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"Man kann nicht den Terror bekämpfen und Waffen verkaufen"

Von Alexander Dworzak

Politik

Bagdads Erzbischof Sleiman zürnt bei Besuch in Wien über jüngsten Waffendeal der USA und fürchtet Teilung des Irak.


Wien. Auf eine 2000-jährige Geschichte blicken die Christen im Irak. Derzeit eher zurück, denn der Blick nach vorne verheißt nicht viel Gutes. Lebten vor Beginn des Irak-Krieges im Jahr 2003 und dem dadurch bedingten Aufkommen sunnitischer Dschihadisten zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Christen im Land, sind es heute nicht einmal mehr 300.000, schätzt der Erzbischof von Erbil, Baschar Warda. Die Päpstlichen Missionswerke Missio setzen die Zahl der Gläubigen mit bis zu 400.000 etwas höher an; ihnen zufolge leben 120.000 Christen als Vertriebene in Lagern, vor allem im kurdisch regierten Norden. Auch in Syrien haben Flucht und Vertreibung von Christen in den vergangenen Jahren enorme Ausmaße angenommen, rund zwei Drittel von ihnen hätten Warda zufolge das Land verlassen. Dem Christentum drohe in weiten Teilen des Mittleren Ostens "die Auslöschung", lautete die düstere Prognose der Deutschen Bischofskonferenz vergangenen Herbst.

So weit wollte Jean Benjamin Sleiman, römisch-katholischer Erzbischof von Bagdad, bei seinem Besuch in Wien am Mittwoch nicht gehen. Er sah sogar einzelne positive Entwicklungen im Irak: Der radikalislamische IS werde immer mehr zurückgedrängt, zudem erfahre der Irak auf dem internatonalen Parkett größere Bedeutung.

Dann folgten viele Aber: Wirtschaftlich sei das Zweistromland noch immer in der Krise, nicht einmal die Gehälter der Beamten könnten bezahlt werden, erzählte Sleiman. Erst im April rügte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel bei seinem Besuch im Irak die Gastgeber; von einem Kredit über eine halbe Milliarde Euro für Aufbauprojekte sei binnen zwei Jahren noch kein einziger Euro abgerufen worden.

Noch schwerer wiegen die politisch-religiösen Kalamitäten: Sleiman sieht eine "große Gefahr der Teilung" des Irak. Zwar verliert der IS an Boden. Seit Oktober vergangenen Jahres kämpfen irakische Einheiten, unterstützt durch US-Luftschläge, darum, die letzte großstädtische Hochburg der Dschihadisten zurückzugewinnen. Der IS hatte Mossul im Sommer 2014 erobert. Im Jänner wurde der Ostteil der Metropole befreit, im Westen konnten bisher nur einzelne Viertel zurückerobert werden. 400.000 Zivilisten sind in der eng bebauten Altstadt eingeschlossen, von Giftgasangriffen durch den IS und dem Missbrauch der Bürger als Schutzschilder ist die Rede.

"IS hat nichts Religiöses"

An einem Sieg über den IS zweifelt der Erzbischof nicht. Doch Sleiman beunruhigt, was danach kommen mag: "Der Irak und internationale Protagonisten kämpfen um das Territorium." Durch das strategisch bedeutende Mossul führen Routen zur syrischen Grenze, in die Türkei sowie nach Bagdad. Noch dazu will der Iran ein gehöriges Wort mitreden und steht hinter dortigen schiitischen Milizen. Nach dem Sieg über den gemeinsamen Feind IS droht ein Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten. Und nördlich sowie östlich von Mossul halten die Kurden das Territorium. Immer wieder testen sie aus, ob aus der autonomen Region nicht doch ein unabhängiger Staat Kurdistan werden könnte. Zuletzt ventilierten Präsident Masoud Barzani und die Opposition, sonst stets zerstritten, eine entsprechende Volksabstimmung. Eingedenk der Gemengenlage sieht Erzbischof Sleiman es als "ganz große Herausforderung, wieder Vertrauen herzustellen". Er sorgt sich vor einem "demografischen Erdbeben", so konnten im befreiten Teil Mossuls Bewohner nicht wieder in ihre Häuser zurückkehren, diese blieben besetzt. Sleiman plädiert auch dafür, "wieder Vernunft herzustellen: Der IS hat nichts Religiöses an sich."

Dem Irak müsse geholfen werden, wieder ein Rechtsstaat zu werden. Nur ein solcher könne seine Bürger schützen, appellierte der Erzbischof an die Staatengemeinschaft. Gleichzeitig konstatiert Sleiman weniger Vertrauen in die UNO und deren Sicherheitsrat: "Der neue Kolonialismus der USA und Russlands sorgen für Zweifel und Entmutigung."

Ohne die Vereinigten Staaten bei der Pressekonferenz am Mittwoch explizit zu nennen, zürnte Sleiman, man könne nicht Terrorismus bekämpfen und Waffen verkaufen. Erst vor wenigen Tagen gaben die USA und Saudi-Arabien bekannt, dass das wahhabitische Regime in den kommenden zehn Jahren Waffen im Wert von rund 350 Milliarden Dollar (312 Milliarden Euro) von den USA erwerben wird. Seitens Missio wurde verlautbart, dass Sleiman den Waffendeal an anderer Stelle als "Skandal" bezeichnet habe. Der Erzbischof wollte das Thema auch bei einem Treffen mit Außenminister Sebastian Kurz am Mittwoch vorbringen, er ist derzeit OSZE-Vorsitzender.

Waffenexporteur Österreich

Österreichische Firmen zählen dabei selbst zu den Waffenexporteuren, wenn auch in wesentlich geringerem Ausmaß. Laut den Grünen lieferte Österreich in den Jahren 2010 bis 2014 alleine nach Saudi-Arabien Güter im Wert zwischen fast 200.000 Euro (2012) und knapp 21,4 Millionen Euro (2014). Auch in die Türkei wurden in jenem Zeitraum Waffen geliefert. Zumindest dies ist dank eines Nationalratsbeschlusses Ende 2016 nicht mehr möglich.