Zum Hauptinhalt springen

"Was haben Kinder damit zu tun?"

Von Michael Schmölzer

Politik

Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Chef des UN-Anti-Terror-Komitees, Jean-Paul Laborde, | über den Anschlag von Manchester gesprochen.


"Wiener Zeitung": Bei dem Terroranschlag in Manchester waren Jugendliche und Kinder das Ziel, mindestens 22 sind tot, der sogenannte Islamische Staat hat die Verantwortung übernommen. Was ist das Kalkül der Terroristen?Jean-Paul Laborde: Sie tun das einfach deshalb, weil es schmerzhafter ist. Es ist etwas anderes, wenn man eine Kaserne mit Soldaten attackiert. Aber hier werden die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft angegriffen. Ein Konzert, das soll eine Erinnerung für das ganze Leben sein und nicht ein Ort, wo du die letzten Momente deines Lebens verbringst. Wegen dieser Diskrepanz trifft uns dieses Verbrechen umso härter - und das ist das Ziel. Es werden gesellschaftliche Strukturen angegriffen. Das hat nichts mit dem Islam zu tun. Das kann in Ägypten passieren, in einer Diskothek in der Türkei.

Man kann ein Muster erkennen: Hier ein Konzert, da ein Weihnachtsmarkt, in Paris ebenfalls ein Konzert . . .

Ja. Nizza und das Bataclan. Aber das, was hier passiert ist, ist noch schlimmer: Kinder und junge Frauen. Was haben die damit zu tun?

Wenn wir uns den Täter-Typus ansehen. Das waren in der Vergangenheit immer ehemalige Kleinkriminelle, die sich mehr oder weniger selbst radikalisiert haben. Psychisch Labile. Geeichte Kämpfer, die aus dem Krieg zurückkommen, waren da keine dabei. Erwarten Sie, dass IS-Kämpfer jetzt, wo der Krieg in Syrien und im Irak verloren geht, in großer Zahl in Europa Anschläge verüben?

Punkt eins: Die Tatsache, das Daesh (der IS, Anm.) Territorium verliert, ist zu begrüßen. Schon jetzt haben wir beobachten können, dass die Zahl derer, die nach Syrien oder in den Irak gehen, um mit Daesh zu kämpfen, um 90 Prozent zurückgegangen ist. Das ist ein großer Fortschritt. Zugleich sind 40 bis 50 Prozent der ausländischen Kämpfer dorthin zurückgekehrt, woher sie kommen: Nach Tunesien, Marokko oder nach Europa. Oder sie sind auf andere Kriegsschauplätze ausgewichen, wo Daesh und die Al Kaida kämpfen.

Afghanistan.

Ja, Afghanistan. Das ist ein großer Schauplatz. Aber die IS-Kämpfer verstärken auch Boko Haram in Afrika. Oder sie gehen dahin zurück, wo ihre Familie ursprünglich herstammt. Gleichzeitig nimmt die Radikalisierung via Internet enorm zu. Daesh sagt: Komm nicht zu uns, sondern erledige den Job dort, wo du schon bist.

Und die Gefahr, dass brutalisierte IS-Kämpfer nach Europa zurückkommen, sehen Sie nicht?

Bis vor einem Jahr sind die ganz jungen Daesh-Kämpfer zurückgekommen. Die, die am wenigsten gefährlich sind. Wenn sie es überhaupt geschafft haben. Aber neben der Selbstradikalisierung sind die, die zurückkommen, ein enorm großes Problem. Manche Attentäter der Vergangenheit waren in Verbindung mit IS-Kämpfern. Sie wurden aus der Distanz geführt. Und sie waren sehr oft Kleinkriminelle: Autodiebstahl . . .



. . . Körperverletzung . . .

Unser Ansatz ist die generelle Prävention von Verbrechen. Es muss darum gehen, die Verbrechensquote allgemein zu senken. Das kann je nach lokalem Kontext völlig anders aussehen.

Es ist bei Experten und Buchautoren immer öfter die Rede von der "Generation Allah": Jungen Menschen mit muslimischem Hintergrund, die leicht zu radikalisieren sind.

Ich glaube an das alles nicht. Ich glaube an die Gefahr des gewalttätigen Extremismus. Die große Mehrheit der Muslime sind keine Extremisten. Wichtig sind integrative Maßnahmen. Wenn ich durch die Straßen gehe, dann mag ich es, dass wir in einer multi-ethnischen Gesellschaft leben. Bei dem Anschlag auf das Bataclan wurden so viele Muslime getötet. Zuletzt war ich in einem afrikanischen Land: Dort hat mir der Innenminister erzählt, dass es die Kinder reicher Eltern sind, die nach Europa gehen um zu studieren, die die Probleme machen. Die sind es, die radikalisiert zurückkommen.

Zuletzt hat Donald Trump seine große Rede über den Islam gehalten. Er sagt, die islamische Welt muss den Terror selbst bekämpfen. Was halten Sie von der Rede?

Ich kann nur sagen, dass die islamische Welt schon Teil des Kampfes gegen Terror ist. Sie könnten unter Umständen mehr tun.

Um an den Beginn zurückzukommen. Der IS wird den Krieg in Syrien verlieren. Wird das Schlachtfeld dann nach Europa verlegt?

Nicht nur nach Europa, sondern überall hin. Diese Terrororganisationen sind polymorph. Sie verwandeln sich in eine Untergrundorganisation.

Wie wahrscheinlich ist es, dass
Österreich Ziel eines IS-Anschlags wird?

Österreich ist ein wunderbares Land. Gerade wegen des hohen Lebensstandards und des friedlichen Lebens, das hier möglich ist, besteht ein Risiko. Denn Daesh mag so etwas nicht.

Zur Person

Jean-Paul Laborde

ist Exekutivdirektor des nach den Anschlägen von 9/11 gegründeten Ausschusses zur Bekämpfung von Terrorismus der UNO.