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Der ganz normale Wahnsinn

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Eine Trump'sche Amtsenthebung scheint erstmals nicht mehr ausgeschlossen, ist aber nicht wahrscheinlich.


Washington D.C. Und täglich grüßt das russische Murmeltier. Am Mittwochvormittag Ortszeit Washington bot Russlands Präsident Wladimir Putin an, das Protokoll eines Gesprächs zwischen seinem Außenminister Sergej Lawrow, dem scheidenden US-Botschafter Sergej Kislyak und US-Präsident Donald Trump öffentlich zu machen. Einzige Bedingung: dass das Weiße Haus damit einverstanden sei. Zwischen der Verlautbarung und der Konkretisierung, dass es sich nicht um ein Tonband, sondern um eine schriftliche Wiedergabe handle, verging eine gute Stunde. Für die amerikanischen Medien mehr als Zeit genug, laut darüber zu spekulieren, ob das Oval Office heutzutage noch ein sicherer Ort für Unterhaltungen sei. Ein Narrativ, das Trump nur Tage zuvor selber befördert hatte.

Kurz nach der Entlassung von FBI-Direktor James Comey Anfang vergangener Woche hatte der 70-Jährige in einem Tweet suggeriert, dass Bänder der Vier-Augen-Gespräche mit ihm existieren. In nämlichen habe der Chef der Bundespolizei dem Präsidenten - angeblich, sprich laut Trump - insgesamt dreimal bestätigt, dass seine Behörde in Sachen informeller Wahlkampfhilfe durch Russland nicht gegen ihn persönlich, sondern nur gegen Mitglieder seiner Wahlkampftruppe ermittle.

Wie sich keine Woche später erweist, existieren diese Bänder offenbar nur in der Vorstellung Trumps. Nur eine von zahlreichen Erkenntnissen, die jetzt ein neuer Skandal ans Licht bringt, der an Qualität alles bisher Erlebte übersteigt - und der erste in der erst knapp über hundert Tage währenden Amtszeit des New Yorker Ex-Reality-TV-Stars, der das Potenzial hat, ihn langfristig den Job zu kosten.

Explosive Notizen

Wie zuerst die "New York Times" berichtete und zahlreiche andere Medien in der Folge bestätigten, habe Comey nach jedem einzelnen seiner persönlichen Treffen mit Trump Aktennotizen angelegt, deren Inhalte er nur mit den Angehörigen seines innersten Zirkels teilte. Was bisher über deren Inhalt bekannt ist, könnte sich explosiver kaum darstellen. Laut Comey habe ihn Trump nur einen Tag nach der Entlassung von Michael Flynn, dessen Karriere als nationaler Sicherheitsberater nur 18 Tage währte, im Anschluss an ein Abendessen im Weißen Haus gebeten, die Ermittlungen gegen den Ex-General einzustellen.

Flynn hatte gegenüber der Administration angeblich seine zahlreichen Russland-Connections sowie persönliche Unterhaltungen mit Botschafter Kislyak verschwiegen. Nicht nur politisch, sondern auch juristisch könnten sich die Konsequenzen dieser Bitte für Trump jetzt bitter rächen. Der Vorwurf lautet nicht weniger als "Obstruction of Justice", Versuch der Behinderung der Justiz, und nachdem es - mit Ausnahme der republikanischen Führung, namentlich Paul Ryan im Abgeordnetenhaus und Mitch McConnell im Senat - in der US-Hauptstadt kaum noch eine Ecke gibt, in der sich der Präsident keine Feinde gemacht hat, scheint eine etwaige Einleitung eines Amtsenthebungsverfahren deshalb zumindest realistisch.

Was noch lange nicht heißt, dass es tatsächlich dazu kommen wird. Auch wenn sich Trumps Fürsprecher im Kongress derzeit (mitunter buchstäblich) vor den Medien verstecken - nicht einmal ihr Haus- und Hofsender Fox News schaffte es am Dienstag, auch nur einen gewählten Volksvertreter vor die Kamera zu bekommen, der ihn verteidigt - gibt es nach wie vor keinerlei Anzeichen dafür, dass auch nur eine Minderheit der Republikaner daran denkt, einen unabhängigen Untersuchungsrichter zu installieren, der sich Trumps Treiben annimmt.

Öffentliches Hearing

Entsprechend stellen sich die nächsten Schritte - aller Voraussicht nach, fix ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse derzeit nichts - folgendermaßen dar: Zuerst wird James Comey vom House Oversight Comittee zu einem aller Erwartung nach öffentlichen Hearing vorgeladen werden, um Zeugnis über seine Treffen mit Trump abzulegen. Dessen Vorsitzender Jason Chaffetz, ein Republikaner aus Utah, der vor kurzem ankündigte, künftig nicht mehr für seinen Sitz im Abgeordnetenhaus zu kandidieren, hat bereits Einsicht in die Aktennotizen des FBI-Direktors verlangt.

Bei diesem Hearing wird es aller Voraussicht nach nicht nur um Trumps Bitte um die Einstellung der Ermittlungen gegen Flynn gehen. (Wie im Zuge des Skandals ebenfalls bekannt wurde, bilden diese nur einen Teil von mehreren, parallel nebeneinander herlaufenden Untersuchungen der Bundespolizei gegen bisher nicht namentlich genannte Mitglieder von Trumps Wahlkampfteam.) Wiewohl deren Gewicht im Lichte dessen, was schon jetzt alles als gesicherte Erkenntnis gilt, kaum zu unterschätzen sein dürfte.

Wie die Ende Jänner von Trump entlassene Generalstaatsanwältin Sally Yates jetzt verlauten ließ, hatten die Russen "ganz reale Druckmittel" gegen Flynn in der Hand; ein Umstand, über den unter anderem sie selbst Mitglieder der Trump-Administration schon vor deren Amtsantritt informiert habe, der von diesen aber bewusst ignoriert wurde. Dementsprechend geht im Weißen Haus die Angst um, was passiert, wenn Comey im Detail über seine Unterhaltungen mit Trump "auspackt". In diesem Zusammenhang scheint die einzig verbliebene Frage, wie weit der 56-Jährige in seiner Auskunftsfreudigkeit am Ende wirklich gehen wird. Wenn man sich nur daran hält, was bisher alles an die Öffentlichkeit drang, scheint es jedenfalls, als ob Comey keinen Grund mehr für jedwede Zurückhaltung sieht.

Reporter ins Gefängnis?

Unter anderem wurde bekannt, dass Trump ihn unter anderem gebeten habe, in Zukunft zu erwägen, seiner Regierung unliebsame Reporter ins Gefängnis zu werfen. Zudem habe er "Loyalität" von Comey verlangt - dem Chef einer unabhängigen Exekutivbehörde -, was dieser abgelehnt, ihm dafür aber "Ehrlichkeit" versprochen habe. Keine zwei Monate später war der an und für sich für zehn Jahre bestimmte FBI-Chef nach bereits knapp drei sein Amt los; unter, wie sich schnell herausstellte, mehr als fadenscheinigen Gründen.

Aber selbst wenn Comey Trump tatsächlich offen des Versuchs der Behinderung der Justiz bezichtigt - wie nicht zuletzt von den Demokraten erhofft - gilt die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahren als alles andere als fix. In diesem Fall stünde Comeys Wort gegen das Trumps, und nachdem die Republikaner im Kongress bisher keinerlei Anstalten machen, ihn trotz allem fallen zu lassen, gilt es als nicht unwahrscheinlich, dass er sogar damit davon kommt.

Obwohl angesichts des angespannten Verhältnisses des Präsidenten zu praktisch jeder Art von Wahrheit kaum Zweifel daran bestehen, wer von den beiden mehr Glaubwürdigkeit besitzt, geht in ihren Augen die innenpolitische Logik vor - selbst zu dem Preis, das Land vor den Augen der Weltöffentlichkeit lächerlich zu machen. Was ihnen zumindest insofern nicht übel zu nehmen ist, als sie sich damit nicht von ihrer Wählerbasis unterscheiden: Umfragen zufolge halten nach wie vor zwischen 35 und 40 Prozent der Amerikaner Trump für einen guten Präsidenten.

Impeachment
Ein US-Präsident kann nach der amerikanischen Verfassung nur vom Kongress aus dem Amt entfernt werden. Dazu gibt es das Impeachment-Verfahren (Amtsanklage). Als Gründe dafür werden in der Verfassung "Verrat, Bestechung oder andere schwere Verbrechen und Vergehen" genannt - eine nähere Definition gibt es nicht. Das Impeachment wird vom Repräsentantenhaus eingeleitet, erste Schritte des Verfahrens erfolgen in dessen Justizausschuss. Am Ende verabschiedet die gesamte Kammer mit einfacher Mehrheit eine Liste von Anklagepunkten und leitet sie in der Folge an den Senat weiter. Diesem kommt die Funktion eines Gerichts zu. Der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs leitet das Verfahren, einer Verurteilung müssen am Ende zwei Drittel der anwesenden Senatoren zustimmen. Die Kammer hat 100 Mitglieder. Nach Angaben des Senats kann keine Berufung eingelegt werden. Bisher ist kein US-Präsident durch ein Impeachment-Verfahren des Amtes enthoben worden. Zuletzt musste sich der Demokrat Bill Clinton 1999 wegen einer Lüge über eine sexuelle Beziehung zu Monica Lewinsky einem Verfahren stellen. Der Senat sprach ihn jedoch von den Vorwürfen des Meineides und der Behinderung der Justiz frei. 1974 kam der Republikaner Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre um die abgehörte Wahlkampfzentrale des politischen Gegners einer Amtsenthebung durch seinen Rücktritt zuvor. Gegen Andrew Johnson - dem Nachfolger von Abraham Lincoln - wurde das Verfahren 1868 eingeleitet, weil er sich über die Mitspracherechte des Kongresses bei der Besetzung von Regierungsposten hinweggesetzt haben sollte. Für seine Amtsenthebung fehlte am Ende nur eine einzige Stimme.