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Ignoranz macht sicher

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Donald Trump hat seine schlimmste Woche als US-Präsident hinter sich. Politisch hat er aber noch längst nicht verloren.


Washington D.C. Wer verstehen will, muss streamen. Voriges Wochenende präsentierte der Online-Filmservice Netflix eine neue Produktion aus eigenem Haus, die binnen Tagen zur meistgeschauten Politdokumentation des Landes aufstieg. Ihr Titel lautet: "Get me Roger Stone". Im Mittelpunkt steht ein Mann, der maßgeblich Anteil daran hat, dass Donald Trump heute im Weißen Haus sitzt. Dort, wo Herrn Stones eigene politische Karriere einst ihren Ausgang nahm.

Zarte 19 Jahre alt war der aus einer katholischen Arbeiterfamilie aus Connecticut stammende Junge, als er 1972 für das Komitee für die Wiederwahl Richard Nixons zu arbeiten begann - jene Organisation, deren Mitglieder, wie sich später im Zuge der Untersuchungen durch den Kongress herausstellte, maßgeblich für den Watergate-Skandal verantwortlich zeichneten.

Seiner Reputation in Washington schadete das nicht. Unter Ronald Reagan wie unter dessen Vize und späterem Nachfolger George Herbert Walker Bush ging Stone im Weißen Haus quasi nach Belieben ein und aus. Er arbeitete manchmal als Wahlkämpfer, als Berater, Politstratege, oder schlicht als Lobbyist in eigener Sache: Gemeinsam mit einem gewissen Paul Manafort stand Stone in den Achtzigerjahren einer Firma vor, die sich darauf spezialisierte, Massenmörder wie Ferdinand Marcos, Mobutu Sese Seko, Jonas Savimbi oder Mohamed Siad Barre salonfähig zu machen.

Das Kunststück ist vollbracht

Schon damals hatte Stone sein Auge längst auf einen damals noch jungen New Yorker Immobilienerben geworfen, dessen Drang zur Selbstinszenierung und populistische Aussagen ihn in seinen Augen zum perfekten Kandidaten für ein öffentliches Amt machten. Wie Donald Trump in "Get me Roger Stone" selbst einräumt, war Stone einer der ersten, wahrscheinlich sogar der erste Mensch überhaupt, der ihm einredete, dass er für das Präsidentschaftsamt kandidieren sollte. 2017 ist das Kunststück vollbracht. Zum Leidwesen der Demokraten und, glaubt man den diversen Umfragen, der Mehrheit der Amerikaner. Seit seinem Amtsantritt Ende Jänner sind Donald Trumps Beliebtheitswerte im Keller. Zustimmung für seine Amtsführung findet er diesen gemäß nur mehr bei knapp über einem Drittel der Bevölkerung, maximal bei 40 Prozent.

Was angesichts der Ereignisse der vergangenen Woche sogar noch überraschen muss. Noch kein Präsident vor ihm hat es geschafft, binnen nicht einmal vier Monaten einen Sonderermittler vor die Nase gesetzt zu bekommen. Der Verdacht gegen Trump und Angehörige seiner Wahlkampftruppe lautet auf "Collusion", wörtlich übersetzt heißt das "betrügerisches Einverständnis"; im konkreten Fall das mit einer ausländischen Macht, Russland, zum Zweck der Verhinderung einer Präsidentschaft Hillary Clintons.

Aufgrund ihrer jahrzehntelangen Freundschaft war Roger Stone - dessen Karriere in den Neunzigern den Bach runterging, nachdem der Konservative, der einst die evangelikale Bewegung "die einzige Rettung Amerikas" nannte, als Swinger geoutet wurde, der mit seiner Frau Sexpartys organisierte - einer der ersten Berater, die Trump für seinen Kampf ums Weiße Haus anheuerte. Obwohl er nach nur ein paar Monaten wieder entlassen wurde, wird die Rolle Stones mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Teil der Arbeit von Robert Mueller werden, dem ehemaligen FBI-Chef, der jetzt vom Justizministerium als Sonderermittler in Sachen "Kremlgate" eingesetzt wurde.

Wie bereits im Herbst vergangenen Jahres bekannt wurde, stand Stone in direktem Kontakt mit dem unter dem Pseudonym "Guccifer 2.0" aufgetretenen Hacker, der für den Diebstahl der E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfleiter John Podesta verantwortlich gemacht wird.

Dabei ist Stone nur einer von rund einem halben dutzend Leuten in Trumps unmittelbarem Einflussbereich, der mit Russland in Zusammenhang gebracht wird. Allen voran steht Michael Flynn, dessen Karriere als nationaler Sicherheitsberater nur 18 Tage währte und gegen den die Russen laut der von Trump entlassenen Generalbundesanwältin Sally Yates "ganz reale Druckmittel" in der Hand hatten - und offenbar bis heute haben. Ende der Woche teilten die Anwälte des (einst von Präsident Obama wegen Unfähigkeit entlassenen) Generals mit, dass er einer Vorladung durch einen Senatsausschuss nicht nachkommen werde, was im Extremfall sogar eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen könnte.

Übereinstimmenden Berichten amerikanischer Medien zufolge soll Flynn, der aufgrund seiner Moskau-Kontakte und seiner Lobbyarbeit für einen türkischen Geschäftsmann - von denen das Weiße Haus wusste, bevor er sein Amt antrat - unter dem Verdacht der Kollusion steht, weiterhin loyal zu Trump stehen. Über seine tatsächliche Rolle bestehen indes heute kaum mehr Zweifel. Flynn, der einst auf einem Empfang in Moskau Putin buchstäblich als Tischnachbar diente, soll versucht haben, einen sogenannten "Back-Channel" zum Kreml einzurichten. Der sollte es Trump als Präsident ermöglichen, unter Umgehung der eigenen nationalen Sicherheitsdienste direkt mit Putin in Kontakt zu kommen.

Das ist nur der bislang letzte Teil eines regelrechten Eisbergs an Skandalen, den Präsident Trump binnen nur knapp vier Monaten aufgetürmt hat. Aber - was bedeutet das alles rein politisch für Trump?

Der Mann, dem das egal ist

Wenn man nicht die Massenmedien, sondern seine Wählerinnen und Wähler und Parteifreunde als Gradmesser hernimmt, scheint es, dass er - jedenfalls vorläufig - nicht viel zu befürchten hat. Am besten formulierte es diese Woche vielleicht Matthew Yglesias, der Chefredakteur des Online-Nachrichtenportals Vox: "Keine Geschichte über die Trump’schen Skandale ist komplett, wenn darin kein pensionierter Elektriker aus einer Kleinstadt in Pennsylvania vorkommt, dem das egal ist."

Ein wahres Wort gelassen hinaus getwittert: Genauso, wie einst die politischen Strategen von Obama alles darauf setzten, die gesellschaftliche Mitte nicht mit Positionen zu verprellen, die diese vielleicht als "zu radikal" empfinden würden, verlassen sich Trumps Leute beim Kampf über die Deutungshoheit in der politischen Auseinandersetzung weiterhin auf ihre Basis. In den Sechzigerjahren war Richard Nixon der Erste, der die "schweigende Mehrheit" als solche erkannte und seine Wahlkampfstrategie entsprechend darauf abstimmte.

Sein Zögling Roger Stone - der sich das Antlitz des 1973 des Amtes enthobenen Präsidenten am Rücken eintätowieren ließ - rät Trump, mit dem er nach wie vor in unregelmäßigem Kontakt steht, heute dasselbe, komme, was wolle. Motto: Solange sich die Leute, die dich ins Amt gewählt haben, nicht um deine Skandale scheren, hast du nichts zu befürchten.