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Im Namen der Kuh

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

Banden, die Kühe schützen, terrorisieren Indien. Es handelt sich dabei um radikale Hinduisten.


Neu Delhi. "Nenn mich Didi (Schwester)", sagt Sadhvi Kamal. Die 39-jährige Inderin kleidet sich ausschließlich in Safrangelb, der heiligen Farbe des Hinduismus. Auf ihrer Stirn trägt sie ein Bindi, den roten Punkt, wie ihn gläubige Hindu-Frauen oft tragen. Die heilige Mutter Teresa, so sagt sie, sei ihr Vorbild. Doch während die Nonne für Arme und Kranke in den Slums von Kalkutta kämpfte, kämpft Kamal für Kühe. Hunderte Rinder habe sie in ihrem Heimatbundesstaat Rajasthan vor dem Schlachthaus bewahrt, sagt "Kamal Didi" stolz. Die politische Aktivistin ist die langjährige Vorsitzende des "Nationalen Frauenverbandes zum Schutz von Kühen", einer radikal-hinduistischen Organisation.

Mit einem Tierschutzverband hat die in Indien als Gau Rakshah bekannte Organisation herzlich wenig zu tun. Der Verein ist eher ein loser Schlägertrupp von Jugendlichen, der in den drei nordindischen Bundesstaaten Rajasthan, Haryana und Uttar Pradesh operiert, wo das Schlachten von Kühen gesetzlich verboten ist. "Didi", die Vorsitzende, weist Berichte von sich, wonach ihr Verein das Gesetz selbst in die Hand nimmt und wehrlose Opfer brutal zusammenschlägt, von denen die Mehrheit Muslime sind - die in Indien eine religiöse Minderheit darstellen. Kühe sind für die Mehrheitsbevölkerung. Während Hindus aus religiösen Gründen kein Rindfleisch essen dürfen, gilt dies nicht für Muslime und Christen.

Mob belagert Hotel

"Es gibt 13, 14 Anzeigen der Polizei gegen mich, aber das kümmert mich nicht weiter", sagt Kamal selbstbewusst. Die "Kuhschmuggler" würden solche Anzeigen gegen ihre Leute fabrizieren. Ihr jüngster Erfolg ist die Schließung eines Hotels in Jaipur, im Bundesstaat Rajasthan, durch die Polizei.

Ein Mob von etwa 100 Leuten hatte das Haus umstellt und die Gäste und den muslimischen Besitzer bedroht, weil dieser angeblich Rindfleisch serviere. Ein paar hundert Meter vom Hotel entfernt feuerte Kamal die Menge an. "Ich habe keine Angst, mein Leben für den Schutz von Kühen zu lassen", rief sie den Protestierenden zu.

Ohne sich darum zu kümmern, ob das Gerücht auch wahr sei, ordnete die Polizei die Schließung des Hotels an. Fleisch, in der Küche sichergestellt, wurde an ein Labor zur Untersuchung geschickt. Der Hotelbesitzer sei in "diverse illegale Aktivitäten" verwickelt, behauptet "Didi" Kamal, ohne einen Anhaltspunkt dafür zu haben.

Politischen Rückenwind bekommt die Kuh-Aktivistin auch vom neuen Regierungschef im Bundesstaat Uttar Pradesh, Yogi Adityanath. Der Mönch und Hindu-Hardliner hat sofort nach seinem Amtsantritt Ende März mehr als die Hälfte aller Schlachthöfe dichtgemacht, wo bislang noch legal Büffel geschlachtet wurden, die nicht als Kühe gelten. Fleisch ist von den Märkten verschwunden, Restaurants haben traditionelle Gerichte wie Kebab von der Karte genommen und Fleischerläden bleiben geschlossen.

Die Fleischbranche beschäftigt fast ausschließlich Muslime, die 18 Prozent der Bevölkerung in Uttar Pradesh ausmachen. Sie und andere religiöse Minderheiten wie die Christen befürchten eine weitere Polarisierung unter der neuen politischen Führung.

In Nordindien macht sich eine Atmosphäre von Angst und Paranoia breit, die von Leuten wie "Didi" Kamal befeuert wird. "Der Kuhschmuggel nimmt jeden Tag weiter zu", klagt sie. Am 1. April stoppte eine Gruppe der Gau Rakshas an der Autobahn Jaipur-Delhi ein Pick-up-Fahrzeug mit zwei Kühen. Die Bande verprügelte und terrorisierte die Insassen des Autos und demolierte das Fahrzeug. Eines der fünf muslimischen Oper verstarb zwei Tage später an seinen schweren Verletzungen. "Wir hatten alle Papiere für den Transport. Wir haben uns nicht einmal bemüht, die Tiere zu verstecken", erklärte einer der Überlebenden des Angriffs.

Der Premier schweigt

Die Regierungschefin von Rajasthan, Vasundhara Raje, schweigt zu den Vorkommnissen. Schweigen kommt auch aus der Hauptstadt. Indiens Premierminister Narenda Modi, ein Hindunationalist, der sich vegetarisch ernährt und an religiösen Feiertagen fastet, unternimmt wenig, um die Sorge zu zerstreuen, dass Indien, das früher so stolz war auf seine religiöse Toleranz, in finstere Zeiten abgleitet.