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"Die Wahlen im Iran können gar nicht demokratisch sein"

Von Heike Hausensteiner

Politik
© reu/Denis Balibouse

Frauen sind von der Kandidatur weiterhin ausgeschlossen, kritisiert die Frauenaktivistin Alikarami.


Wien. Mit dem moderaten Kleriker Hasan Rohani an der Staatsspitze hat sich der Iran dem Westen vorsichtig geöffnet. Die Präsidentenwahl am Freitag wird zeigen, ob es bei diesem Weg bleibt oder der Klerus das Land wieder abschotten kann. Hauptherausforderer von Rohani ist der erzkonservative Spitzenkandidat Ebrahim Raisi.

"Wiener Zeitung": Welche Fragen stehen bei den Präsidentenwahlen im Iran im Mittelpunkt?Leila Alikarami: Ich denke, die Wirtschaftslage und die Menschenrechte sind die größten Themen für Bevölkerung. Die Iraner erwarten vom nächsten Präsidenten, dass er diese Probleme in Angriff nimmt, damit sich ihr Lebensstandard verbessert. Rückblickend verstehen wir den Grund, weshalb die Bevölkerung für Präsident Rohani stimmte (2013, Anm.). Er hatte versprochen, das Atom-Abkommen abzuschließen und so die Wirtschaft anzukurbeln. Ein weiteres Versprechen von ihm war eine Entspannung des politischen Verhältnisses zum Westen. Die Iraner unterstützten das Abkommen, weil sie wollten, dass der Iran endlich aus der Isolation herauskommt und Wirtschaftsbeziehungen mit anderen Ländern eingeht. Die Sanktionen wirkten sich negativ auf die Wirtschaft aus, und die Bevölkerung zahlte viele Jahre einen hohen Preis für die falsche Politik der iranischen Regierung. Wir wissen alle, dass eine starke Wirtschaft die Menschen nur dann glücklich und zufrieden macht, wenn sie zivile und politische Rechte genießen. Daher steht beides im Vordergrund bei den Präsidentschaftswahlen.

Der Wächterrat bestehend aus zwölf Mitgliedern, nämlich Juristen und Theologen, entscheidet über die Präsidentschaftskandidaten. Üblicherweise werden keine Kandidatinnen zugelassen, obwohl die Frauen mehr als die Hälfte der iranischen Bevölkerung von 80 Millionen stellen. Werden die Präsidentenwahlen 2017 demokratisch und fair sein.

Die Wahlen können meiner Meinung nach gar nicht demokratisch und fair sein, wenn die Hälfte der Bevölkerung von einer Kandidatur ausgeschlossen wird. Das widerspricht eindeutig den Grundrechten der iranischen Frauen. Diese Diskriminierung ist in Irans Verfassung festgeschrieben: Nur "rijal", das arabische Wort für "Männer", dürfen als Staatspräsident kandidieren. Aber es gibt viele Unklarheiten bezüglich des Wortes "rijal". Außerdem hatten in der Geschichte des Islam viele Frauen politische Führungspositionen. Bei den Parlamentswahlen dürfen Frauen im Iran sehr wohl kandidieren. Der Wächterrat hat nie ausdrücklich erwähnt, dass er Kandidatinnen wegen des Frauseins ablehnt. Irans Verfassung gehört deshalb dringend geändert, um auch den iranischen Frauen die Grundrechte zu gewähren und zu garantieren, finde ich.

Sind Sie optimistisch, dass der Iran den Weg zurückfinden wird zu mehr Demokratie?

Unser Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liegt 100 Jahre zurück, als sich im Iran die Verfassungsrevolution ereignete. Seit damals haben wir verschiedene politische Veränderungen durchgemacht: Staatsstreiche, Regimewechsel, Revolution, Krieg, Rebellion und Nachwahlkrisen. Trotzdem versuchen wir als Nation, auf dem Weg Richtung Demokratie zu bleiben. Wir sind überzeugt, dass das der einzig richtige Weg ist. Wir sollten aus der Erfahrung anderer Länder lernen, aber niemand kann den Weg statt uns gehen.

Iran hat eine relativ junge Bevölkerung, das Durchschnittsalter ist 30 Jahre. Wann wird Ihr Land bereit sein für die erste Frau an der Staatsspitze?

Es gibt viele Frauen diskriminierende Gesetze im Iran. Dennoch nehmen sie nie eine passive Rolle ein. Durch ihre sozialen Aktivitäten haben sie es geschafft, einige dieser Benachteiligungen zu reformieren. Irans Frauen haben eine starke Stellung in der Gesellschaft. Die Nation ist schon jetzt bereit für eine Präsidentschaftskandidatin. Einige Frauen registrierten sich für die Wahl am 19. Mai. Dass sie vom Wächterrat ausgeschlossen wurden, zeigt, dass die iranische Regierung die mächtige Präsenz der Frauen im politischen Leben des Landes noch nicht akzeptieren kann. Ich glaube, die Regierung sollte sehr bald den sozialen Veränderungen folgen und Frauen jene Rollen gewähren, die ihnen gebühren.

Sie haben mit Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi zusammengearbeitet. Streben Sie selbst ein politisches Mandat im Iran an?

Ich wollte niemals Politikerin werden. Ich bin Anwältin und Menschenrechtsaktivistin. Vorerst möchte ich das auch bleiben und Irans Politiker und Parlamentarier auf Frauen diskriminierende Gesetze hinweisen und dazu aufrufen, auch die Grundrechte der Frauen zu gewähren.

Würden Sie jemals in Ihr Land zurückkehren?

Ich habe mein Land wegen des Jus-Studiums verlassen und lebe in London. Meine Anwaltstätigkeit begann ich während der Regierung von Mohammad Khatami (1997-2005), die als Reformära bekannt war. Ich war Verteidigerin von Frauenrechten an den Revolutionsgerichten während der konservativen Präsidentschaft von Mahmoud Ahmadinejad (2005-2013). Ich hoffe nach wie vor, dass sich die Lage der Menschenrechte verbessert, weil wir eine starke Zivilgesellschaft und Menschenrechtsbefürworter haben, die bereit sind, für die Freiheit einen Preis zu zahlen. Ich bin sicher, ich werde zur rechten Zeit in den Iran zurückkehren.

Zur Person

Leila Alikarami

wuchs in Teheran auf und lebt seit einigen Jahren in Großbritannien. Seit 2001 befasst sie sich schwerpunktmäßig mit den Frauen- und Kinderrechten. 2009 nahm sie stellvertretend für die iranischen Frauen den Anna-Politkowskaja-Preis entgegen.