyantsou vom weißrussischen Institut für Strategische Studien in einem Beitrag. Umso mehr, als 2014 der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskalierte und zum Krieg im Donbass führte. Doch mit dem Vorschlag, in Weißrussland einen russischen Luftwaffenstützpunkt zu errichten, ist der Kreml bisher bei Lukaschenko abgeblitzt.

Doch die Schockwellen des Jahres 2014 gingen noch weiter. Dass sich der Kreml seither als Schutzmacht für Russischsprachige im Ausland inszeniert hat, hat auch in Weißrussland, in dem das Russische dominiert, Ängste geweckt. Selbst Lukaschenko, der zuletzt das Weißrussische als "Sprache der Opposition" schmähte, hat vor kurzem ein TV-Interview in der Landessprache gegeben. Die weißrussische Sprache erlebt eine kleine Renaissance und wird nicht mehr so stark unterdrückt, wie in den Jahren zuvor.

"Die aggressive russische Außenpolitik und der wirtschaftliche Niedergang waren der wichtigste Antrieb für die weißrussische Führung, ihre Beziehungen zum Westen zu normalisieren", so Astapenia. Nachdem Lukaschenko im Jahr 2015 mit Mikalaj Statkewitsch den letzten politischen Gefangenen freigelassen hatte, hat die EU zudem die Sanktionen ausgesetzt. Derzeit wird auch über einen IWF-Kredit verhandelt. Medienberichten zufolge hat es in den vergangenen Wochen zahlreiche Besuche von Vertretern des IWF und der Weltbank gegeben. Lukaschenko "kann den weißrussischen Patrioten spielen, wenn es notwendig ist, gegen Russland aufzutreten, aber auch den russischen Loyalisten, wenn er westlichen Einfluss zurückdrängen möchte", schreibt der Autor Peter Pomeranzew. Dass Lukaschenko nun die friedlichen Proteste im Land brutal aufgelöst hat, wird die ohnehin fragile Beziehung mit dem Westen allerdings nicht unbedingt stärken.