Zum Hauptinhalt springen

"Es ist vor allem ein Bruch in Washington"

Von Ronald Schönhuber

Politik

Laut Politikexperten Steven Pifer verfolgen die wichtigsten Mitglieder der US-Regierung nach wie vor einen verlässlichen republikanischen Außenpolitik-Ansatz. Aus der Reihe tanze lediglich der meist auf sein Bauchgefühl vertrauende US-Präsident.


"Wiener Zeitung":Nach dem G7-Gipfel hat Angela Merkel mit Blick auf die USA gesagt, Europa könne sich nicht mehr vollständig auf seine Verbündeten verlassen. Stimmen Sie der deutschen Kanzlerin zu?Steven Pifer: Ja und Nein. Ich war verstört von Donald Trumps Besuch im Nato-Hauptquartier in Brüssel. Ich stimme zwar dem Ziel zu, dass die Nato-Partnerstaaten mehr Geld für ihre Verteidigung ausgeben sollen. Aber ich denke, die massive öffentliche Schelte durch den US-Präsidenten war nicht angebracht. Es wäre etwa klüger gewesen, hier die Tatsache zu würdigen, dass in Afghanistan knapp tausend europäische und kanadische Soldaten gestorben sind, die dort gemeinsam mit ihren amerikanischen Verbündeten gekämpft haben. Die Kritik an den zu geringen Beitragszahlungen hätte Trump sich dann für den privateren Rahmen des gemeinsamen Abendessens aufheben können. Das wäre möglicherweise auch deutlich effektiver gewesen. Doch auch wenn Trump, der sich in Brüssel nicht zur Nato-Beistandspflicht nach Artikel 5 bekannt hat, hier nicht die richtige Botschaft gesendet hat, so wird dennoch die Politik fortgesetzt, zu der sich die Nato-Partner beim Gipfel in Warschau im Vorjahr entschlossen haben. Amerika liefert Europa weiterhin militärische Unterstützung und die Amerikaner haben auch das Kommando über das Nato-Bataillon in Polen übernommen. Man handelt also richtig, nur die Worte in Brüssel hätten besser gewählt werden können.

Wie tief ist denn der Bruch, der sich gerade zwischen den USA und Europa vollzieht?

Ich glaube, dass es sich dabei vor allem um einen Bruch in Washington handelt. Denn wenn man sich anhört, was Vizepräsident Mike Pence, Außenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister James Mattis sagen, dann wird klar, dass diese im Hinblick auf Europa eine traditionelle republikanische Außenpolitik verfolgen. Das heißt: instinktive Unterstützung der Nato, Unterstützung für die Ukraine in der Ukraine-Russland-Krise und ein großes Ausmaß an Skepsis gegenüber Russland. Das Problem ist allerdings, dass der Präsident eine andere Sichtweise hat. Damit stellt sich die Frage, ob Trump bei zukünftigen Problemen auf den einstimmigen Rat seines Kabinetts hört oder auf sein Bauchgefühl. Bis unmittelbar vor seiner Rede im Nato-Hauptquartier haben sowohl der Nationale Sicherheitsberater H.R. McMaster als auch Verteidigungsminister Mattis erwartet, dass sich Trump bei dieser Gelegenheit zu Artikel 5 bekennen wird. Dass es nicht so ist, haben sie erst erfahren, als sie die Rede gehört haben. Das sind natürlich die Punkte, die man in den Griff bekommen muss.

Nach dem Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen ist relativ rasch deutlich geworden, dass "America first" auch "America alone" bedeutet. Verspielen die USA nicht viele Chancen dadurch, dass sie sich isolieren?

Ich denke, dass ein engagiertes Amerika auch im Interesse Amerikas ist. Man muss sich nur das den Pazifik umspannende Freihandelsabkommen TPP ansehen, aus dem sich die USA unter Trump zurückgezogen haben. Nun wird wohl China die Handelsbedingungen für den vermutlich dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt festlegen. Und ich glaube nicht, dass diese Bedingungen zum Vorteil der USA oder auch der anderen Handelspartner sein werden. Da ist echter Schaden entstanden. "America first" kommt aber natürlich bei Trumps Kern-Klientel zu Hause gut an. Es gibt da kein umfassendes Verständnis darüber, dass Amerikas Engagement in der Welt auch den USA etwas bringt. Im Vordergrund steht hier vielmehr der Versuch, die Globalisierung zurückzudrängen nach dem Motto: Wir haben zu viel Zeit und Geld in Übersee verschwendet, wir sollten nach Hause zurückkehren.

Angela Merkel hat auch gesagt, die Europäer sollten ihr Schicksal verstärkt in ihre eigenen Hände nehmen. Sind die Europäer aus Sicht der USA denn fit genug dafür?

Europa hat selbstverständlich die dafür nötigen ökonomischen Voraussetzungen, die Wirtschaft der EU ist in etwa acht Mal so groß wie die Russlands. Es wird daher also vom politischen Willen abhängen. Diskussionen über eine eigenständige europäische Verteidigungsorganisation gibt es ja schon seit 25 bis 30 Jahren. Aber der Fortschritt war dann doch ziemlich limitiert. Folglich sind die Europäer in gewissen Bereichen noch immer von den Amerikanern abhängig, etwa wenn es um Transportkapazitäten, die militärische Aufklärung und die nachrichtendienstliche Überwachung geht.

Barack Obama galt ja immer als der erste "pazifische" Präsident. Als die Situation in der Ukraine eskaliert ist, hat Obama allerdings Truppen und Panzer nach Osteuropa geschickt. Wie würde Präsident Trump reagieren, wenn die Spannungen mit Russland nun wieder in ähnlicher Weise zunehmen?

Das wissen wir nicht, auch weil nicht klar ist, wo Donald Trump in den Beziehungen zu Russland hin will. Er ist jetzt seit vier Monaten Präsident und wir haben in dieser Sache bisher so gut wie keine Änderung der bestehenden Politik gesehen. Laut einem Artikel, den ich gerade gelesen habe, sind vor kurzem etwa 700 Container mit militärischer Ausrüstung aus den USA in Deutschland angekommen. So etwas hätte man in den vergangenen vier Monaten ja leicht stoppen können. Im Krisenfall wird sich Trump aber jedenfalls in einer Situation finden, in der ihn sein ganzes Kabinett dazu drängt, die Nato zu unterstützen. Auch der Kongress würde in diese Richtung drängen. Und Trump würde dann meiner Einschätzung nach hier folgen.

Warum hat Trump solche Schwierigkeiten mit der Nato? Warum sieht er so wenig Wert in ihr?

Wenn man auf all das zurückblickt, was Donald Trump in den vergangenen 30 Jahren zur Außenpolitik gesagt oder geschrieben hat, dann gab es zwei durchgängige Themen. Das eine war seine Aversion gegen multilaterale Handelsabkommen, bei denen Amerika seiner Meinung nach nie einen guten Deal bekommen hat. Zum anderen war Trump immer sehr kritisch, was Allianzen betrifft, und zwar nicht nur in Bezug auf Europa, sondern auch in Bezug auf Japan und Südkorea. Aus seiner Sicht haben die USA in diesem Zusammenhang immer weit mehr als ihren gerechten Anteil geleistet, während die Verbündeten die dadurch entstandene Ersparnis bei den Verteidigungskosten genutzt haben, um ihre Wirtschaft zu modernisieren und den USA dann Konkurrenz zu machen. Mit diesen Bedenken ist Trump allerdings nicht ganz allein. Die USA tragen heute rund 70 Prozent der mit der Nato in Zusammenhang stehenden Ausgaben, während es früher einmal nur 50 bis 60 Prozent waren.



Was bedeutet Russland heute für Donald Trump? Zu Beginn war da ja fast so eine Art Männerfreundschaft zwischen Wladimir Putin und Trump, doch mittlerweile scheint das Verhältnis wieder deutlich abgekühlt zu sein.

Angesichts der Art und Weise wie Trump im Wahlkampf über Russland geredet hat, hat er offenbar wirklich die Möglichkeit für ein sehr positives Verhältnis zwischen den USA und Russland gesehen. Aber er hat sich offenbar zu viel von dieser Beziehung erwartet. So hat man etwa die Idee verfolgt, dass Russland zum Partner werden könnte, wenn es darum geht, den Islamischen Staat zu bekämpfen. Doch in den vergangenen eineinhalb Jahren hat das russische Militär in Syrien nicht gegen den IS gekämpft, sondern vor allem gegen jene Kräfte, die eine direkte Bedrohung für Syriens Machthaber Baschar al-Assad darstellen. Ebenso scheint es Überlegungen gegeben zu haben, dass man mit Hilfe der Russen China besser in Schach halten kann. Doch auch hier verfügt man kaum über einen geeigneten Hebel. Mittlerweile hat offenbar Außenminister Tillerson die Führungsrolle in den Beziehungen zu Russland übernommen. Und Tillerson hat hier viel realistischere Erwartungen, und er geht daher auch nur Schritt für Schritt vor. Tillerson hat den Russen auch sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass die Ukraine-Krise normalen Beziehungen zwischen den USA und Russland im Weg steht.

Der frühere FBI-Direktor James Comey hat ausgesagt, dass Trump ihn dazu bewegen wollte, die Ermittlungen gegen den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn wegen dessen Russland-Kontakten fallen zu lassen, was nun wiederum Gegenstand von Ermittlungen ist. Wie groß ist das Russland-Problem für Trump?

Es gibt keinen Zweifel darüber, dass sich die Russen in die US-Präsidentschaftswahlen eingemischt haben, sei es nun mit dem Ziel, Chaos zu stiften, oder mit dem Ziel, Trump zum Präsidenten zu machen. Aber Trump hat die Wahl gewonnen, und es wird niemand beweisen können, dass ein Wähler in Erie, Pennsylvania, nur für Trump gestimmt hat, weil er sich durch das demokratische Email-Leak so abgestoßen fühlte. Aber auch wenn wir diese Wahlen nicht prinzipiell in Frage stellen, sollten wir die Angelegenheit doch ein bisschen ernster nehmen, weil es ein Angriff auf einen Grundbaustein der amerikanischen Demokratie war. Und meine Sorge ist, dass es die Russen in der Zukunft noch einmal probieren werden, wenn wir darauf keine adäquate Antwort finden.

Zur Person

Steven
Pifer

ist Senior Fellow bei der renommierte Washingtoner Denkfabrik Brookings Institution. Dort beschäftigt er sich vor allem mit Russland, der Ukraine und den transatlantischen Beziehungen. Pifer war von 1998 bis 2000 US-Botschafter in der Ukraine.