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"Wir sind bereits mitten im Kollaps"

Von Konstanze Walther

Politik

Der Generalsekretär des Club of Rome warnt davor, die Ressourcen der Erde weiter so zu verbrauchen wie bisher.


Wien. Der Meilenstein von damals hat heute noch seine Gültigkeit und hat nur noch mehr an Dringlichkeit erfahren. Die im Club of Rome zusammengeschlossenen Wissenschafter haben 1972 das Buch "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlicht. Darin beschrieben die Autoren, Forscher an der renommierten Massachusetts Institute of Technology, dass das System Erde - sollte die Menschheit in ihrer Entwicklung und dem Gebrauch und Verbrauch von Rohstoffen unbeirrt weitermachen - ab dem Jahr 2100 nicht mehr aufrechtzuerhalten
ist.

Der nunmehrige Generaldirektor des Club of Rome, Graeme Maxton, kehrt mit seinem aktuellen Buch "Ein Prozent ist genug" (Originaltitel: "Reinventing Prosperity") zu der Ausgangslage zurück, wenngleich heute weniger Zeit für eine Kursänderung bleibt als noch vor 40 Jahren.

"Ich bin hier, um Ihnen ein Update über die Verfassung der Welt zu geben", eröffnet Maxton seine Rede am Montag in der Oesterreichischen Nationalbank. "Und ich sage Ihnen gleich: Es ist keine Geschichte mit einer einfachen Lösung, noch gibt es ein einfaches Ende."

Die Erde befinde sich in Sachen Bevölkerungswachstum, Ressourcenverbrauch, Nahrungsproduktion sowie Verschmutzungsniveau "exakt dort, wo wir 1972 prognostiziert hatten, dass sie sich hinentwickelt", wenn man nicht gegensteuert." Mit anderen Worten: "Der Kollaps hat begonnen", warnt Maxton. Das merke man am Klimawandel, am Artensterben, an der Zunahme der Migration und den damit folgenden Problemstellungen in den Ballungszentren. Der Grund, warum der Kollaps der Welt für viele Menschen noch nicht deutlich genug sichtbar ist, liege daran, dass ein Systemkollaps eben noch nie von heute auf morgen geschehen ist, sondern über einen Zeitraum von Jahrzehnten passiert. "Auch die Russische Revolution ist nicht an einem Tag vonstattengegangen, sondern hat schon 50 Jahre davor ihren Ausgang genommen, und die Auswirkungen dieses Ereignisses sind heute noch spürbar", so Maxton. "Es ist schwierig, den Kollaps zu sehen, wenn man sich mitten in ihm befindet."

Wie konnte es so weit kommen? Beim Ressourcenverbrauch und den Kohlendioxidemissionen "leben wir über den Kapazitäten unseres Planeten", sagt Maxton. "In den USA leben sie, als hätten wir fünf Planeten. In Europa leben wir, als hätten wir drei Planeten." Das in Umweltfragen oft gescholtene Asien, konkret China, lebe dagegen für sich gerechnet sogar noch innerhalb der Kapazitätsgrenzen.

Der ungehemmte Verbrauch fossiler Energien befeuert den Klimawandel. Die Polarkappen schmelzen. Der auftauende Permafrost-Boden in Sibirien entlässt immer größer werdende Mengen an Methan, das auch zur globalen Erwärmung beiträgt. Die buchstäblichen Löcher, die sich im sibirischen Boden auftun, sind ein relativ neues Phänomen der vergangenen 18 Monate.

Kritikern, die von natürlichen Zyklen der Erderwärmung und der darauffolgenden Abkühlung sprechen, sagt Maxton: "Es stimmt, die Erde wird sich wieder abkühlen. Aber nicht so schnell, wie wir es bei unserer Beschleunigung benötigen."

Wenn man so weitermache, würde sich die Erde mittelfristig auf vier bis fünf Grad gegenüber dem Temperaturdurchschnitt der Jahre 1880 bis 1900 erwärmen.

Das Pariser Klimaschutzabkommen ist keine Lösung: Denn es sieht keine Reduktion der Emissionen vor dem Jahr 2030 vor. Damit könnte man nur eine Punktlandung von einer Erderwärmung von drei Grad erreichen. Zu wenig, sagt Maxton: Forschern zufolge sei der einzig nachhaltige Weg, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten. Das würde aber bedeuten, dass die Menschheit schon jetzt anfangen müsste, ihre Emissionen jährlich um 10 Prozent zurückzufahren und Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu saugen, also zu bündeln. "Wir wissen aber nicht, wie wir das tun sollen", stellt Maxton fest.

Ein Wirtschaftssystem, das auf Expansion ausgerichtet ist

"Klimawandel ist aber nicht das Problem, sondern nur das Symptom von zwei größeren Problemen", so Maxton: und zwar der menschliche ökologische Fußabdruck, verbunden mit einem zu raschen Bevölkerungswachstum, sowie ein Wirtschaftssystem, das auf Expansion ausgerichtet ist.

"In der entwickelten Welt brauchen wir nicht mehr Wachstum", meint Maxton. "Wir glauben noch immer, dass Wachstum Arbeitsplätze schafft und so die Ungleichheiten beseitigt. Das hat nach dem Zweiten Weltkrieg gestimmt, aber diese Dinge haben sich geändert", so Maxton. "Wirtschaftswachstum kam immer einerseits vom Bevölkerungswachstum und andererseits von einer Steigerung der Produktivität." Doch heutzutage kommen Produktivitätssteigerungen vor allem durch den Einsatz von Robotern, die damit Arbeitsplätze wegrationalisieren - bei einer global wachsenden Bevölkerung. "Wenn wir in diesem System auf mehr Wirtschaftswachstum drängen, dann vergrößern wir langfristig wieder die Ungleichheit."

Maxton macht in seinem Buch 13 Vorschläge, wie die fast ausweglose Situation seines Erachtens in den Griff zu bekommen ist. Neben Klassikern wie der massiven Besteuerung von fossilen Brennstoffen konzentriert er sich vor allem auf den Umbau des Wirtschaftssystems: Er macht sich stark für eine bessere Verteilung des Arbeitsvolumens - weniger Arbeitsstunden, dafür mehr Arbeitsplätze, sowie die finanzielle Honorierung von bisher unbezahlter Arbeit zuhause, die zumeist von Frauen verrichtet wird. Maxton tourt gerade durch die Weltgeschichte, um Bewusstsein zu schaffen. Mit teils überraschenden Ergebnissen: In China höre die Politik interessiert zu - "dort hänge man zwar nicht per se am Planeten, aber man möchte Stabilität und saubere Luft" - der Vatikan ist unter dem neuen Papst ebenfalls von der Pflicht zur Bewahrung des Planeten überzeugt, und gerade in den deutschsprachigen Ländern stoße der Umweltgedanke in der Zivilgesellschaft auf große Resonanz. "Es ist eine eigenartige Koalition", gibt Maxton zu.

Sympathie für die Sache,aber viele offene Fragen

In der OeNB wurde Maxtons Ansatz daraufhin heftig diskutiert. Wie viele Kinder darf man haben? Ist das überhaupt das Problem? Und sollte man das Wirtschaftssystem nicht gleich ganz neu gestalten? Sollte China nicht vor der eigenen Tür kehren? Der Chefredakteur der "Wiener Zeitung", Reinhard Göweil, der die Debatte moderierte, brachte es zwischendurch so auf den Punkt: "Die Kritik für das Buch ist unüberhörbar, wenn auch getragen von viel Sympathie."

Der Ökonom Kurt Bayer, derzeit wieder am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, der als Mitdiskutant am Podium saß, meinte: "Mit der Zielsetzung des Buches stimme ich vollkommen überein, aber die Frage bleibt: Wie kommen wir dahin?" Er glaube nicht, dass sich das Problem allein durch Rationalität lösen lasse, sprich der Willensbildung der Menschheit. Die Daten über die Umweltbelastung seien seit Jahrzehnten vorhanden, aber seit den 1980er Jahren hat sich die Entwicklung ja noch beschleunigt.

Die Universitätsprofessorin Sonja Puntscher-Riekmann, ebenfalls Podiumsgast, betont die Notwendigkeit, auf die Politik Druck auszuüben: "Die Sorge, die ich habe, ist, dass die guten Menschen nicht wirksam genug kooperieren werden. Man muss existierende Parteien und Bürokratien mit an Bord holen, sonst bleibt das alles hier ein Debattierclub." Wie kann man die öffentliche Meinung bestärken? Puntscher-Riekmann glaubt, dass der Konnex Umweltzerstörung und Migration stärker in das öffentliche Bewusstsein getragen werden kann, um ein überzeugendes Narrativ zu haben. Denn: Der Untergang des Planeten als Narrativ ist "viel zu abstrakt".

Graeme Maxton (*1960 in Edinburgh) ist Ökonom und arbeitete früher für den "Economist". Maxton ist seit 2014 Generalsekretär des Club of Rome.