Zum Hauptinhalt springen

Lügenpresse auf Koreanisch

Von WZ-Korrespondent Fabian Kretschmer

Politik

Fake News stellen ein massives Problem im südkoreanischen Wahlkampf dar.


Seoul. Als der Kommunikationswissenschafter Hahn Kyu Sup damit begann, systematisch alle Umfragen für die südkoreanische Präsidentschaftswahl zu sammeln und auf seiner Homepage zu einem großen Ganzen zusammenzufügen, gewöhnte er sich schon bald an die nervösen Regierungsbeamten, die nun täglich in seinem Büro anrufen sollten. Bis ins kleinste Details fragten sie den Professor der renommierten Seouler Nationaluniversität nach Auskunft: Woher er überhaupt seine Information beziehe? Welche Methodologie seinen Statistiken zugrunde liege? Ob man den Quellentext auch einmal einsehen könne?

"Natürlich verstehe ich, dass die Regierung alles Mögliche versucht, um eine Beeinflussung der Wahlen zu verhindern", sagt Hahn Kyu Sup, ein schmächtiger Mann mit strengem Seitenscheitel, dunkler Hornbrille und spitzen Lippen: "Aber bei diesem Wahlkampf gehen sie für meinen Geschmack eindeutig zu weit."

Eine geradezu paranoide Angst über digitale Falschmeldungen bestimmt den politischen Diskurs über die vorgezogenen Neuwahlen am 9. Mai. Bereits im Februar schrieb die linksgerichtete Tageszeitung "Hankyeoreh" in einem aufgeheizten Leitartikel: "Das Erstellen und Verbreiten von Fake News unterscheidet sich nicht wesentlich von der Propaganda der Nazis, die Lügen benutzt haben, um die deutsche Öffentlichkeit in die Schrecken des Krieges zu stürzen. (...) Eine Demokratie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn der Staat es zulässt, dass sich Goebbels-mäßige Lügen frei verbreiten können."

Manipuliertes Schnaps-Video über Ban Ki-moon

Das Blatt nahm dabei auch Bezug auf ein 13-sekündiges Online-Video, dass bereits Monate vor der Wahl den weiteren Verlauf entschieden geändert hat: Auf den wackeligen Bewegtbildern ist Ban Ki-moon beim Grabbesuch seiner Familienahnen in der Provinz Nord-Chungcheong zu sehen. Im konfuzianischen Korea ist dies eine wichtige symbolische Geste - zumal der scheidende UN-Generalsekretär noch im Januar als einziger Hoffnungsträger des konservativen Lagers galt. Die meisten Umfragen führte Ban zu jenem Zeitpunkt mit weitem Abstand an.

Dann jedoch beging er in besagtem Video einen gravierenden Tabubruch: Während des Grabrituals trank er ein Glas Reisschnaps, das eigentlich als Opfergabe für die Verstorbenen angedacht war. Die Internetgemeinde empörte sich zu Zehntausenden. Der Grundkonsens des Aufschreis: Der Karrierediplomat aus New York hätte längst den Draht zu seinem Heimatland verloren - und sei als Politiker nicht tragbar. Der 72-Jährige wurde über Nacht vom Messias zum ausgestoßenen Sohn. Was die meisten Online-Nutzer jedoch nicht wussten: Das Video wurde in einer Falschmontage bewusst manipuliert.

Nur wenige Tage nach dem Shitstorm kündigte Ban Ki-moon an, nicht für das südkoreanische Präsidentenamt kandidieren zu wollen. "Mein purer Patriotismus wurde durch Verleumdungen und Fake News demontiert", erklärte der 72-Jährige in einer Pressekonferenz.

Fake News ist ein relativ junger Begriff, der dennoch auf weiten Teilen des Globus für Furore gesorgt hat. Im Grunde ist es wenig überraschend, dass das Hightech-Land Südkorea besonders unter dem Phänomen leidet: Kaum eine Nation der Welt ist stärker vernetzt, hat schnelleres Internet und eine höhere Smartphone-Penetration.

"Weit über 70 Prozent aller Koreaner beziehen ihre Nachrichten mittlerweile über Internetportale und gehen nicht mehr direkt auf die Seiten der Verlagshäuser", sagt Professor Hahn. Besonders jüngere Leute würden kaum mehr zwischen klassischen Medien und Ein-Mann-Websiten unterscheiden. Auf diesem Nährboden können Falschmeldungen perfekt gedeihen.

Dabei ist das Problem der Fake News vor allem in ein Vakuum getreten, das die herkömmlichen Medienhäuser hinterlassen haben. Laut einer aktuellen Umfrage des US-Marktforschungsinstituts "Edelman" trauen nur mehr 42 Prozent aller koreanischen Internetnutzer den traditionellen Medien wie Zeitung, Radio und TV. Vor fünf Jahren waren es immerhin noch 58 Prozent. "Es ist erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt, dass die Kredibilität der Journalisten während der 1970er und 80er am vermutlich am höchsten war", sagt Hahn. Damals wurde Südkorea von Militärdiktatoren regiert, die die Medien an der kurzen Leine hielten.

Seit einigen Jahren jedoch werden viele Journalisten als "Giraegi" verbrämt - dem koreanischen Äquivalent zum "Lügenpresse"-Vorwurf. Das Schimpfwort ist ein Hybrid aus den Begriffen Gija (Journalist) und Seraegi (Abfall).

"Giraegi"-Rufe waren omnipräsent bei den Kerzenscheindemonstrationen im vergangenen Winter, als jeden Samstag bis zu zwei Millionen auf den Seouler Gwanghwamun-Platz den Rücktritt ihrer Präsidentin Park Geun-hye forderten. Auch unter den Loyalisten der mittlerweile geschassten Präsidentin, die bis heute vorm Rathausplatz auf einem Zeltlager kampieren, hörte man denselben Vorwurf. Unter beiden Lagern mündeten die verbalen Angriffe in mehreren Fällen in physische Übergriffe gegenüber Journalisten, die deren Meinung nach die Realität bewusst falsch wiedergeben würden.

Die Skepsis fußt nicht zuletzt auf den moralisch verwegenen Standards der Presse: Wer die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen aufschlägt, wird mit bezahlten, jedoch nicht gekennzeichneten Advertorials von Samsung & Co. überhäuft. Politische Gerüchte werden oftmals trotz fragwürdiger Quellenlage aufgegriffen, solange es der ideologischen Agenda der Zeitungen dient. Bei den meisten Nordkorea-Artikeln gleicht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einem Münzwurf.

Weite Bevölkerungsschichten haben sich daher längst von den herkömmlichen Verlagen abgewandt. Stattdessen teilten sie untereinander zu Zehntausenden in Chatgruppen des südkoreanischen Nachrichtendienstes KakaoTalk die Nachrichten von Podcastern und Aktivisten. Darunter mischen sich immer wieder reine Enten: US-Präsident Donald Trump hätte sich gegen die Amtsenthebung Parks ausgesprochen. Bei den Protesten gegen die Präsidentin hätte die kommunistische Regierung in Peking ihre Hände im Spiel und 60.000 chinesische Studenten in Korea mobilisiert. Oder nordkoreanische Spione steckten als Drahtzieher dahinter.

"Solche Gerüchte schwächen das Vertrauen in die Medien und staatliche Institutionen", sagt Kim Su-yeon von der Nationalen Wahlkommission. Frau Kims Büro befindet sich in einem schmucklosen Funktionsbau im Regierungskomplex Gwacheon, einer Satellitenstadt südlich von Seoul. Mehrere Dutzend Mitarbeiter in grauen Einheitsjacken sitzen dort vor ihren Computern, das Stakkato der Tastaturen bestimmt die Geräuschkulisse.

Rechtliche Schritteals letzte Konsequenz

Insgesamt leitet die Südkoreanerin Kim eine 185-köpfige Gruppe, die sich ausschließlich darauf konzentriert, Falschinformationen zu regulieren, die gegen das Wahlgesetz verstoßen. Oft geht es dabei um die Familienmitglieder der Kandidaten: Es kursieren beispielsweise Gerüchte, dass der linksgerichtete Politiker Moon Jae-in seinem Sohn illegal einen Job bei einer staatlichen Behörde verschafft hat. Bei der Tochter des liberalen Konkurrenten Ahn Cheol-soo heißt es, sie hätte eine US-Staatsbürgerschaft angenommen, um Steuern zu sparen.

Kims Cyber-Untersuchungskommission versucht in einem ersten Schritt, der Sachlage auf den Grund zu gehen. Manchmal könne man sich an einem Gerichtsurteil orientieren, in anderen Fällen müssen eigene Recherchen angestellt werden. Werden Falschinformationen klar als solche identifiziert, würden die Internetprovider zum Löschen der Inhalte aufgefordert. "Handelt es sich um Einzeltäter, bleibt es beim Löschen. Ist jedoch eine gewisse Systematik oder Professionalität bei der Verbreitung von Falschmeldungen zu erkennen, leiten wir auch rechtliche Schritte ein", sagt Frau Kim. Bislang wird gegen 11 Personen ermittelt, tausend Inhalte wurden aus dem Netz entfernt.

"Im Gegensatz zur Situation in Amerika, wo die Redefreiheit im Grunde gar nicht beschnitten wird, gibt es in Südkorea die Auffassung, dass einige Bereiche reguliert werden müssen", sagt Kim Su-yeon. Sie macht dabei auf ein grundsätzliches Dilemma von Koreas Gesetzgebung aufmerksam: In einigen Fällen wird auch berechtigte Kritik an Politikern als "Rufschädigung" und damit als Straftat gewertet. Ihre vorsichtig gewählten Worte zeugen von einem tiefen Misstrauen, dass eine Überregulierung staatlicher Institutionen dazu führen könnte, Opposition mundtot zu machen.

Die Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen wurzelt nicht zuletzt in der letzten Präsidentschaftswahl: Damals haben Mitarbeiter des südkoreanischen Geheimdienstes auf sozialen Netzwerken tausende gefälschte Profile erstellt, um Wahlwerbung für die konservative Politikerin und spätere Präsidentin Park Geun-hye zu machen. Der Staat war es, der die Fake News produzierte und verbreitete.