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Aller Anfang ist Mär

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

100 Tage Donald Trump sind Geschichte. Die Ergebnisse: ernüchternd - für seine Anhänger wie für seine Gegner.


Washington D.C. Schlecht ist es gegangen, aber am Ende ist nichts geschehen. Noch nicht. Bis Anfang der Woche hatte es ausgesehen, als ob US-Präsident Donald Trump tatsächlich eine Chance darauf haben würde, eines seiner wichtigsten Wahlkampfversprechen doch noch schnell einzulösen: die Aufhebung des Affordable Care Act, besser bekannt als Obamacare. Ende März war der erste Anlauf gescheitert, das unter seinem Vorgänger Barack Obama eingeführte Gesundheitsversicherungssystem abzuschaffen. Schuld daran trug allen voran der sogenannte "Freedom Caucus", unter allen republikanischen Fraktionen im Repräsentantenhaus die mit Abstand konservativste. Seitdem hatten sich die Emissäre des Weißen Hauses intensiv darum bemüht, die zu diesem Block gehörigen Abgeordneten für einen Kompromiss zu gewinnen. Das erklärte Ziel: Trump innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt zumindest einen weithin sichtbaren politischen Sieg zu bescheren. Erst am späten Donnerstagabend stand fest, dass es nicht dazu kommen würde: Auch Last-Minute-Verhandlungen zwischen ihnen und Trumps Abgesandten brachten keinen Durchbruch.

Was nicht heißt, dass die Abschaffung von Obamacare endgültig gescheitert ist. Laut Paul Ryan, dem konservativen Chefideologen und Sprecher der republikanischen Mehrheit im Abgeordnetenhaus, sei es "nur eine Frage der Zeit", bis sich eine belastbare Mehrheit dafür hergeben würde. Nur innerhalb von Trumps ersten 100 Tagen sei eben nichts zu machen gewesen.

Für jeden neuen US-Präsidenten stellt die 100-Tage-Grenze grundsätzlich eine fiktive, weil politisch gänzlich bedeutungslose Kategorie dar. Medial schaut die Sache indes anders aus, weil sie den amerikanischen Massenmedien einen willkommenen Anlass bietet, erstmals über die Arbeit des neuen Bewohners von 1600 Pennsylvania Avenue Bilanz zu ziehen.

Was diesem Ritual diesmal freilich eine besondere Note verlieh: Weil Donald Trump ein bekennender Medienjunkie ist, der nicht nur gern vorm Fernseher sitzt, sondern oft auch das, was ihm gefällt und was nicht, live per Twitter kommentiert, zeitigte sie diesmal ganz reale Auswirkungen. Bis zuletzt überboten sich die US-Zeitungen und ihre Online-Ausgaben gegenseitig mit Geschichten darüber, wie wichtig es Trump war, bis zum Ablauf seiner ersten 100 Tage als Präsident herzeigbare, sprich seinen Anhängern verkaufbare Ergebnisse zu liefern. Nachdem sich abzeichnete, dass es mit der zuvor groß angekündigten Gesundheitsreform binnen dieses Zeitraums nichts werden würde, ließ er stattdessen am Donnerstag seinen Finanzminister, den Ex-Banker und Hedge-Fund-Manager Stephen Mnuchin, seine Steuerpläne darlegen. Sukkus: Weniger Steuern für alle, aber vor allem für Unternehmen und wohlhabende bis extrem reiche US-Bürger.

Unfinanzierbare Steuerreform

Die Präsentation des Plans fiel indes ins gleiche Muster wie fast alle im Wahlkampf von Trump angekündigten Vorhaben: Mangels konkreter Details öffnete er allen möglichen Spekulationen über seine Realisierbarkeit Tür und Tor. Wiewohl Mnuchin darauf bestand, dass sich die von der Trump-Administration geplanten Entlastungen im Fall ihrer Implementation neutral aufs Bundesbudget auswirken würden, läuteten im Kongress alle Alarmglocken. Wie das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) vorrechnete, würde die Umsetzung den Staatshaushalt über die kommenden zehn Jahre mit Mehrkosten von bis zu zehn Trilliarden Dollar belasten.

Allen voran jene Konservativen, die sich in den vergangenen acht Jahren gegen jegliche Bestrebungen der Regierung Obama gewehrt hatten, neue Schulden aufzunehmen, stehen jetzt vor einem Dilemma: Trumps Wünschen nachgeben? Oder an ihrer bis vor kurzem noch vielbeschworenen Prinzipienfestigkeit festhalten und damit riskieren, ihre Stammwähler zu verprellen? Ein Problem, das sich für viele von ihnen angesichts der Kommunikationspolitik des Weißen Hauses langsam aber sicher zur Endlosschleife auszuwachsen droht.

Wenn sich dementsprechend eine konkrete These zu 100 Tagen Trump aufstellen lässt, die rein auf Fakten beruht, dann diese: Je größer seine Ankündigungen, umso kleiner offenbar die Chance, dass die mit nämlichen einhergehende Politik in die Tat umgesetzt, sprich in Gesetzestexte gegossen wird, die eine Mehrheit finden. Die Tatsache, dass die Republikaner als Folge des Wahlgangs vom Herbst beide Kongresskammern dominieren, ändert daran bisher fast nichts.

Der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko, Trumps vielleicht prominenteste Wahlkampfversprechen? Aufgeschoben - wie Trump diese Woche wissen ließ, will er die Debatte um ihre Finanzierung, oder zumindest der eines "mauerähnlichen Gebildes", erst im Herbst führen.

Der im Wahlkampf von Trump wortwörtlich so formulierte Plan, allen Muslimen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit künftig die Einreise in die USA zu verweigern? Selbst dessen modifizierte Version, mit der das Weiße Haus Menschen aus zunächst sieben, dann aus sechs muslimisch dominierten Ländern mit einem Einreiseverbot belegen wollte, scheiterte vorerst am Einspruch von Bundesrichtern. (Die sich bisher mehrheitlich auch nicht davon beeindrucken ließen, von Trump und ihrem formalen Vorgesetzten, Justizminister Jeff Sessions, deshalb regelmäßig beschimpft zu werden.)

Dünne Erfolgsbilanz

Von der Abschaffung Obamacares ganz zu schweigen. Das sind alles nur die innenpolitischen Felder, die Trump bisher weitgehend erfolglos beackert hat. Mit Ausnahme der erfolgreich durchgebrachten Nominierung des erzkonservativen Richters Neil Gorsuch für den Supreme Court - was freilich schwer wiegt, weil dieser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch dann noch die schwarze Robe tragen wird, wenn Trump längst Geschichte ist - hat der 70-jährige Politnovize bisher de facto keinen einzigen achtbaren Erfolg aufzuweisen. Außenpolitisch schaut es nicht viel besser aus.

Die Aufkündigung internationaler Handelsabkommen, deren Auswirkungen laut Trump vor allem der amerikanischen Arbeiterklasse schaden? Keine Rede mehr davon ("vorerst", wie Trump sagt). Ein harter Kurs gegenüber China, das der Wahlkämpfer Trump "Währungsmanipulator" nannte und aller möglicher sonstiger "unfairer Maßnahmen" bezichtigte, die er als Präsident umgehend abstellen werde? Nach dem Besuch von Präsident Xi Jinping in Trumps Privatanwesen Mar-a-Lago in Florida Geschichte. Die Abmahnung an die Mitgliedsländer der vor ein paar Monaten laut Trump noch "überflüssig gewordenen" Nato, sich künftig nicht mehr auf Amerikas Schutz zu verlassen? Schnee von gestern.

Muskelspiele gegen Nordkorea

Politische Konsistenz bewies Trump in seinen ersten 100 Tagen als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte einzig in zweierlei Hinsicht. Nach wie vor verbietet er sich persönlich jegliche Kritik an Wladimir Putins Russland - eine Tatsache, die nach der Entlassung seines ersten obersten Sicherheitsberaters Michael Flynn, dem mittlerweile unter anderem wegen Steuerhinterziehung eine Strafe droht - fast untergeht; und der Drohung, Nordkorea nicht mehr lange bei seinen Provokationen zusehen zu wollen. Der US-Präsident beorderte zur Machtdemonstration einen Flugzeugträger und ein mit Raketen bestücktes U-Boot vor die Küste seines Gegners Kim Jong-un. Dass die diplomatischen Bemühungen scheitern könnten, will Trump nicht mehr ausschließen. "Es besteht die Möglichkeit, dass wir am Ende einen großen, großen Konflikt mit Nordkorea haben", sagte er jüngst in einem Reuters-Interview.

Wen das alles indes bisher überhaupt nicht anficht, sind seine Fans. Auch wenn jede Woche aufs neue Umfragen erscheinen, die belegen, dass Trump gute Chancen hat, als unpopulärster Präsident aller Zeiten in die Geschichte einzugehen, halten konstant rund 40 Prozent der Amerikaner zu ihm. Nachdem es sich bei diesen Menschen um die Basis der Republikanischen Partei handelt, von denen die Mehrheit zwischen den Küsten und in den sogenannten Swing States beheimatet ist, muss sich Trump zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mal wirklich fürchten, was seine Chancen auf eine etwaige Wiederwahl angeht. Langfristig bleibt so die einzige Frage, wie viel Fleisch am politischen Stecken tatsächlich nötig sein wird, um diese Leute bei der Stange zu halten. Gemäß den im Wahlkampf gemachten Erfahrungen lautet die Antwort: nicht viel. Den meisten von ihnen scheint es zu genügen, wenn Trump ab und an den starken Mann herauskehrt, ganz gemäß seinem eigenen Credo: Details sind etwas für Loser. Hauptsache, der Auftritt stimmt.