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Venezuelas tapfere Frauen

Von WZ-Korrespondenten Tobias Käufer

Politik

Straßenproteste erschüttern das Regime des umstrittenen Präsidenten Nicolas Maduro.


Caracas. Es ist eine Szene, die das aktuelle Dilemma in Venezuela in einem Bild zusammenfasst: Mutig stellt sich eine Frau mit einer venezolanischen Flagge dem gepanzerten Polizeifahrzeug in den Weg. Hier geht es nicht mehr weiter. Staatsmacht gegen eigenes Volk. In fast allen Städten kam es am Mittwoch - einem Feiertag - zu Massenprotesten gegen die Regierung des umstrittenen sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro. Dessen Regime wankt, ob es fällt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.

Mittendrin in den Protesten marschiert Lilian Tintori mit. Die Ehefrau des seit drei Jahren inhaftierten prominenten Oppositionspolitikers Leopoldo Lopez trägt eine Gasmaske, als Schutz gegen Tränengasattacken. Sogar aus Hubschraubern wurden in den vergangenen Tagen Tränengasgranaten auf die demonstrierende Menge gefeuert. Tintori gehört zu einer Riege von prominenten Regierungskritikerinnen. Allesamt Lebensgefährtinnen von politischen Häftlingen, die gewaltfrei, aber kreativ demonstrieren. Auch die Studentenbewegung wird von vielen jungen Frauen geführt. Das macht es für die Regierung so schwierig, gegen die Proteste anzugehen. Bilder von gewalttätigen Sicherheitskräften, die gegen Demonstrantinnen vorgehen, ist das Letzte, was Maduro in der politisch verfahrenen Situation gebrauchen kann.

Der Präsident hatte zu Wochenbeginn noch ganz bewusst ein anderes Signal gesetzt. Jeder der rund 500.0000 Angehörigen der regierungsnahen Nationalen Bolivarischen Milizen solle ein Gewehr erhalten, kündigte Maduro am Montag an. Noch mehr Waffen in einem Land, das unter der Führung der Sozialisten zum gefährlichsten Ort in Südamerika geworden ist. Er wolle die Revolution noch weiter radikalisieren, brüllt er bei seinem Auftritt ins Mikrofon. Das macht seinen Landsleuten, die noch vor zehn Jahren, begeistert von einem neuen politischen Projekt, Hugo Chavez mehrere Wahlsiege verschafften, Angst. Bereits die sogenannten "Colectivos", gefürchtete paramilitärische Banden, die von Maduros im Jahr 2013 verstorbenem Vorgänger Chavez aufgerüstet wurden, um die Revolution zu verteidigen, sind bis an die Zähne bewaffnet. Viele von ihnen arbeiten längst auf eigene Rechnung, kontrollieren ganze Stadtviertel in Caracas. Die Regierung schaut weg, im Gegenzug regieren die "Colectivos" wie lokale Warlords. Die Folge: Caracas ist die gefährlichste Stadt der Welt.

"Keine Gewehre, sondern Nahrung", fordert Opposition

Die Regierungsgegner reagieren mit Spott. Oppositionsführer Henrique Capriles verurteilte die Ankündigung von Maduro scharf. "Venezuela will keine Gewehre, sondern Nahrung und Medikamente." Und Oppositionspolitiker Jose Manuel Olivares kommentierte via Twitter: "Mit dem Geld für 500.000 Gewehre könnte man die Gesundheitsversorgung von 16 Millionen Venezolanern sicherstellen." Auch die aus dem Parlament ausgeschlossene Maria Corina Machado, eine der Wortführerinnen der Opposition, wagt sich wieder hervor: "Die Diktatur weiß keinen Rat mehr." Tintori und Machado, die beiden prominentesten Regimekritikerinnen, verließen trotz massiver Drohungen und Einschüchterungen bisher ihr Heimatland nicht. Machado wurde sogar vor ein paar Jahren im Parlament von Parteimitgliedern der Regierung beim Versuch, ihr Rederecht wahrzunehmen, das Nasenbein gebrochen. Das hat der bürgerlich-konservativen Opposition viel Respekt auch in jenen Bevölkerungsschichten eingebracht, die ihr bislang kritisch gegenüberstanden.

Doch die Venezolaner scheinen trotz mehrerer tödlicher Zwischenfälle - bei den Demonstrationen am Mittwoch gab es drei Todesopfer - und der eindeutigen Drohungen Maduros die Angst vor der Staatsmacht verloren zu haben. Zu groß sind die Probleme, als dass sich die Menschen noch weiter einschüchtern lassen. Die Supermärkte sind leer, nicht einmal mehr Klopapier oder Babynahrung ist zu haben. In den Krankenhäusern sterben die Menschen, weil es an Medikamenten und Ausrüstung fehlt. Das bringt Venezuelas Mütter auf die Barrikaden, immer mehr schließen sich den Protesten an. Venezuela setzt als einziges südamerikanisches Land auf eine anachronistische Planwirtschaft, mit Preisspitzeln und vom Staat festgelegten Produktionsmengen und Gebühren. Hinzu kommt der Ölpreisabsturz, der das ölreichste Land der Welt bis ins Mark traf. Jahrelang hatte der hohe Ölpreis Milliarden in die Staats- und die Parteikasse gespült, doch anstatt das Geld in den Aufbau einer eigenen Industrieproduktion zu stecken, versandete das Geld in unbekannten Kanälen. Heute ist das Land Schlusslicht in der Korruptionstabelle Lateinamerikas.

Maduro hat vier Jahre nach seinem Amtsantritt jeglichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Die Niederlage bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren ignoriert er, regiert stattdessen mit Sonderdekreten und Ausnahmezustand an der Oppositionsmehrheit vorbei. Die versuchte er via Justiz jüngst komplett zu entmachten, doch dass scheiterte an der Wut auf der Straße und internationalen Protesten. Inzwischen sind nahezu alle prominenten Oppositionspolitiker entweder inhaftiert oder mit einem Berufsverbot belegt.

Nun läuft alles auf einen Showdown hinaus. Die Opposition mobilisiert die Massen, Maduro seine Sicherheitskräfte. Venezuela taumelt auf einer schmalen Linie zwischen Revolution und Bürgerkrieg.